USA: Syrer willkommen?
19. September 2016Eine Straße, wie aus einem amerikanischen Bilderbuch: Frei stehende Einfamilienhäuser auf beiden Straßenseiten, immer mit weißen Holzverandas vor dem Eingang, davor kurz geschnittene Rasenflächen, zwei schmale Bürgersteige unter einer grünen Baumallee, lachende Kinder, die es nicht eilig haben von der Schule nach Hause kommen. Hier in Dearborn, einem Vorort von Detroit im US-Bundesstaat Michigan, überlebte - wenn auch knapp - der amerikanische Traum die Wirtschaftskrise der letzten Jahre.
Und hierhin hat es Taghreed Alrwadsh verschlagen, zusammen mit ihrem Mann und fünf Kindern. Vor zwei Monaten erhielt die 40-Jährige die Genehmigung, in die USA einreisen zu dürfen. Dreieinhalb Jahre hatte sie in einem jordanischen Flüchtlingslager ausgeharrt. Ursprünglich stammt ihre Familie aus Draa im Süden Syriens. Als Sicherheitskräfte ihr Haus anzündeten, flohen sie ins Nachbarland, bemühten sich mit Unterstützung der Vereinten Nationen um ein US-Visum und ließen zahllose Interviews von amerikanischen Konsularbeamten über sich ergehen. Fast hatten sie die Hoffnung aufgegeben, dass es klappen könnte, erinnert sie sich heute: "Es war wie ein Lotteriespiel." Dann die Erleichterung unter den wenigen zu sein, die Washington einreisen lässt.
Insgesamt dürfen in diesem Jahr 10.000 syrische Flüchtlinge in die USA. Kurz vor den Flüchtlingsgipfeln in New York hat die Regierung in Washington angekündigt, das Aufnahmekontingent im nächsten Jahr um 30 Prozent erhöhen zu wollen.
Hilfe von Landsleuten
Warum durfte die Familie von Taghreed Alrwadsh einreisen? Und weshalb nicht so viele andere, die sich ebenfalls um die Übersiedlung nach Amerika bemühten? Taghreed hat zwei behinderte Kinder, das gab wohl den Ausschlag. Gleich neben ihr auf der Terrasse steht ein zusammen geklappter Rollstuhl für eines ihrer Kinder. Sie blickt schweigend in die Ferne, wartet auf ihren Mann, der in der Stadt bei einer Schlachterei jobbt. Ihr Haus ist inzwischen voll ausgestattet: Möbel, Küchengeräte, ein weicher Teppichboden.
Hilfe kam von ihren syrischen Landsleuten. Zum Beispiel von Nada Kourdi, die als Übersetzerin arbeitet. Zusammen mit Gleichgesinnten beschlossen sie im letzten Sommer, sich ehrenamtlich für die ankommenden syrischen Flüchtlinge zu engagieren. "Weil ich selbst aus Syrien stamme und nicht will, dass meine Landsleute hier in den USA schlechte Erfahrungen machen." Am schwierigsten sei es, die Sprache des neuen Heimatlandes zu erlernen, sagt die selbstbewusste Nada Kourdi. "Ohne Englischkenntnisse kann man hier nichts machen."
Gebete auf Englisch und Arabisch
Sie begleitet Taghreed Alrwadsh in eine nahe gelegene Moschee, die zum Islamic Center of Detroit gehört. Frauen und Männer beten in getrennten Räumen. Viele Frauen sind voll verschleiert, tragen Schwarz. Taghreed Alrwadsh trifft während des Freitagsgebetes Landsleute aus Syrien. Der Austausch ist ihr wichtig. Der Imam wechselt in seiner Predigt vom Arabischen ins Englische. In einer späteren Gebetsstunde wird nur Arabisch gesprochen.
Nach dem Gebet verkaufen freiwillige Helfer des Zentrums Falafel und Sandwich. Der Erlös komme teilweise den rund 100 Flüchtlingsfamilien zugute, die in diese Moschee kommen, sagt Mansour Shara, Vize-Präsident des islamischen Zentrums. Es schätzt, dass in Detroit und Umgebung 100.000 Muslime leben, die meisten in Dearborn. "Für die Flüchtlinge ist es am schwierigsten, sich der für sie neuen, amerikanischen Kultur anzupassen", so Shara. Frauen sind in den USA gleichberechtigt, der Islam eine Religion unter vielen. Viele Neuankömmlinge hätten auch Schreckliches in Syrien oder in den Flüchtlingslagern im Nahen Osten erlebt, so Mansour Shara. Dies müssten sie verarbeiten.
Anpassung schwierig
Das sieht auch Madiha Tariq so. Sie arbeitet als Public Health Manager bei ACCESS, einer Organisation, die Flüchtlingen in Dearborn hilft. "Wir vermitteln Arzttermine, helfen bei Behördengängen, Sprachkursen - was immer nötig ist", sagt sie. Madiha Tariq stammt aus Pakistan und weiß, wie schwierig ein Neuanfang in einer fremden Umgebung sein kann. Rund 400.000 Amerikaner arabischer Herkunft lebten in Michigan, schätzt sie. "Die Hälfte von ihnen kamen als Flüchtlinge in die USA." Und sie sind geblieben.
Viele fanden in der Automobilindustrie ein Auskommen. In Dearborn hat Ford seinen Hauptsitz. Die Finanzkrise 2008/2009 traf Michigan schwer. Dank großzügiger Hilfen aus Washington überlebte die Autoindustrie. Die wirtschaftliche Lage hat sich deutlich verbessert.
Angst vor Jobverlust
Doch die Angst, kurzfristig den Job verlieren zu können, ist bei vielen Anwohnern in Dearborn verbreitet. Und damit auch die Furcht, dass eine Welle neuer Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt verschärfen könnte. Wer sich in Dearborn umhört, bekommt auch kritische Anmerkungen zu den Neuankömmlingen zu hören. Da klingt die Angst durch, dass die syrischen Flüchtlinge das in den USA ohnehin schwache Sozial- und Gesundheitssystem ausnutzen könnten. Einige unterstellen den Syrern sogar Terroristen zu sein und zitieren fremdenfeindliche Slogans des republikanischen Wahlkämpfers Donald Trump.
Wie absurd solche Behauptungen sind, kann man auf der Terrasse von Taghreed Alrwadsh sehen. Zärtlich streichelt sie ihrer jüngsten Tochter über das Haar. Taghreed hat Heimweh nach Ihren Eltern, die immer noch in einem jordanischen Flüchtlingslager seien, nach dem Rest der Familie. Auf die Frage, ob sie eines Tages nach Syrien zurück wolle, nickt sie: "Syrien ist das schönste Land der Welt. Kein Land kann dich so willkommen heißen, wie deine eigene Heimat." Und sie wischt sich die Tränen aus den Augen.