US-Wahl: DW-Faktencheck
6. November 2020Seit Dienstag werden die Stimmen zur US-Präsidentschaftswahl ausgezählt. In einigen Bundesstaaten liegen die Kandidaten Kopf an Kopf und noch immer sind nicht alle Wahlzettel ausgewertet. Die Nervosität steigt – und mit ihr die Verbreitung von Videos, Bildern und Artikeln, die Wahlbetrug und Fälschung wittern. Auch US-Präsident Donald Trump und Mitglieder seiner Familie teilen solche Behauptungen in Sozialen Medien. Das Faktencheck-Team der DW hat einige dieser Gerüchte unter die Lupe genommen.
1. Vorsprung aus dem Nichts?
Behauptung:
In einem viralen Tweet, der anschließend auf Facebook verbreitet wurde, behauptete ein Nutzer:
"Wisconsin legte eine [Auszählungs-] Pause ein, und als sie zurückkamen, hatte Biden zufällig 100.000 Stimmen Vorsprung... so passiert das, Leute".
Faktencheck:
Diese und ähnliche Behauptungen in anderen Staaten beziehen sich darauf, dass Briefwahlstimmen überwiegend an den demokratischen Kandidaten gehen. Schon vor Beginn der Wahl äußerten Trump und andere Republikaner Zweifel an den Briefwahlzetteln und der Notwendigkeit, wegen der Corona-Pandemie per Post abzustimmen. Für Corona-Risikogruppen und ihre Angehörigen und Freunde waren die Briefwahlunterlagen jedoch die sicherste Art der Stimmabgabe.
Viele, darunter auch die DW, sagten vor der Wahl voraus, dass die Auszählung der Stimmen am Wahltag selbst zunächst einen Vorsprung für Trump ergeben würde. Später würden die Ergebnisse jedoch wieder zu Bidens Gunsten ausfallen, nämlich nach Auszählung der Briefwahlstimmen. Umfragen vor der Wahl ergaben, dass deutlich mehr Demokraten als Republikaner vorhatten, per Post abzustimmen. Laut einer Umfrage des Pew Research Center wollte demnach nur jeder vierte Trump-Anhänger die Briefwahl nutzen, bei den Biden-Anhängern dagegen jeder Zweite.
Die Auszählung dieser Briefwahlstimmen nimmt mehr Zeit in Anspruch als die von ihm Wahllokal abgegebenen Stimmen. Einige umkämpfte Bundesstaaten wie Wisconsin, Georgia, Nevada und Pennsylvania erlauben die Auszählung von Briefwahlstimmen erst am Wahltag selbst. Aufgrund der Corona-Pandemie gibt es zudem viel mehr Briefwahlstimmen als in vorangegangenen Wahlen. Deshalb dauert die Auszählung besonders lange.
Dies zeigt sich unter anderem in Wisconsin. Nach einem Bericht der Green Bay Gazette hatte Trump dort einen Vorsprung von mehr als 100.000 Stimmen, bis die Stadt Milwaukee die Ergebnisse der Briefwahl bekannt gab. Nachdem Milwaukee diese Ergebnisse bekannt gegeben hatte, lag Biden landesweit mit etwa 8000 Stimmen vorn. Sein Vorsprung vergrößerte sich dann auf 20.000 Stimmen, als die Städte Green Bay und Kenosha ihre Ergebnisse meldeten.
Einige Bezirke in diesem Bundesstaat zählen persönlich sowie per Post abgegebene Stimmen in jeweils einer Tranche und veröffentlichen das Ergebnis dann. Andere, wie der Großraum Milwaukee, zählen die Briefwahlstimmen an einem zentralen Ort aus. Die Zahlen werden erst dann veröffentlicht, wenn die letzten Wahlunterlagen ausgezählt sind. Dies führte zu einem Anstieg der Stimmen für Biden - die Ergebnisse für Milwaukee wurden alle auf einmal veröffentlicht.
Zum ersten Teil der Behauptung lässt sich sagen: Die Wahlleiter und Wahlhelfer in Wisconsin legten keine Pause ein. Die Auszählung der Stimmen ging dort die ganze Nacht hindurch weiter. Meagan Wolfe, die oberste Wahlbeamtin von Wisconsin, sagte auf einer Pressekonferenz am 4. November: "Unsere Stadt- und Bezirksbeamten haben die ganze Nacht hindurch unermüdlich gearbeitet, um sicherzustellen, dass jeder gültige Stimmzettel ausgezählt und genau gemeldet wurde."
