Verbrannte Kunst – verbannte Künstler
6. Mai 2009Vor gut einem Jahr entschied die Bundesregierung, mit dem Aufbau einer Dokumentationsstätte in Berlin ein "sichtbares Zeichen gegen Flucht und Vertreibung" zu setzen. Mehr als sechzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sei es an der Zeit, im Geiste der Versöhnung an das Schicksal von Vertriebenen - darunter rund 12 Millionen Deutsche - zu erinnern. Dieses "sichtbare Zeichen" solle dazu beitragen, das Gedenken an ein "Jahrhundert der Vertreibungen" wach zuhalten, Geschichte gemeinsam mit den Nachbarländern aufzuarbeiten und die junge Generation an das Thema heranzuführen, so die Erklärung von Kulturstaatsminister Bernd Neumann.
Heftige Debatten
Über die Rolle, die der "Bund der Vertriebenen" - insbesondere seine Vorsitzende Erika Steinbach - in der Bundesstiftung einnehmen sollte, war lange und heftig gestritten worden, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen und Tschechien. Kritiker bemängelten den Einfluss des BdV, dem sie Revanchismus vorwarfen, sie befürchteten Geschichtsklitterung und die Selbststilisierung der Deutschen zu Opfern eines Krieges, den sie ja 1939 selbst angezettelt hatten. Steinbach hatte im März 2009 vorläufig auf diesen Sitz verzichtet, ihren Anspruch aber nicht vollständig aufgegeben.
Sichtbares Zeichen
Ein "sichtbares Zeichen" für die vertriebenen Intellektuellen fordert jetzt eine Initiative in einem Petitionsentwurf. Dichter wie Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Else Lasker-Schüler, Stefan Zweig. Maler wie Max Ernst oder Paul Klee. Die Komponisten Arnold Schönberg und Paul Hindemith. Die Philosophin Hannah Arendt. Der Wissenschaftler Albert Einstein. Dirigenten, Filmemacher, Theaterleute. Für tausende Intellektuelle begann mit dem Beginn der Naziherrschaft eine oft jahrelange Leidenszeit. Ihre Werke wurden geächtet und verbrannt, sie selbst verfolgt und schließlich aus Deutschland vertrieben.
Prominente Unterstützer
"Die Vertreibung begann schon 1933. Was 1945 und danach geschah, war die Folge davon", sagt Hajo Jahn, der Vorsitzende der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft in Wuppertal. Er möchte, dass das in Berlin geplante "Zentrum gegen Vertreibung" auch an die Schicksale verfolgter Künstler erinnert. Diese Forderung ist in einem Petitionsaufruf enthalten, der dem Bundestag vorliegt. Zu den Erstunterzeichnern zählen die Schauspielerin Hannelore Hoger, der Präsident des PEN-International, Jiri Grusa, der frühere polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski, Johannes Gerster, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Rudolf Dreßler, ehemaliger deutscher Botschafter in Israel, die deutsche Bischöfin Maria Jepsen, der Schriftsteller Erich Loest. Mit dabei sind auch der Deutsche Journalistenverband und der polnische Schriftstellerverband.
"Die Geschichte des Exils ist eine Geschichte von persönlichen Schicksalen, die mehr sagen als abstrakte Zahlen", heißt es in dem Aufruf. Die Biographien der Geächteten sollten aus dem Gedächtnis der Nation getilgt werden. "Doch gerade sie sind es, auf die wir stolz sein können".
Ein europäisches Projekt
Hajo Jahn erinnert daran, dass die Verfolgten in den USA, Frankreich, Spanien, der damaligen Tschechoslowakei, der Türkei und anderswo nicht nur Schutz und Zuflucht fanden. Sie hätten auch das kulturelle Leben in diesen Staaten bereichert. "Die Vertreibung der Künstler und Intellektuellen ist somit nicht nur ein nationales, sondern ein internationales Thema." Er und seine Mitstreiter schlagen daher vor, das Kapitel symbolisch, aber nicht räumlich in die Bundesstiftung für das Berliner Zentrum zu integrieren. Die Schicksale der Betroffenen selbst sollten am besten dezentral behandelt werden: in einem "Zentrum der verfolgten Künste zur Förderung demokratischer Erinnerungskultur". Der Vorsitzende der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft denkt auch daran, andere Länder an dem Projekt zu beteiligen. "Europa könnte ein Dach für so etwas bilden", sagt er. Für die jüngere Generation ließen sich so auch aktuelle Bezugspunkte denken. "Erinnerungsarbeit für die Jugend können wir nur am Beispiel der besten Köpfe machen".
Kompliziertes Verfahren
50.000 Unterschriften müssen bis zum 10.Juni zusammenkommen, damit sich der Petitionsausschuß im Bundestag des Themas annimmt. Das elektronische Anmeldeverfahren ist nicht einfach. "Zu kompliziert für Menschen, die nicht ständig mit dem Internet zu tun haben", moniert Hajo Jahn. Schaffen sie das Quorum nicht, so sind die Initiatoren dennoch optimistisch: Nach der Bundestagswahl werden sie das Thema wieder auf den Tisch bringen. Die dafür notwendigen Kontakte sind schon geknüpft.
Autorin: Cornelia Rabitz
Redaktion: Sabine Oelze