US-Wahl: Was steht für Kiew und Moskau auf dem Spiel?
2. November 2024Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl wird nicht nur die Weichen für die Zukunft der Vereinigten Staaten stellen. Er wird wohl auch existenzielle Auswirkungen auf die Ukraine haben. Die USA sind der größte Unterstützer der Ukraine nach dem Überfall der russischen Soldaten auf die Ukraine im Jahr 2022. Unter Präsident Joe Biden hat Washington der Ukraine bisher militärische Aufklärung, Finanzmittel und moderne Waffen im Wert von fast 175 Milliarden US-Dollar (161 Milliarden Euro) zur Verfügung gestellt. Wer auch immer am 5. November zum Präsidenten gewählt wird, könnte das Schicksal der Ukraine in seinen Händen halten. Wenn dieser Kandidat am 20. Januar 2025 sein Amt antritt, wird der Krieg in der Ukraine fast drei Jahre gedauert haben.
Der neue US-Präsident stünde vor drei Optionen: die Hilfe für die Ukraine kürzen, den Status quo beibehalten oder eine härtere Gangart einschlagen, sagt Michaela Mattes, Professorin für Politikwissenschaft an der University of California in Berkeley, die sich auf internationale Konflikte und Kooperation spezialisiert hat.
Kamala Harris und der Krieg in der Ukraine
Die demokratische Präsidentschaftskandidatin und derzeitige Vizepräsidentin Kamala Harris hat ihre Unterstützung für die Ukraine deutlich gemacht. "Harris hat versprochen, so lange wie nötig an der Seite der Ukraine zu bleiben", sagt Shawn Donahue, Assistenzprofessor für Politikwissenschaft an der University at Buffalo in New York, der Deutschen Welle. Harris würde auch "eher zulassen, dass US-Langstreckenwaffen gegen Ziele in Russland eingesetzt werden".
Michaela Mattes geht davon aus, dass Harris zumindest den Status quo erhalten, die Ukraine unterstützen und die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten würde. Sie könnte sogar noch selbstbewusster werden und eine härtere Haltung gegenüber Moskau einnehmen, um sich einen Ruf als starke Führungspersönlichkeit aufzubauen.
Für die Vizepräsidentin stehen die europäische Sicherheit und die globale Stabilität auf dem Spiel. "Harris sieht Russland als ein gefährliches Land, das gegen internationales Recht verstoßen und auch etwas Unmoralisches getan hat, so dass man Russland nicht vertrauen kann", analysiert Mattes.
Donald Trumps Verhältnis zu Russland und der Ukraine
Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump verfolgt eine andere Ukraine-Politik und hat sich mit gleichgesinnten Beratern umgeben. Trumps Beziehung zur Ukraine ist kompliziert. Dazu gehörte sein Versuch, Präsident Wolodymyr Selenskyj dazu zu drängen, eine Untersuchung gegen Joe Biden einzuleiten, um damit dessen Amtsenthebung zu erreichen. Trump verweist auf seine Beziehung zum russischen Staatschef Wladimir Putin und behauptet, dass es 2022 keinen Krieg gegeben hätte, wenn er damals Präsident gewesen wäre.
Nun verspricht der ehemalige Präsident, den Krieg "innerhalb von 24 Stunden" zu beenden, sollte er am 5. November gewählt werden. Da es keine Details darüber gibt, wie dies geschehen soll, gehen viele Beobachter davon aus, dass Trump die Ukraine zu einem Friedensabkommen mit Russland drängen würde.
Trump könnte die Ukraine dazu zwingen, eine Art eingefrorenen Konflikt zu akzeptieren, der in etwa entlang der aktuellen Kampflinien verläuft, was auf Kosten des ukrainischen Territoriums ginge, so Politikwissenschaftler Donahue. Es ist unklar, ob Putin solche Bedingungen langfristig akzeptieren würde, aber sie würden seinem Militär Zeit geben, sich neu aufzustellen.