2. Am 03. November ist alles vorbei?
Behauptung:
Der Präsident und sein engster Beraterkreis haben wiederholt die Auszählung angeblich illegaler Stimmen kritisiert. Trump forderte auch, die Stimmenauszählung einzustellen. Am frühen Freitagmorgen, am dritten Tag nach der Wahl, schickte das Trump-Wahlkampfteam seinen Anhängern eine E-Mail und behauptete: "Es können keine Stimmen abgegeben werden, nachdem die Wahllokale geschlossen sind!"
Faktencheck:
Niemand durfte mehr abstimmen, nachdem die Wahllokale am 3. November geschlossen wurden. Aber in vielen Bundesstaaten gilt die Regel, dass Briefwahlunterlagen auch noch später eintreffen dürfen - wenn sie bis zum 3. November oder bis zum Vortag von der Post gestempelt wurden.
Unter den 23 Staaten, die das in diesem Jahr erlauben, sind auch Nevada, Pennsylvania und North Carolina. In diesen drei Bundesstaaten ist auch an Tag drei nach dem Wahltag noch nicht klar, ob Biden oder Trump hier das Rennen machen.
3. Verbrannte Stimmzettel?
Behauptung:
Donald Trumps Sohn Eric verbreitete auf Twitter ein Video, das seiner Beschreibung nach 80 verbrannte Briefwahlzettel zeigt.
Faktencheck:
Das Video wurde in Sozialen Medien millionenfach angesehen, weiterverbreitet, dann von einigen Plattformen gelöscht und immer wieder neu von Nutzern eingestellt.
Viele Menschen haben das Video erneut auf Twitter hochgeladen, weil es angeblich ein Beweis für das war, was mehrere Republikaner - einschließlich des Präsidenten - wochenlang fälschlicherweise behauptet hatten: Dass Briefwahl zu Betrug führt. Das Video zeigt jedoch keine echten Stimmzettel aus Virginia Beach, wie die Stadt auf ihrer Webseite mitteilte.
Beamte der Stadt wiesen darauf hin, dass sich auf den verbrannten Musterstimmzetteln kein Strichcode befand, der auf den tatsächlichen Stimmzetteln zu finden sei.
Das Video, so die Beamten, könne damit nicht zeigen, wie gültige Trump-Stimmen zerstört wurden.
4. Stimmzettel in der schwarzen Kiste von Detroit?
Behauptung:
Ein virales Video zeigt einen Mann, der ein Wägelchen in ein Gebäude in Detroit rollt, in dem Stimmen ausgezählt werden. Später behaupteten Nutzer in sozialen Netzwerken, dass in einer schwarzen Kiste in dem Rollwagen 130.000 Stimmzettel gewesen seien.
Faktencheck:
Kellye SoRelle, eine in Texas ansässige Anwältin, die das Video aufnahm, deutete in einem Interview am 4. November an, dass die Kiste ungültige Stimmzettel enthalten könnte. Sie konnte dies aber nicht sicher sagen und sprach von einer Kiste, die "der Wahlurne, die wir gesehen und beobachtet hatten, sehr ähnlich" sei.
"Es handelte sich lediglich um ein Sicherheitsproblem. Wir wissen nicht wirklich, was vor sich ging, mit welchen Gegenständen sie hereingebracht wurde oder wer hereingekommen ist", so SoRelle.
Auf die Frage, ob es möglich sei, dass Personen mit gefälschten Stimmzetteln in den Auszählungsraum gelangen könnten, antwortet sie: "Auf jeden Fall. Dies ist ein Kriegsschauplatz. Wir sind hierher nach Michigan gekommen, um Trump zu helfen, weil dies ein Staat ist, der unter Beschuss steht".
Was für die Anwältin nach Wahlbetrug aussah, war laut dem Sender WXYZein örtlicher Kameramann, der Ausrüstung transportierte, um die Nacht der Auszählung zu dokumentieren.
5. Kein Zutritt für Beobachter?
Behauptung:
Präsident Donald Trump teilte auf Twitter einen Artikel der rechtspopulistischen Medienplattform Breitbart. Dieser Artikel behauptet, dass bei der Auszählung von Briefwahlstimmen in Detroit im Bundesstaat Michigan Chaos herrsche. Beobachter würden daran gehindert, die Auszählung zu verfolgen. Der Artikel enthielt Videos, die zeigen, wie Wahlhelfer in einer Mehrzweckhalle Fenster verdeckten, während Menschen versuchten, die Auszählung der Stimmzettel von außen zu beobachten.
