Verdrängen und Vergessen
25. Juli 2013Besonders enttäuscht sind viele Radsportfans in Deutschland von Ex-Spintstar Erik Zabel. Der frühere Publikumsliebling, der viele Zuschauer der Kino-Dokumentation "Höllentour" (2004) mit Schlagfertigkeit und Wortwitz für sich einnahm, hat offenbar bei seinem Doping-Geständnis 2007 nicht die Wahrheit gesagt. Unter Tränen hatte Zabel erklärt, 1996 ein einziges Mal EPO probiert und es wegen Unverträglichkeit dann wieder gelassen zu haben. Begründet hatte er sein Geständnis nicht mit dem damals herrschenden öffentlichen Druck, sondern mit der Offenheit gegenüber seinem Sohn Rick, der sich inzwischen anschickt, in die Fußstapfen des Vaters zu treten und kürzlich als hoffnungsvolles Talent seinen ersten Profivertrag bei einem World-Tour-Team (BMC) unterschrieben hat. "Wenn ich von meinem Sohn erwarte, dass er ein guter Mensch wird, kann ich ihn nicht weiter anlügen", hatte Vater Erik 2007 gesagt. Zabels Version der Vergangenheit ist nach dem Bericht des französischen Senats nun kaum noch zu halten.
Zabel will erstmal "in sich gehen"
"Ich muss erstmal den offiziellen Bericht abwarten und in mich gehen. Ich weiß nicht, welche Proben analysiert wurden. Das muss man sehen, und dann wird es auch eine Stellungnahme geben", sagte Zabel der Bild-Zeitung. Ein klares Dementi klingt anders. Ernste Konsequenzen drohen Zabel aber wie den anderen im Bericht genannten Fahrern ohnehin kaum. Der Weltradsportverband UCI hat in einer Stellungnahme zum Bericht des französischen Senats - offenbar ohne eine detaillierte Kenntnis des Papiers - disziplinarische Maßnahmen gegen die ertappten Fahrer bereits ausgeschlossen. Stattdessen kritisierte die UCI die Tatsache, dass Namen öffentlich gemacht worden seien, weil "nicht bewiesen werden konnte, dass die betroffenen Fahrer gedopt hatten und keine B-Probe als mögliche Verteidigung verfügbar war".
Der Weltverband sprach von nicht eingehaltenen Standards der Tests. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse über den Radsport Ende der 90er Jahre würdigte die UCI nicht. Ähnliches gilt für den Bund Deutscher Radfahrer (BDR), dessen Präsident Rudolf Scharping Schlussfolgerungen aus der Doping-Vergangenheit für die angeblich saubere Gegenwart strikt ablehnte.
Dopen, lügen und trotzdem weitermachen
Ganz so trennscharf ist die Sache allerdings nicht: Da wäre zum Beispiel der Fall Jens Heppner. Der ehemalige Telekom-Profi war einer der wichtigsten Helfer für Jan Ullrich und Erik Zabel, fuhr selbst zehn Tage lang im Rosa Trikot des Führenden beim Giro d'Italia. Stets hat er Doping geleugnet, obwohl ein Großteil seiner Teamkollegen von damals mittlerweile geständig sind. Nun holte den Leugner Heppner die Vergangenheit ein: Ihm wurde ein positiver Nachtest zugeordnet. Heppner ist inzwischen Sport-Direktor des deutschen Netapp-Endura-Rennstalls, immerhin das beste Profiteam in Deutschland. Muss Heppner seinen Posten in der Équipe, die der Rennstall-Initiative "Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport" angehört, nun räumen? Nein.
"Die Nachtests von 1998 stehen in keinem Zusammenhang mit der erfolgreichen Arbeit, die Jens Heppner bei uns im Team seit 2010 leistet", wird Netapp-Teamchef Ralph Denk in einer Stellungnahme des zweitklassigen Rennstalls zitiert. "Ich weiß, dass die Ergebnisse mit der Art, wie wir seit vier Jahren erfolgreich eine neue Generation von Radsportlern fördern, nichts gemeinsam haben. Unser Team steht für einen absolut sauberen Radsport. Deshalb schauen wir nach vorn." Ein überführter Doping-Sünder, der jahrelang gelogen hat, darf weiter eine Profimannschaft leiten - was in Deutschland funktioniert, geht im Nachbarland Niederlande offenbar nicht.
Blijlevens muss gehen
Das dort beheimatete Profiteam Belkin hat sich mit sofortiger Wirkung von Sportdirektor Jeroen Blijlevens getrennt, der ebenfalls auf der Liste des französischen Senats steht. "Wir als Mannschaft setzen großen Wert auf Transparenz und Vertrauen und sehen keinen Weg, nach den jüngsten Entwicklungen weiter mit Blijlevens zusammenzuarbeiten", hieß es in einer Stellungnahme. Jeroen Blijlevens, der sich in den 90er Jahren enge Sprintduelle mit Erik Zabel lieferte, hatte kürzlich noch schriftlich versichert, niemals gedopt zu haben.
Und Erik Zabel? Der muss sich ebenfalls keine allzu ernsten Gedanken um seinen Sprint-Beraterjob im russischen Katusha-Rennstall machen. Teamchef ist der russische Ex-Profi Wjatscheslaw Jekimow, der als treuer Helfer von Lance Armstrong lange Jahre im Doping-Rennstall US Postal fuhr. Allenfalls Zabels Job als Sportdirektor des größten deutschen Radrennens, der Hamburger Cyclassics, ist ungewiss. Doch unter dem Strich sind die Konsequenzen für die im Senatsbericht gelisteten Fahrer überschaubar. So distanzierte sich bisher weder die Radmarke Canyon von Zugpferd Erik Zabel noch der Shampoo-Hersteller Alpecin (Werbeslogan: "Doping für die Haare") von Markenbotschafter Jan Ullrich. Die ehemaligen Rad-Idole sitzen trotz der Enthüllungen weiter fest im Sattel - vermutlich, weil ohnehin alle damit gerechnet hatten.
"Nahezu alle haben gelogen"
Und schließlich bringt die Reaktion der Radsportwelt ausgerechnet einer auf den Punkt, der vorgeblich als ihr Verstoßener angesehen wird: Lance Armstrong. Der erst überführte und dann geständige US-Profi forderte nach dem Senatsbericht einen Abschluss der Vergangenheitsbewältigung im Radsport. "Wenn wir uns nicht zusammensetzen und einen Schlussstrich ziehen, dann sind wir alle angeschissen", sagte der 41jährige Nicht-mehr-Toursieger in seinem üblichen direkten Ton. "Nahezu alle von uns haben die Regeln gebrochen und gelogen." So weit, so richtig. Das Problem ist nur: Wer garantiert, dass sich daran etwas geändert hat?