USA und EU nicht handelseinig
15. November 2013Fünf Tage haben die Delegationen des amerkanischen Handelsbeauftragten und der EU-Kommission in Brüssel über den geplanten freien Handel auf beiden Seiten des Atlantiks beraten. Es war die zweite Runde nach dem Auftakt in Washington im Sommer. Konkrete Ergebnisse oder gar einen Durchbruch bei den überaus komplexen Fragen gibt es nicht zu vermelden. US-Verhandlungsführer Dan Mullaney übte sich in diplomatischen Phrasen: "Wir hatten diese Woche sehr erfolgreiche und produktive Treffen in konstruktiver und positiver Atmosphäre. Diese zweite Runde gab uns die Möglichkeit, die Ansätze der anderen Seite jeweils besser kennenzulernen."
Offiziell erfährt man sowieso nichts, denn die Verhandlungen über die "Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft" (TTIP) laufen im Geheimen ab. Alle Unterlagen tragen einen Geheimstempel. In Europa werden die Papiere nur ausgewählten Abgeordneten im Europäischen Parlament zugänglich gemacht. In den USA haben rund 600 Personen Einsicht. Das sind Vertreter von Lobbygruppen, Wirtschaftsverbänden und Kongressabgeordnete, die vom Handelsbeauftragten regelmäßig konsultiert werden müssen. Globalisierungsgegner von der Gruppe Attac oder auch von Greenpeace kritisieren die Geheimniskrämerei und fordern mehr Transparenz. Das Verhandlungsmandat, dem die EU-Kommission folgt, ist aber inzwischen anonym im Internet aufgetaucht. In Brüssel haben die Unterhändler einer Gruppe von 400 unterschiedlichen Interessenvertretern zugehört. Deren Anregungen sollen in die Gespräche einfließen. Wie und in welcher Form, ist vertraulich. Auch der Chef-Unterhändler der Europäischen Union, Ignacio Garcia Bercero, blieb vor der Presse zum Verlauf der Verhandlungen vage: "Ich glaube, wir konnten einen weiteren Schritt machen. Wir haben Gemeinsamkeiten ausmachen können und werden uns in den folgenden Runden wirklich mit Texten beschäftigen können."
Offenlegung der Verhandlungen gefordert
Der Europa-Abgeordnete Christian Engström von der schwedischen "Piratenpartei" erinnerte die Unterhändler von der EU-Kommission daran, dass das Europäische Parlament nach massiven Protesten bereits das Handelsabkommen ACTA im Jahr 2012 scheitern ließ. Bei ACTA ging es um Urheberschutz und Patente. Auch damals trug mangelnde Offenheit zur Ablehnung des Abkommens bei. "Viele Menschen interessieren sich jetzt für Handelsabkommen. Und das ist positiv. Aber durch die Geheimniskrämerei und den beschränkten Zugang zu Dokumenten nur für wenige Parlamentarier macht die EU-Kommission die gleichen Fehler noch einmal", sagte Engström in einer Parlamentsdebatte zum Freihandelsabkommen. Verbraucherverbände, Biobauern, Umweltschützer und Freihandelsgegner haben sich in den USA und Europa zusammengeschlossen, um das umfassende TTIP-Abkommen zu vereiteln. In einem offenen Brief vom Anfang der Woche an den US-Präsidenten Barack Obama und den EU-Kommissionspräsidenten Jose Barroso fordern die Protestgruppen, nicht nur den Interessen großer Konzerne zu folgen, sondern auch die Rechte von Verbrauchern, Landwirten, Arbeitnehmern und Umweltgruppen zu schützen. Sowohl in den USA als auch in Europa gibt es Befürchtungen, dass das neue Abkommen die Standards bei Lebensmittelsicherheit, Saatgut, Klimaschutz sowie beim Schutz von Daten und geistigem Eigentum absenken könnte. EU-Unterhändler Ignacio Garcia Bercero versicherte, das werde nicht stattfinden: "Wir haben uns erneut dazu verpflichtet, dass wir die hohen Standards beim Verbraucher- und Umweltschutz wirklich nicht absenken oder verwässern werden."
Wirtschaft erwartet Schub
Der Bundesverband der Deutschen Industrie teilt solche Bedenken nicht. Stefan Mair vom BDI erklärte in Berlin, man erwarte, "dass sich insbesondere mit Blick auf einfachere Regulierungen und Standards Lösungen abzeichnen, die unseren Unternehmen im Handel mit den USA helfen." Die Industrie hofft auf eine einfachere Zulassung von Produkten auf beiden Seiten des Atlantiks. Die amerikanische Landwirtschaft will mehr hormonbehandeltes Fleisch und gentechnisch verändertes Getreide exportieren. Die Europäer drängen dagegen auf mehr Datenschutz für Verbraucher, die mit US-Unternehmen Geschäfte machen. "Ich bin überzeugt, dass bei gutem politischen Willen auf beiden Seiten ein Abschluss erreicht werden kann, der den Empfindlichkeiten auf beiden Seiten Rechnung trägt", sagte optimistisch gestimmt zum Auftakt der Gespräche EU-Kommissionspräsident Barroso. Die Verhandlungen drehen sich nicht nur um Industrieprodukte, sondern vor allem um Dienstleistungen und gegenseitige Investitionen, die vom wirtschaftlichen Volumen her den reinen Handel mit Industriegütern um ein Vielfaches übersteigen.
Parlamente und Mitgliedsstaaten müssen zustimmen
"Diese Verhandlungen werden natürlich im Geheimen geführt", sagte der zuständige EU-Handelskommissar Karel de Gucht den kritischen Abgeordneten im Europäischen Parlament. "Anders ist ein Interessenausgleich ja gar nicht möglich. Die EU-Kommission hat dafür das Mandat und am Ende können Sie ja darüber abstimmen." In der Tat muss das Europäische Parlament genauso wie alle 28 Mitgliedsstaaten auf europäischer Seite dem Deal zustimmen. Bis 2015 soll der Text des Handels- und Investitionsabkommens ausgehandelt sein. Den Fahrplan halten viele Fachleute für sehr ehrgeizig, angesichts der Vielzahl an komplexen politischen und technischen Fragen. US-Präsident Obama will das wegweisende Abkommen mit Europa noch in seiner Amtszeit, also bis 2017, unter Dach und Fach bringen. In den USA muss der Kongress TTIP billigen. Trotz aller Schwierigkeiten wird der Präsident der EU-Kommission Barroso nicht müde, auf die Vorteile des Abkommens zwischen den beiden größten Wirtschaftsblöcken der Welt hinzuweisen. Nach Schätzungen von Ökonomen würde das transatlantische Abkommen für einen jährlichen Zuwachs der Wirtschaftsleistung um 100 Milliarden Euro in den USA und 110 Milliarden Euro in der EU sorgen. Barroso will damit die Konjunktur ankurbeln: "Die wahre Schönheit dieses Abkommens liegt darin, dass jeder Haushalt in der EU im Durchschnitt den Gegenwert von 545 Euro erhält. Und das quasi umsonst. Das ist das billigste Konjunkturprogramm, das man sich vorstellen kann."