Faktencheck:
Die Polizei drängte Menschen zurück, die begonnen hatten, an Türen und Fenster zu klopfen und dabei "Stoppt die Auszählung!" zu schreien.
Im Breitbart-Artikel wird jedoch nicht erwähnt, dass nach Aussage von Wahlbeamten kein Platz für weitere Beobachter in der Halle mehr frei war. Beiden Seiten, Demokraten und Republikanern, waren jeweils 134 Beobachter innerhalb des Raumes zugestanden worden. Diese Zahl war überschritten worden, während Wahlhelfer Stimmen aus Detroit zählten. Neben demokratischen, republikanischen und unabhängigen Beobachtern waren auch Medienvertreter und Anwälte anwesend.
"Die Wahlbeobachtung ist zwar durch einzelstaatliche Gesetze geregelt, aber einige Staaten überlassen sie dem Ermessen der Wahlbeamten", erklärt der am 4. November erschienene vorläufige Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)über die US-Wahlen 2020. "Aufgrund der COVID-19-Pandemie beschränkten die Wahlbeamten in mehreren Bezirken die Zahl der zugelassenen Beobachter".
Der Detroit Free Press zufolge sagten mehrere Anwälte auch, dass die Probleme begannen, als republikanische Herausforderer die Wahlhelfer einschüchterten. Sie sollen ihre Masken abgenommen, den Zählenden zu nahe gekommen sein oder sie aggressiv angesprochen haben. So sollen einzelne Beobachter die Wahlhelfer aufgefordert haben, das Zählen einzustellen, weil das Trump-Wahlkampfteam eine Klage eingereicht hatte. Die DW konnte nicht zweifelsfrei feststellen, ob diese Anwälte unabhängig waren oder eine politische Partei vertraten.
Die Presseagentur AP hatte bereits am Mittwoch Abend bekannt gegeben, dass sie den ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden als Sieger in Michigan sieht.
6. Die geheimnisvollen 23.277 Biden-Stimmen
Behauptung:
Unter den Anhängern von Donald Trump ist eine Zahl im Umlauf: 23.277 - die Anzahl an Stimmen in einer einzigen Tranche von Wahlzetteln aus Philadelphia im Bundesstaat Pennsylvania, die zu 100 Prozent an Joe Biden gegangen sein sollen. Trumps Sohn Donald Jr. hat diese Behauptung auf Twitter verbreitet.
Faktencheck:
Die Stimmen in Pennsylvania werden noch immer ausgezählt und zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels gibt es dort keinen klaren Sieger bei den Präsidentschaftswahlen.
Auch Beobachter, die sagen, dass sie weder dem Lager der Demokraten noch der Republikaner angehören, stellen die Plausibilität von einer solch großen Zahl an Stimmen für nur einen Kandidaten in Frage.
Betrachten wir zunächst, woher die Zahl kommt. Sie scheint von einem Tweet von FiveThirtyEight auszugehen, einem Portal zur Wahl-Datenanalyse, das zum Sender ABC News gehört.
Gegen 22.00 Uhr MEZ am 4. November schrieb FiveThirtyEight auf Twitter, dass zwei neue "Batches", also Tranchen ausgezählter Stimmen aus Pennsylvania gemeldet worden seien: aus Luzerne County und aus Philadelphia. Die Stimmen aus Philadelphia, 23.277 an der Zahl, seien "alle an Biden" gegangen.
Die DW hat die Ergebnisse aller Wahlbezirke, die die Auszählung der Stimmzettel bis zum 5. November um 11 Uhr MEZ abgeschlossen hatten, betrachtet. Dies entspricht 98 Prozent der Bezirke.
In acht der 1665 Bezirke erhielt Biden alle Stimmen, insgesamt waren dies 1286. Betrachtet man auch die vier Bezirke, in denen außer Biden noch andere Kandidaten Stimmen erhielten, Trump jedoch nicht, so kämen zu dieser Gesamtzahl noch 426 Stimmen hinzu. Das wären damit höchstens 1712 Stimmen. Weit weniger also als die in Frage stehenden 23.277.
FiveThirtyEight veröffentlichte am 6. November gegen 2:30 Uhr MEZ eine Erklärung auf Twitter zu diesem Thema. Sie bezieht sich auf Informationen von Edison Research, des Demoskopie-Unternehmens, das für Medien wie FiveThirtyEight Abstimmungsdaten aggregiert.
