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Vorratsdatenspeicherung in Deutschland

Heiner Kiesel6. Januar 2014

Justizminister Heiko Maas wehrt sich dagegen, eine Richtlinie der EU zur Vorratsdatenspeicherung umzusetzen - obwohl das beschlossene Sache schien. Es brodelt ein neuer Konflikt in der Koalition.

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Computerkabel - Foto: Thomas Kienzle (ddp)
Bild: AP

Die EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung solle nicht in deutsches Recht gegossen werden, solange der Europäische Gerichtshof nicht endgültig dazu geurteilt habe. Das sagte Maas (SPD) in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Spiegel".

Hintergrund ist, dass EU-Generalanwalt Pedro Cruz Villalón die Richtlinie der EU zur Vorratsdatenspeicherung überprüft hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Richtlinie gegen europäisches Recht verstößt. Sie sei mit dem "in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Erfordernis unvereinbar, dass jede Einschränkung der Ausübung eines Grundrechts gesetzlich vorgesehen sein muss". Tatsächlich aber stelle die Richtlinie einen "qualifizierten" Eingriff in das Grundrecht der Bürger auf Achtung ihres Privatlebens dar.

Allerdings ist Villalón nicht grundsätzlich gegen die Vorratsdatenspeicherung, die er als probates Mittel "zur Erreichung des Endziels", also der Kriminalitätsbekämpfung, bezeichnet. Der Generalanwalt legt auch nahe, die Fristen der Speicherung deutlich - etwa auf ein Jahr - zu verkürzen. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes wird im Frühjahr 2014 erwartet. Bei der EU arbeitet man bereits an einer Neufassung der Richtlinie.

Richtlinie von 2006 wurde in Deutschland nie umgesetzt

Die derzeit gültige EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 stellt fest, "dass Verkehrs- und Standortdaten für die Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten von großer Bedeutung sind". Das hätten wissenschaftliche und praktische Erfahrungen aus einigen Mitgliedsstaaten gezeigt.

Deswegen sollten überall in der Union Daten "für einen bestimmten Zeitraum unter den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen auf Vorrat gespeichert werden". Artikel 6 legt die Speicherungsfristen auf mindestens sechs Monate und höchstens zwei Jahre fest.

Europäischer Gerichtshof in Luxemburg - Foto: Robert B. Fishman (dpa)
Hier am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg soll über die EU-Richtlinie entschieden werdenBild: picture-alliance/dpa

Die Richtlinie sollte bis zum 15. September 2007 in nationales Recht gegossen werden, allerdings ist den Mitgliedsstaaten ein Aufschub bis Frühjahr 2009 eingeräumt worden. Es geht um Telefonverbindungen, IP-Adressen und Standortdaten von Mobilfunkgeräten. In Deutschland trat zu Beginn 2008 ein "Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG" in Kraft. Es sollte nicht lange Bestand haben.

Gegenwind für die EU-Richtlinie

Die Bestimmungen aus Brüssel trafen vor allem in Kreisen von Geheimdiensten und konservativen Sicherheitspolitikern auf Zustimmung. Verärgert waren hingegen die Telekommunikationsunternehmen, die die Kosten für die Speicherung der bei ihnen anfallenden Verbindungsdaten tragen sollten.

Vor allem aber Internetaktivisten und Datenschützer sorgten sich um ihre Daten und trugen ihre Bedenken vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Irland bemängelte in seiner Klage, dass die Richtlinie mit der Harmonisierung des Binnenmarkts begründet wird, aber nicht mit der polizeilichen und juristischen Zusammenarbeit bei Verbrechen und fordert, sie "für nichtig zu erklären, da sie nicht auf einer geeigneten Rechtsgrundlage erlassen worden ist".

In Deutschland sorgte der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung 2010 dafür, dass das Bundesverfassungsgericht das Telekommunikations-Überwachungsgesetz kippte. Das Gericht vermisste - mit Verweis auf Artikel 10 des Grundgesetzes, in dem das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis behandelt wird - "hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes." In Österreich klagten unter anderem das Bundesland Kärnten und mehrere tausend Bürger gegen die Umsetzung der Richtlinie vor dem Verfassungsgericht, das wiederum um eine Vorentscheidung des EuGH bat.

