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Ukraine: USA wollen Weltkriegsgesetz erneuern

29. April 2022

Im Zweiten Weltkrieg half der "Lend-Lease Act" Präsident Roosevelts mit, die Nazis zu besiegen. Nun könnte er zur schnellen, unbürokratischen Lieferung von Waffen und Hilfsgütern für die Ukraine wiederaufgelegt werden.

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Josef Stalin, Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill auf der Konferenz von Teheran November 1943
Josef Stalin, Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill auf der Konferenz von Teheran November 1943Bild: AP/picture alliance

Es ist der 17. Dezember 1940, als Franklin D. Roosevelt die USA daran erinnert, wie wichtig es ist, in einer Notsituation einen Gartenschlauch zu haben. Fünf Wochen zuvor hatte die deutsche Luftwaffe die englische Stadt Coventry dem Erdboden gleich gemacht, Großbritanniens Hauptverbündeter Frankreich war schon vor Monaten durch die Nazis besiegt worden, der britische Premierminister Winston Churchill hatte daraufhin Anfang Dezember dem US-Präsidenten einen verzweifelten Brief geschrieben, mit dem flammenden Appell, Zerstörer gegen die deutschen U-Boote zu liefern.

Roosevelt tritt deswegen ein gutes Jahr nach Beginn des Zweiten Weltkrieges vor die Presse und erklärt seinen Landsleuten schon einmal vorab das Leih- und Pachtgesetz, das er am 11. März 1941 unterzeichnen wird: "Wenn es bei meinem Nachbarn brennt, dann werde ich ihm selbstverständlich meinen Gartenschlauch leihen und nicht zu ihm sagen: 'Herr Nachbar, der Schlauch hat 15 US-Dollar gekostet, Sie müssen mir jetzt die 15 US-Dollar zahlen.' Ich will nicht die 15 US-Dollar - ich will meinen Gartenschlauch zurück, wenn Sie das Feuer gelöscht haben."

Die USA verleihen ihren Gartenschlauch, unter der Bezeichnung "Lend-Lease Act", an Frankreich und an China, vor allem aber an Großbritannien und später an die Sowjetunion im Kampf gegen die Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan. Schwere Waffen, Munition, Fahrzeuge, Benzin, Flugzeuge und Nahrungsmittel wie Büchsenfleisch im Gesamtwert von knapp 50 Milliarden US-Dollar werden geleast, mit der Möglichkeit, später zu bezahlen - bis das Programm im August 1945, kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges, ausläuft. 

Kriegsentscheidende Hilfe für Großbritannien und die Sowjetunion

"Lend-Lease war absolut notwendig für die Fähigkeit Großbritanniens und der Sowjetunion, den Krieg zu führen. Anfang 1941, kurz vor der Verabschiedung des Lend-Lease-Gesetzes, teilt Churchill dem britischen Monarchen König George VI. mit, dass Großbritannien ohne es nicht in der Lage sein würde, weiterzumachen und den Krieg zu gewinnen", sagt Charlie Laderman.

Charlie Laderman | Dozent für Internationale Geschichte am King's College in London
"Roosevelt konnte mit Lend-Lease sagen, dass keine US-Amerikaner in den Krieg ziehen müssen" - Charlie LadermanBild: Privat

Laderman ist Historiker und Dozent für Internationale Geschichte am King's College in London. In seinem Buch "Fünf Tage im Dezember" hat er zusammen mit dem irischen Historiker Brendan Simms minutiös rekonstruiert, wie Ende 1941 nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbour und der deutschen Kriegserklärung an die USA die Niederlage der Achsenmächte ihren Anfang nahm. Das Leih- und Pachtgesetz sei kriegsentscheidend gewesen,vor allem die Unterstützung für die Sowjetunion.

"Es gab den sowjetischen Streitkräften die Mobilität, die sie für ihre Vorstöße von 1943 bis 1945 benötigten. Die Sowjets leugneten dies nach dem Krieg, aber sogar Wladimir Putin hat dies später zugegeben", sagt Laderman. Die Rote Armee rückte mit Unterstützung von Zehntausenden Lastwagen des US-Autobauers Studebaker voran. Auch die Kriegswende in Stalingrad 1942 hätte ohne das Leih- und Pachtgesetz so nicht stattgefunden, sind sich viele Historiker sicher.