"Manchmal geben Wahlbeamte und Datenanalysten unbeabsichtigt Stimmenaktualisierungen eines Kandidaten nach dem anderen ein, anstatt alle Kandidaten zusammen einzugeben. Die Stimmen der anderen Kandidaten werden dann in einem weiteren Eingabeschritt berücksichtigt", so FiveThirtyEight. Im nächsten Stimmen-Update aus Philadelphia habe dann Trump doppelt so viele Stimmen wie zuvor erhalten.
Die DW konnte nicht zweifelsfrei überprüfen, ob die Tranche von 23.277 Wahlzetteln, die Biden zufiel, darauf zurückzuführen war, dass Wahlbeamte die bei der Aktualisierungen der Ergebnisse unbeabsichtigterweise einen Kandidaten nach dem anderen berücksichtigten.
7. "Sharpiegate"
Behauptung:
Trumps Sohn Eric verbreitete auf Twitter die Behauptung, dass den Wählern in republikanisch dominierten Bezirken spezielle Filzstifte ausgehändigt worden seien, um ihre Stimmen ungültig zu machen.
Faktencheck:
Eine Verschwörungstheorie besagt, dass mit "Sharpie"-Filzstiften markierte Stimmzettel ungültig seien, da sie von Wahlmaschinen nicht gelesen werden könnten. Das sei der Grund, warum Wahlhelfer diese Stifte an Trump-Wähler ausgegeben hätten.
Regierungsbeamte in Arizona sagen, dass diese Behauptung unwahr sei und dass mit solchen Stiften abgegebene Stimmen gezählt würden. Die Staatsekretärin von Arizona, Katie Hobbs, betonte, laut New York Times, dass Wahlhelfer Maßnahmen ergriffen hätten, um sicherzustellen, dass durch ausblutende Tinte oder Flecken keine Stimmen ungültig werden.
Darüber hinaus gab es einen Grund für die Verwendung von feinen Filzstiften. Wahlbeamte sagten, sie hätten die am schnellsten trocknende Tinte, so dass Verschmutzungen auf den Stimmzetteln vermieden werden.
8. Stimmen vom Mars?
Behauptung:
Donald Trumps Anwalt Rudy Giuliani sagte am 4. November in Philadelphia folgendes:
"Nicht ein einziger Republikaner war in der Lage, auch nur einen dieser Briefwahlzettel einzusehen. Sie könnten vom Mars aus verschickt worden sein. Oder sie könnten von der Demokratischen Partei stammen. Joe Biden könnte 50 Mal gewählt haben oder 5000 Mal! Die Stimmzettel könnten aus Camden kommen. Philadelphia steht leider - und das sage ich über meine eigene Stadt - im Ruf, dass es hier Wahlbetrug gibt".
Faktencheck:
Giuliani behauptete weiterhin, dass die Wahlbeobachter in einem Abstand von 6 bis 9 Metern von den Stimmzetteln ferngehalten würden. Laut der Staatsregierung von Pennsylvania müssen Wahlbeobachter aufgrund der COVID-19-Pandemie einen Abstand von 1,8 Metern zu anderen Personen einhalten. Giuliani hat keine Beweise für seine Behauptung vorgelegt.
Darüber hinaus können Wähler, die ihren Stimmzettel per Post einsenden, nicht 50 oder 5.000 Mal wählen. Um - einmal - per Post abstimmen zu können, muss man im Wählerverzeichnis eingetragen sein. Verschiedenen Studien zufolge ist Betrug bei US-Wahlen selten. Die von Professor Justin Levitt von der Loyola Law School gesammelten Datenergaben nur 31 Vorfälle bei Wahlen von 2000 bis 2014, bei denen insgesamt eine Milliarde Stimmzettel abgegeben wurden.
"Von 2000 bis 2014 fand ich 31 glaubwürdige Vorfälle", so Levitt im Gespräch mit der DW über seine Forschung im Vorfeld der Wahlen. "Ich habe weiter gesucht und habe jetzt etwa 45 glaubwürdige Vorfälle in mehr als anderthalb Milliarden Wahlzetteln gefunden, also ist die Rate etwa gleich hoch. Das ist wirklich, wirklich, wirklich selten. Amerikaner werden öfter tödlich vom Blitz getroffen."
Rudy Giuliani hat für seine Behauptung, dass die Briefwahlzettel in Pennsylvania von überall und von jedermann kommen könnten, keine Beweise geliefert. Unabhängige Wahlbeobachter haben bislang ebenfalls keine solchen Fälle finden können.
Adaption: Peter Hille
Mitarbeit: Susanne Baldsiefen