Norwegisches Strafrecht
28. Juli 2011Erstmals wird der Völkermord an den Armeniern 1915 im Osmanischen Reich als Verbrechen gegen die Menschheit bezeichnet. Zumindest waren es die Entente-Mächte England, Frankreich und Russland, die der damaligen jungtürkischen Regierung drohten, "dieses Verbrechen gegen die Menschheit und gegen die Zivilisation würde weiter verfolgt".
Eingang in das internationale Rechtssystem fand der Begriff 1946 bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zur Verurteilung der Verantwortlichen für die NS-Verbrechen. Mit der sogenannten Londoner Charta verständigten sich die Alliierten Mächte erstmals auf einen internationalen Rechtsbegriff: "crime against humanity" - Verbrechen gegen die Menschheit.
Die in Deutschland vorgenommene und ebenfalls mögliche Übersetzung "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" wurde von der Philosophin Hannah Arendt und ihrem Kollegen Karl Jaspers übrigens zurückgewiesen: "Als hätten es die Nazis lediglich an Menschlichkeit fehlen lassen, als sie Millionen in die Gaskammern schickten."
Grundlage für den Internationalen Strafgerichtshof
Als Straftatbestand fand der Begriff "Verbrechen gegen die Menschheit" später Eingang in die Statuten des Jugoslawien-Tribunals und des Ruanda-Tribunals, und er ist heute Bestandteil des 2002 in Kraft getretenen Rom-Statuts - der Rechtsgrundlage des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag.
Jens Dieckmann, Anwalt für Internationales Strafrecht in Bonn, definiert "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" als schwere Verletzung von Menschenrechten, die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung stattfinden, wobei dieses Verbrechen sowohl im Krieg als auch in Friedenszeiten begangen werden kann. Deutschland, aber auch Norwegen, denn beide sind Unterzeichnerstaaten des Rom-Statuts, haben den Straftatbestand in nationales Recht umgesetzt. "So kann es eben sein, dass Norwegen in Norwegen gegen einen Norweger Völkerstrafrecht anwendet, wegen der von ihm verübten Verbrechen an norwegischen Staatsbürgern", so Dieckmann weiter.
Nationaler Rechtsweg hat Vorrang
Das ist ganz im Sinne des Rom-Statuts, das vorschreibt, solche Straftaten vor allem national zu verfolgen. Nur wenn der Staat nicht will oder kann, landet der Fall vor dem Internationalen Strafgerichtshof. So geschehen bei der Verfolgung der Menschenrechtsverbrechen, die die Rebellen der "Lord Resistance Army" im ugandischen Bürgerkrieg verübten. Die Regierung in Kampala bekundete zwar den Willen zur Verfolgung der Straftaten, sah sich jedoch angesichts der instabilen Verhältnisse im Land letztlich dazu außer Stande. So übertrug sie den Fall an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
In Deutschland hat die Staatsanwaltschaft erstmals in diesem Jahr im Falle der mutmaßlichen ruandischen Rebellenführer Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni vom Völkerstrafrecht Gebrauch gemacht. Den beiden in Deutschland lebenden Ruandern, die derzeit in Stuttgart vor Gericht stehen, wird vorgeworfen, von Deutschland aus die Miliz "Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas" (FDLR) koordiniert zu haben. Die FDLR ist nach Angaben der Vereinten Nationen für zahlreiche Verbrechen, darunter auch Verbrechen gegen die Menschheit im Osten der Demokratischen Republik Kongo, verantwortlich.
Offen ist die Organisation
Im Fall des norwegischen Attentäters Anders Breivik dürfte eine Anklage nach internationalem Völkerstrafrecht - auf dem ja auch der norwegische Strafrechtsparagraph zu Verbrechen gegen die Menschheit fußt - angesichts der bisherigen Ermittlungsergebnisse schwierig sein. Zwar ist die Tötung von Menschen in Verbindung mit Hass und Verfolgung einer Gruppe aus politischen, ethnischen oder rassistischen Gründen durchaus ein Verbrechen gegen die Menschheit. Eine Verurteilung nach dem Deutschen Völkerstrafrecht würde allerdings, so Rechtsanwalt Dieckmann, etwas weiteres voraussetzen: Der Täter muss "zur Unterstützung eines Staates oder einer Organisation handeln, die den Angriff zum Ziel hatte".
Zwar behauptet der Täter, es gäbe da noch sogenannte "Zellen" mit Gleichgesinnten. Die Ermittler in Norwegen haben solche Zusammenhänge jedoch bisher nicht bestätigt. Erst wenn deutlich würde, dass es eine Organisation oder Gruppierung gibt, die solche Taten zum Ziel hat, wäre es möglich - so zumindest das deutsche Völkerstrafrecht - dies als Menschenrechtsverbrechen weiter zu verfolgen. Aber auch ohne eine solche Anklage, die in Norwegen 30 Jahre Haft zur Folge hätte, droht dem Täter wegen der Ermordung von 76 Menschen eine langjährige Haftstrafe.
Autorin: Ulrike Mast-Kirschning
Redaktion: Klaus Dahmann