US Open: Night Sessions sorgen für Diskussionen im Tennis
3. September 2024Die sogenannten Night Sessions der US Open sind legendär. Oft ist die Stimmung beim Tennis-Grand-Slam-Turnier in New York besonders gut, wenn die Sonne untergegangen ist und sich in einer der großen Arenen zu später Stunde zwei Top-Spielerinnen oder -Spieler gegenüberstehen.
Allerdings enden einige Partien dabei so spät, dass mitten in der Nacht teilweise kaum noch Zuschauer auf den Rängen sind und auch die Sportlerinnen und Sportler leiden. Selbst bei der Neuauflage des olympischen Finales zwischen der Chinesin Zheng Qinwen und Donna Vekic aus Kroatien erlebten nur noch einige hundert Fans den Matchball live mit. Die Partie endete um 2:15 Uhr und stellte damit einen neuen Rekord für das späteste Frauen-Spiel bei den US Open auf.
Alexander Zverev beendete sein Drittrundenspiel gegen den Argentinier Tomas Martin Etcheverry erst nach 2:30 Uhr. Es war das zweitspäteste Ende der US-Open-Geschichte. 2022 hatte das Duell zwischen Carlos Alcaraz und Jannik Sinner sogar bis 2:50 Uhr gedauert.
Coco Gauff: "Nicht fair und gesund"
"Die Ansetzungen im Tennis sind das totale Chaos", schimpfte der nach den Olympischen Spielen von Paris zurückgetretene Brite Andy Murray. "Es sieht so amateurhaft aus, wenn Spiele bis zwei, drei, vier Uhr gehen."
Da es die Diskussionen über Sinn und Unsinn der langen Nachtschichten im Tennis schon längere Zeit gibt, hatte die Turnier-Organisation in New York eigentlich eine neue Regelung getroffen: Sollte ein Match um 23.15 Uhr Ortszeit noch nicht begonnen haben, weil der Platz durch das vorherige Spiel noch belegt ist, kann es auf einen anderen Court verlegt werden. Immerhin gibt es auf der Anlage im Osten New Yorks vier Stadionplätze: das Arthur Ashe Stadium (ca. 24.000 Plätze), das Louis Armstrong Stadium (14.000), den Grandstand (über 8.000) und Court 17 (2.800).
"Ich denke, das ist ein guter Start", sagte US-Star Coco Gauff, die sich in der Vergangenheit wiederholt über späte Spiele beschwert hatte. "Ich denke definitiv, dass das nicht gesund ist und nicht fair, für die, die so spät spielen müssen, weil es ihren Zeitplan ruiniert."
Schlafverlust = Leistungsverlust
Tatsächlich ist nächtlicher Leistungssport - zumindest auf Dauer - nicht gesund. Und auch wenn man nur einmalig nachts auf den Court muss, hat man Nachteile, wenn man im nächsten Match auf einen ausgeruhten Gegner trifft, der früh Feierabend hatte.
Laut einer Studie der Ruhr-Universität Bochum zur Bedeutung von Schlaf im Leistungssport aus dem Jahr 2019 führt Schlafverlust zu einer langsameren und weniger genauen kognitiven Leistung. Aufmerksamkeit, Reaktionszeit, Gedächtnis und Entscheidungsfindung fielen bei Test mit erwachsenen Probanden, die weniger als sieben Stunden geschlafen hatten, schlechter aus.
"Schlaf determiniert die kognitive und motorische Leistungsfähigkeit", sagt auch Dr. Utz Niklas Walter in einem Interview mit der "Sportärztezeitung" und zieht den Schluss: "Je erholsamer der Nachtschlaf, desto wahrscheinlicher sind sportliche Höchstleistungen bzw. positive Anpassungserscheinungen des Organismus." Tatsächlich empfiehlt der Mediziner sogar: "Zwischen intensivem Sporttreiben und dem Zu-Bett-Gehen sollten etwa zwei Stunden liegen. Diese Zeit sollte auch dazu genutzt werden, um auf Gedanken fernab des Leistungssports zu kommen."
Spielergewerkschaft: "Physische und mentale Müdigkeit"
Nach Angaben der Spielergewerkschaft PTPA hat sich die Anzahl der Nachtspiele bei den Grand-Slam-Turnieren in Melbourne, Paris, und New York seit 2018 verdoppelt. Der vierte Grand Slam, das Turnier in Wimbledon, veranstaltet generell keine Night Sessions, weil die Stadien in einem Wohngebiet liegen. Bei einem späten Spiel, so die PTPA, sei das Risiko, dass sich ein Spieler verletzt, um 25 Prozent höher. "Die Gesundheit der Spieler muss mehr in den Fokus rücken", forderte der stellvertretende PTPA-Direktor Romain Rosenberg gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Es ist kein Wunder, dass Spieler bei Turnieren rausziehen, kaputt sind und verletzt. Die physische und mentale Müdigkeit ist real."
Tatsächlich erlebte auch Alexander Zverev nach seinem Nacht-Match einen solchen Moment: Im Achtelfinale gegen den US-Amerikaner Brandon Nakashima, anderthalb Tage nach seinem Sieg gegen Etcheverry, knickte der Deutsche im vierten Satz um und humpelte eine Weile leicht. "Ich habe einen komischen Schritt gemacht, bin leicht umgeknickt", sagt er anschließend. "Aber es ist alles in Ordnung, nichts worüber man sich sorgen muss."
Regeländerungen in Hand der Organisatoren
Einen Vorwurf wollte Zverev den Turnierverantwortlichen wegen der späten Spielansetzungen auch nicht machen. "Vielleicht könnte man die Nightsessions früher anfangen", meinte der Olympiasieger von Tokio, der übrigens auch den Rekord für das späteste je beendete Tennis-Match der Geschichte hält. Sein Duell mit Jenson Brooksby beim ATP-Turnier in Acapulco endete im Februar 2022 erst um 4:55 Uhr. Im nächsten Match wurde er nach einem Wutausbruch disqualifiziert - vielleicht, weil er zu wenig geschlafen hatte?
"Aber du hast keine Kontrolle darüber. Die Matches vorher waren lang", so Zverev zu den Zwängen bei den US Open. "Es gibt nicht viel, was das Turnier dagegen tun kann." Dabei übersieht Zverev allerdings, dass es in der Hand der Veranstalter liegt, wie sie den Zeitplan gestalten. Man könnte - siehe Wimbledon - auch auf Night Sessions verzichten.
Oder man entscheidet, das spät noch laufende Matches beispielsweise um 1 Uhr nachts unterbrochen und am nächsten Tag fortgesetzt werden. Nach einer ausreichenden langen Pause natürlich, damit die Spieler sich in der Zwischenzeit auch wirklich erholen und richtig ausschlafen können.