Der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow erzählte, dass Stalin ihm einmal gesagt habe: "Wenn die Vereinigten Staaten uns nicht geholfen hätten, hätten wir den Krieg nicht gewonnen. Wenn wir Nazi-Deutschland eins zu eins hätten bekämpfen müssen, hätten wir dem Druck Deutschlands nicht standhalten können und wir hätten den Krieg verloren." Auf der Konferenz der Alliierten in Teheran Ende 1943 erhebt Stalin, der in der Heimat die Lieferungen verschweigt, sogar sein Glas auf die US-amerikanische Automobil- und Ölindustrie.

Leih- und Pachtgesetz passiert US-Senat

Knapp acht Jahrzehnte später erinnern sich zwei Senatoren an das Leih- und Pachtgesetz, das im Zweiten Weltkrieg mithalf, die Nazis in die Knie zu zwingen: John Cornyn, der seit 20 Jahren den Bundesstaat Texas im Senat vertritt, und sein demokratischer Kollege Ben Cardin aus Maryland bringen den "Ukraine Democracy Defense Lend-Lease Act" am 6. April als Gesetzesentwurf in die Kammer ein, die ihn einstimmig verabschiedet. Wenn die Initiative auch das Repräsentantenhaus passiert, können die USA zwei Jahre lang Waffen und andere Hilfsgüter schneller und unbürokratischer an die Ukraine liefern.

USA Washington 2021 | John Cornyn, Senator Texas
"Wir haben die Verantwortung, der Ukraine zu helfen, seine Souveränität und Demokratie zu verteidigen" - John CornynBild: Kevin Dietsch/Getty Images

"Wenn wir glauben, dass die USA Freiheit und Demokratie unterstützen, müssen wir die Ukraine mit den Waffen ausstatten, die notwendig sind, um ihre Bürger zu schützen. Ich fordere das Repräsentantenhaus auf, dieses Gesetz so schnell wie möglich zu verabschieden, damit unsere Versprechen an unsere Verbündeten nicht verhallen", sagt Cornyn. Schon jetzt beträgt die US-amerikanische Militärhilfe seit Kriegsbeginn 3,7 Milliarden US-Dollar.

Wiederholt sich Geschichte?

Kann das Leih- und Pachtgesetz wie vor 80 Jahren also ein Game-Changer sein, wie es sich die USA erhoffen? Und wie lässt sich die Situation von heute mit der von damals vergleichen? "Es bleibt unklar, ob die Hilfe zur Verteidigung ausreichen wird, um Putin zu schlagen", sagt der Historiker Laderman. Die Welt sei heute jedenfalls eine andere, und Putin sei nicht Hitler. "Aber bei der Bekämpfung von Putins Angriffskrieg stehen die westlichen Staatsmänner vor dem gleichen Dilemma wie ihre Vorgänger 1941. Für Hitler war das Leih- und Pachtgesetz auch ohne formelle Erklärung gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung der USA."

Nato-Sondergipfel (v.l.): Ursula von der Leyen, Fumio Kishida, Justin Trudeau, Joe Biden, Olaf Scholz, Boris Johnson
Wie auf Putin reagieren? Der NATO-Sondergipfel am 24.März 2022 in BrüsselBild: Sean Kilpatrick/The Canadian Press/AP/picture alliance

Die Vereinigten Staaten wurden im Zweiten Weltkrieg durch das Leih- und Pachtgesetz zum Waffenarsenal der Alliierten, auch jetzt sind die USA das Land, das die meisten Waffen an die Ukraine liefert: Haubitzen, Hubschrauber russischer Bauart, gepanzerte Mannschaftstransporter, Drohnen. Der Westen, so Laderman, müsse nun genau beobachten, wie Russland auf ein Leih- und Pachtgesetz 2.0 reagiert: "Putin sah sich bereits in einem Konflikt mit dem Westen gefangen, für ihn macht es keinen Unterschied, ob es eine indirekte oder direkte Unterstützung für die Ukraine gibt. Es ist also unwahrscheinlich, dass die Verabschiedung des Leih- und Pachtvertrages für Putin einen Wendepunkt darstellt. Andererseits zeigt dieser Konflikt aber auch, dass Putin, wie Hitler, zu katastrophalen Spielchen und Fehlkalkulationen fähig ist."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur