Vereinsamt vernetzt
18. November 2002Agenturen, Beerdigungsinstitute und Selbsthilfegruppen haben einen neuen Markt für Trauernde geschaffen: Je pompöser die Internet-Denkmäler für die Verstorbenen, desto besser. Weil nicht-kommerzielle Angebote bislang fehlten, hat die evangelische Kirche eine eigene Website geschaltet.
Surfen im "Trauernetz"
Meereseinsamkeit, der Wind pfeift um die Ohren, ein welkes Blatt sinkt langsam zu Boden. Ein Klick führt zu Gebeten, Lyrik, Meditation oder zu einem Trauerbuch, in dem eigene Gedanken formuliert werden können:
Ich fühle mich...
traurig
einsam
schuldig
wütend
Ich lebe mit...
Angst
Fragen
Träumen
Mächten
Ich möchte...
Trost
Frieden
weinen
loslassen
Das Trauernetz der evangelischen Kirche hat für Selbstzweifel, Anklage, Wut und Hilflosigkeit ein Forum geschaffen. Kostenlos und seriös, betont Ralf Peter Reimann, Internetbeauftragter der Rheinischen Kirche. "Wir wollen Menschen ein Angebot machen, von dem wir selbst überzeugt sind. Das, was die Kirche macht, macht sie aufgrund ihres Auftrages."
Ein Jahr lang hat eine fünfköpfige Projektgruppe unter Leitung von Ralf Peter Reimann die virtuellen Trauerseiten für die evangelische Kirche in Deutschland entwickelt. Neben den emotionalen Texten, Bildern und Musik gibt es auch jede Menge Adressen: Selbsthilfegruppen, Telefon-Seelsorge und Kirchengemeinden vor Ort. Die Seiten sind übersichtlich und einfach gestaltet. Bewusst fehlt das übliche Pathos der virtuellen Trauer. "Wir sehen hier zum Beispiel eine private Homepage von einer Familie, die ihr kleines, ungeborenes Kind verloren hat. Wir hören Musik im Hintergrund. Jeder noch so kurze Lebensabschnitt des Kindes von der Geburt bis zum Tod wird im Internet durch Fotos dokumentiert", erläutert Reimann am Bildschirm.
Konkurrenz der "Profi-Netzbestatter"
Wer es in Bild und Ton professioneller haben möchte, kann sich mittlerweile an diverse Agenturen wenden. Zum Beispiel an die "Hall of Memory", die seit vier Jahren ihre Dienste im Netz anbietet. Sie gestaltet virtuelle Grabsteine für 200 bis 2500 Euro. Doch auch Versicherungen, Reiseveranstalter und Beerdigungsinstitute haben den virtuellen Trauermarkt für sich entdeckt. Ob sich die Kirche unter die kommerziellen und zum Teil unseriösen Anbieter mischen sollte, ist intern lange diskutiert worden.
Ralf Peter Reimann hält es für ein Muss. "Das wichtigste ist, dass wir auch im Netz der Netze Präsenz zeigen. Tod und Trauer sind Themen, die uns angehen. Und letztendlich - so ist es im Internet - gewinnt der, der das bessere Angebot macht." Einen Pluspunkt hat die evangelische Kirche: Keine andere Organisation hat bundesweit so viele Seelsorger zur Vermittlung und eine so große Erfahrung in der Trauerbegleitung. Gerade hier stößt das Internet an seine Grenzen. Für die Bewältigung der realen Trauer braucht der Mensch manchmal eben doch den realen Menschen.