"Ja" zur Vorratsdatenspeicherung im Koalitionsvertrag

In Deutschland hatte es so ausgesehen, als ob der Streit zwischen Speicherungs-Befürwortern und -Kritikern mit der geballten Kraft der großen Koalition entschieden sein würde. Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD darauf verständigt, "die Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungen umzusetzen". Dadurch wollte man Zwangsgeldern durch den Europäischen Gerichtshof entgehen, heißt es in dem Papier.

Heiko Maas Justizminister - Foto: Hannibal (dpa)
Bundesjustizminister Heiko Maas will auf das Urteil des EuGH wartenBild: picture-alliance/dpa

Es sollte mit dem anstehenden Gesetz auch den frisch aufgeflammten Befürchtungen begegnet werden, die durch die Daten- und Spähaffären der vergangenen Monate genährt wurden: Offenbar um einem Missbrauch durch ausländische Firmen, Organisationen und Geheimdienste vorzubeugen, sollten die deutschen Verbindungsdaten nur auf Servern in Deutschland erfolgen. Die Regierungspartner wollten sich auch dafür einsetzen, dass die Speicherfrist in der EU auf drei Monate verkürzt wird. Nur ein Richter sollte demnach den Zugriff auf die Daten der Bundesbürger anordnen dürfen, und das auch nur bei besonders schweren Verbrechen und akuter Gefahr.

Der Koalitionsvertrag wurde - zwei Wochen vor dem Gutachten von EU-Generalanwalt Cruz Villalón - Ende November 2013 unterzeichnet. Die Vorratsdatenspeicherung sollte mit einem der ersten Gesetze der neuen Regierung geregelt werden. Das wird schwierig, aber Ende des Monats will das Kabinett darüber beraten.

Innenminister gegen Justizminister

Ungeachtet der Bedenken des sozialdemokratischen Justizministers möchte die CDU/CSU an diesem Plan weiter festhalten. So hat der seit Dezember amtierende Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) seinen Kabinettskollegen Maas darauf hingewiesen, dass Villalóns Forderungen im Sinne des Koalitionsvertrag seien, auch wegen der von ihm geforderten kürzeren Speicherfristen. "Wir müssen uns wohl alle noch daran gewöhnen, dass wir jetzt Koalitionspartner sind", zitiert die Nachrichtenagentur dpa de Maizière.

Thomas de Maiziere Bundesinnenministerium - Foto: Adam Berry
Bundesinnenminister Thomas de Maizière will an der Vorratsdatenspeicherung festhaltenBild: Getty Images

Erwartungen bei Richtlinien-Kritikern geweckt

Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar aber sieht die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland nicht so einfach wie Bundesinnenminister de Maizière. "Die schnelle Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung auf Basis einer offensichtlich europarechtswidrigen Richtlinie darf nunmehr nicht mehr ernsthaft in Erwägung gezogen werden", sagt er. Seine Nachfolgerin im Amt, Andrea Voßhoff, glaubt allerdings an das massenhafte Vorhalten von Kommunikationsdaten im Kampf gegen das Verbrechen, ebenso wie an Onlinedurchsuchungen und Internetsperren.

Jens Kubieziel vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hingegen verspricht Maas volle Unterstützung beim Aussetzen des Gesetzgebungsverfahrens. "Das Vorratsdenken ist totalitär und stellt eine der größten Gefahren für unser Recht auf ein selbstbestimmtes Leben dar", sagt der Datenschutz-Aktivist.

Die Linkenfraktion im Bundestag hofft in den kommenden Wochen auf eine Kehrtwende bei der Überwachung der Telekommunikation. "Die Koalitionsvereinbarung zur Vorratsdatenspeicherung ist völlig realitätsfern und politisch aberwitzig", meint Jan Korte, innenpolitischer Experte der Linken.

Er macht sich Sorgen um die Privatsphäre der Bürger und ist ganz und gar nicht davon überzeugt, dass Vorratsdatenspeicherung ein wirksames Mittel gegen den Terror sei. "Wir haben nach der Aussetzung der Vorratsdaten-Speicherung gesehen, dass es nicht mehr Straftaten gegeben hat, dass die Kriminalität nicht explodiert ist." Das deckt sich auch mit Beobachtungen aus den USA - dem gefühlten Mutterland der Datenauswertung. Dort wird in Justizkreisen bezweifelt, dass es auch nur ein einziges Beispiel gebe, das den großen Aufwand der Datenaufbewahrung und -auswertung rechtfertige. Auch in Deutschland ist ein solches noch nicht augenfällig geworden.