Der republikanische Kandidat "würde aber auch erwarten, dass die Europäer ihr eigenes Engagement gegenüber der Ukraine und der Nato weiter ausbauen", so Dominik Tolksdorf, Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Non-Resident Senior Fellow am Global Governance Institute.
Eine Kürzung der lebenswichtigen Hilfe für die Ukraine dürfte die Lage verschärfen. Wenn die US-Hilfe komplett eingestellt würde, hätten die europäischen Regierungen Schwierigkeiten, die Ukraine allein zu unterstützen. Das würde dem Kreml mehr Spielraum geben, der Ukraine seinen Willen aufzuzwingen, meint Tolksdorf, der sich auf US-Politik und transatlantische Beziehungen spezialisiert hat.
Die Ukraine und die NATO-Mitgliedschaft
Ein weiteres heikles Thema ist der Wunsch der Ukraine, der NATO beizutreten. Irgendwann werde Harris wahrscheinlich die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine unterstützen, sagt Donahue, der die Ukraine seit Beginn des Krieges zweimal besucht hat.
Ein Vorschlag, der diskutiert wird, ist ein Mitgliedschaftsmodell, das davon ausgeht, dass das Land seine Grenzen von 1991 nicht wiedererlangt. In diesem Fall wäre die NATO nur verpflichtet, das Gebiet zu verteidigen, das aktuell von der Ukraine kontrolliert wird. Das wäre vergleichbar mit der Situation der Bundesrepublik Deutschland vor der deutschen Wiedervereinigung.
Trump hingegen ist ein scharfer Kritiker der NATO und hat sogar vorgeschlagen, dass die Militärallianz Mitglieder, die einen zu geringen Verteidigungsbeitrag leisten, nicht schützen solle.
Dennoch könnte Trump die Ukraine im Rahmen eines Abkommens zur Beendigung des Krieges näher an die NATO heranführen, meint Kurt Volker, Sonderbeauftragter für die Ukraine von 2017 bis 2019. Die Ukraine in der NATO zu haben, wäre Teil eines "dauerhaften Friedens und einer dauerhaften Abschreckung", sagte er Anfang Oktober der Deutschen Welle.
Mächtiger US-Kongress mit Mitspracherecht
Genauso wichtig wie ein neuer US-Präsident werden die veränderten Mehrheitsverhältnisse im Kongress sein, denn er entscheidet über die Staatsausgaben. Von den 100 Sitzen im Senat stehen am 5. November 34 zur Wahl, ebenso alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus. Die demokratische Kontrolle des Repräsentantenhauses ist für Harris entscheidend, um Waffen und Hilfslieferungen in die Ukraine durchzusetzen.
Amerikaner skeptisch gegenüber Russland
Eine weitere Befürchtung ist eine zunehmende Kriegsmüdigkeit der amerikanischen Öffentlichkeit. Der Anteil der Amerikaner, die sagen, dass die russische Invasion in der Ukraine eine Bedrohung für die Interessen der USA darstellt, ist laut einer Umfrage des Pew Research Center von Anfang Juli deutlich zurückgegangen. Demnach befürworten 69 Prozent der Amerikaner Wirtschaftssanktionen gegen Russland, während 54 Prozent weiterhin militärische Ausrüstung in die Ukraine schicken wollen.
Russland hofft zweifellos auf einen Sieg Trumps, nicht nur, weil er Putin helfen könnte, in der Ukraine an Boden zu gewinnen, sondern auch, weil er als Präsident die USA weiter spalten und die amerikanische Demokratie destabilisieren könnte, analysiert Tolksdorf. "Die Hoffnung im Kreml ist, dass die USA unter Trump vor allem mit sich selbst beschäftigt wären und als handlungsfähiger Akteur in der internationalen Politik weitgehend ausfallen."
Adaptiert aus dem Englischen von Andreas Noll.