Verhandlungen zu Nil-Damm zurück auf Null?
20. September 2019Ganze elf Länder durchfließt der Nil, bevor er nördlich von Kairo ins Mittelmeer mündet. Doch für seine drei nördlichsten Anrainer - Äthiopien, Sudan und Ägypten - ist er die unverzichtbare Lebensader schlechthin. Kein Wunder also, dass Afrikas größter Fluss die Beziehungen zwischen den drei Ländern regelmäßig auf die Probe stellt. So angespannt wie heute war die Lage jedoch selten. Der Grund: Äthiopien baut einen gigantischen Staudamm am Blauen Nil, 2022 soll er fertig sein. Bis er vollgelaufen ist, dürften weitere sieben Jahre vergehen, so dass der Damm voraussichtlich 2029 - mit fünf Jahren Verspätung - in Betrieb genommen werden kann.
Seit Jahren schon ringen Äthiopien, Ägypten und der Sudan um die Frage, wie das Nilwasser künftig gerecht aufgeteilt werden soll. Aktuell geht es konkret darum, wie schnell Äthiopien den Stausee füllen darf, um die Turbinen des Wasserkraftwerks in Betrieb zu nehmen. Ein erneues Treffen der Wasserminister der drei Länder in Kairo zu Beginn dieser Woche sollte endlich Klarheit bringen. Doch obwohl die Zeit drängt, endete es erneut ohne ein bindendes Abkommen.
Lösung dringend gesucht
Die Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre soll der größte Staudamm in Afrika werden: 1800 Meter lang, 155 Meter breit und mit einem Fassungsvermögen von 74 Milliarden Kubikmetern, so beschreibt die beauftragte Baufirma das Vorhaben. Wenn alle 16 Turbinen des angeschlossenen Wasserkraftwerks in Betrieb sind, sollen sie im Jahr 15.000 Gigawattstunden Strom erzeugen – so viel wie die drei bisher größten Wasserkraftwerke Afrikas zusammen: Cahora Bassa am Sambesi in Mosambik, Inga am Kongo-Fluss in der Demokratischen Republik Kongo und Assuan am Nil in Ägypten.
Doch ausgerechnet jenes ägyptische Wasserkraftwerk in Assuan ist laut Kevin Wheeler vom Environmental Change Institute der Universität Oxford nun eines der Probleme in den Verhandlungen: "Die Ägypter befürchten, dass der Wasserpegel im Reservoir von Assuan sinken wird, sobald das Reservoir am neuen äthiopischen Damm gefüllt wird." Um die eigene Stromproduktion nicht zu gefährden, wolle die ägyptische Seite deshalb, dass Äthiopien den Stausee möglichst langsam füllt, so Wheeler im DW-Interview. Äthiopien wiederum wolle so schnell wie möglich mit der Stromproduktion beginnen und deshalb keine Zeit verlieren. Eine Einigung ist derzeit nicht in Sicht.
"Verhandlungen zurück auf Null"
Dabei hatte eine Expertengruppe, zusammengesetzt aus jeweils fünf Entsandten der drei Länder, eigentlich schon im vergangenen Jahr einen möglichen Kompromiss erarbeitet. Doch auf der Ebene der Wasserminister seien die Verhandlungen plötzlich ins Stocken geraten, erklärt Feqiahmed Negash, Mitarbeiter der "Nile Bassin Initiative" (NBI). Nach monatelangem Hinhalten habe die ägyptische Seite im August schließlich überraschend einen neuen Entwurf präsentiert. Dieser sei allerdings schon im Vorfeld der jüngsten Verhandlungen diese Woche vom Sudan und Äthiopien abgelehnt worden. "Ich bin sicher, dass die Minister die meiste Zeit damit verbracht haben, zu diskutieren, welchen der eingebrachten Lösungsvorschläge sie eigentlich diskutieren wollen", so Negash im DW-Interview.
Es geht um Wassermengen, Garantien und Sonderregelungen im Fall von Dürrejahren. Von den rund 49 Milliarden Kubikmetern Wasser, die der Blaue Nil im Schnitt jährlich führt, soll Äthiopien während der Füllphase mindestens 40 Milliarden Kubikmeter weiter fließen lassen – so die Forderung aus Ägypten. Das Expertenteam hingegen hatte eine Mindestmenge von 35 Milliarden Kubikmetern vorgeschlagen. Diese Zahl sei nun offenbar hinfällig, befürchtet Feqiahmed Negash. "Das Expertenteam soll beim nächsten Treffen Anfang Oktober wieder die jeweiligen Vorschläge aus den Ländern prüfen. Das setzt die Verhandlungen zurück auf Null", so der Nil-Experte.
Angst vor Dürre
Weiterhin uneinig seien sich die drei Länder auch bei den Sonderregelungen im Falle von extremen Wetterereignissen während der Füllphase, sagt Kevin Wheeler von der Universität Oxford. Ägypten fordere beispielsweise, dass Äthiopien vertraglich zusichert, bei Dürre den Stausee weniger schnell zu füllen. Dabei sei gerade die geringere Abhängigkeit von jährlichen Regenmengen einer der künftigen Vorteile des Damms. "Durch die Speicherkapazität am oberen Flusslauf kann die Wassermenge in Dürreperioden angepasst werden und so den Ländern, die flussabwärts liegen, über die Dürrephase hinweg helfen", erklärt Wheeler.
Auch deshalb ist Wheeler "vorsichtig optimistisch", was ein baldiges Abkommen zwischen Äthiopien, Ägypten und dem Sudan angeht. "Die Länder haben die Notwendigkeit erkannt. Nun geht es um den politischen Willen." Der Damm biete für alle auch Vorteile, nicht nur Risiken, betont Wheeler. Und Feqiahmed Negash fordert: "Der Fluss gehört den drei Ländern, sie sollten an einem Tisch sitzen und eine Lösung finden. Das ist die einzige Möglichkeit, weiterzukommen."