Vereint in Wut gegen Erdogan
24. Mai 2014Es ist laut am Kölner Ebertplatz. "Her yer Taksim, her yer direniş!" - zu deutsch: überall ist Taksim, überall ist Widerstand! - skandiert die Menge. Etwas abseits steht Tarek Mufti und bastelt ein Schild aus Pappkarton. "Was soll ich draufschreiben?", fragt er Gönül Aksünger, die neben ihm steht. Ihre entschiedene Antwort: Der Satz "Tayyip Erdoğan ist ein Diktator" muss auf dem Schild stehen. Beide haben sich auf dem Weg zur Gegendemonstration in der S-Bahn kennengelernt. Den jungen Syrer und die türkischstämmige Mittvierzigerin eint vor allem eines: der Unmut gegen den türkischen Ministerpräsidenten.
Unter dem Motto "Wir sagen Nein zu Erdogan" hat die Alevitische Gemeinde Deutschland anlässlich der Rede Erdogans in der Kölner Arena zur Gegendemonstration aufgerufen. Um die 30.000 Teilnehmer sind dem Aufruf gefolgt. Gönül Aksünger findet, dass die Ungerechtigkeiten, die in der Türkei stattfinden, Grund genug sind, um gegen den türkischen Ministerpräsidenten auf die Straße zu gehen: "Er nutzt den Demokratiebegriff aus. Wir wissen aber sehr gut, was er den Minderheiten in der Türkei angetan hat, was unsere Familien erlebt haben." Den Besuch Erdogans, so erklärt sie, empfinde sie deshalb als Beleidigung. Erdogans Umgang mit Minderheiten ist ein Grund, aus dem die alevitische Gemeinde eine breite Mobilisierung veranlasst hat. Aleviten sind in der Türkei als Religionsgemeinschaft nicht anerkannt und werden häufig diskriminiert. Heute sind aus dem gesamten Bundesgebiet Mitglieder der Vereine angereist, auch Transparente auf Französisch und Niederländisch zieren den Demonstrationszug. Die Stimmung ist kämpferisch und entschlossen. Immer wieder fordern die Gegner Erdogans seinen Rücktritt.
Schwarzbemalte Gesichter und Grubenhelme
Viele von ihnen solidarisieren sich mit den verunglückten Arbeitern aus dem Kohlebergwerk in Soma. Vor anderthalb Wochen sind über 300 Menschen in den Minen ums Leben gekommen. Dieser Vorfall wurde in den vergangenen Tagen am häufigsten im Zuge der Kritik an Erdogans Auftritt in Köln genannt. Özge K. kann es ebenfalls nicht nachvollziehen, wie der türkische Ministerpräsident nach diesem Unglück in Deutschland auftreten kann. Wie viele andere an diesem Nachmittag hat sich die Lehramtsstudentin das Gesicht schwarz angemalt und einen gelben Bauhelm aufgesetzt, um sich mit den Arbeitern zu solidarisieren. Auch sie kritisiert den Umgang des türkischen Ministerpräsidenten mit den verunglückten Arbeitern in Soma. "Susma, sustukca, sıra sana gelecek" - hör auf zu schweigen, denn wenn du weiterhin schweigst, kommst du selbst an die Reihe - tönt es vielstimmig aus der Menge.
Auf der anderen Seite des Rheins hat sich dagegen nur ein kleines Grüppchen von Demonstranten versammelt. Die rechtspopulistische Partei Pro Köln hat gemeinsam mit dem Landesverband Pro NRW vor dem Hauptbahnhof einen Wahlkampfstand aufgebaut und hält eine Kundgebung ab. Viele Unterstützer finden sie nicht, von den angekündigten 30 Teilnehmern sind gerade einmal 15 gekommen. Ihre Parolen von sogenannten Asylbetrügern finden kaum Zuspruch: Gleich zu Beginn der Kundgebung werden sie von Gegnern und Passanten ausgebuht und ausgepfiffen.
Währenddessen machen sich am Ebertplatz die letzten Demonstranten auf den Weg zum Protestzug durch die Stadt. Das Fahnenmeer ist vielfältig: Türkei-Flaggen, teilweise mit dem Konterfei des Republikgründers Atatürk, reihen sich neben Parteilogos von den Grünen und Linken ein. Ganz so gut verstehen sich die unterschiedlichen Gruppen dann aber doch nicht: Neben Kemal Atatürk sind auch Fahnen mit Abdullah Öcalan, Führer der PKK, der kurdischen Arbeiterpartei, zu sehen. Als Jugendliche "Hoch lebe Präsident Öcalan!" rufen, werden sie von den Kemalisten ausgebuht. Davon abgesehen, bleibt es auf der Gegendemonstration aber friedlich.
Erdogan auf Stimmenfang?
Auch die 16-jährige Schülerin Destina hat sich eine Kurdistan-Flagge um die Schultern geschwungen. Sie hat über soziale Netzwerke von der Demonstration erfahren und ist mit ihren Freundinnen und ihrer Familie dort. In der Türkei gebe es keine Demokratie, sagt sie. Das Land sei zu sehr von einer Türkisierung und Islamisierung geprägt. Sie glaube auch nicht, dass Erdogan tatsächlich nur wegen des 10-jährigen Jubiläums der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) nach Köln gekommen ist. "Er möchte für die Präsidentschaftswahlen Stimmen sammeln", erklärt sie bestimmt. Obwohl Destina sowohl die türkische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat, könnte sie ohnehin nicht wählen, falls sich der türkische Ministerpräsident für die Präsidentschaftswahlen im August aufstellen lässt. Sie ist mit ihren 16 Jahren noch zu jung. Trotzdem betont sie, wie wichtig Beteiligung sei: "Wenn man etwas ändern will, muss man aktiv werden."