Druck auf US-Firmen
6. Juni 2014Michael Schmidt hat schon lange genug. Der 47-jährige Informatiklehrer will sich nicht mehr von Firmen und Geheimdiensten ausspionieren lassen. Deshalb hat er Facebook, Google und sogar sein Betriebssystem Windows von seinem Laptop verbannt. Stattdessen läuft jetzt Linux auf dem System, die Daten liegen auf einem eigenen Server und sind genau wie Schmidts Emails verschlüsselt. "Unsere Privatsphäre ist in Gefahr", sagt Schmidt. "PGP-Verschlüsselung und Open-Source-Software sind die einzige Möglichkeit, sich vor dem Überwachungsstaat zu schützen."
Das Problem: Bei Google, Facebook und Co. sind die Daten nicht sicher. Denn seit der Verabschiedung des Patriot Acts kurz nach dem 11. September 2001 darf der amerikanische Geheimdienst ganz legal auf alle Nutzerdaten zugreifen. Und genau das passiert auch: Mit verschiedenen Programmen späht der Geheimdienst Emails, Gespräche, Suchanfragen, Facebook-Einträge, Videos und Fotos aus. Die Anbieter sind verpflichtet, Stillschweigen zu bewahren.
Alternative Anbieter boomen
Viele Nutzer wollen sich damit nicht abfinden. Sie schwenken um auf alternative Plattformen, die mehr Datenschutz und Privatsphäre versprechen: Bei den Suchmaschinen gibt es DuckDuckGo statt Google, der Webspeicher Wuala kann die Dropbox ersetzen, und Threema ist ein sichererer Messenger als WhatsApp - für fast jeden großen Anbieter finden sich Alternativen , die Datenschutz und Privatsphäre höher gewichten. Und die Nachfrage ist groß: Hunderttausende neue Nutzer bescheren den Anbietern Zuwächse im drei- und vierstelligen Prozentbereich.
"Auf der ganzen Welt realisieren die Menschen gerade, dass die USA ihren Heimvorteil missbrauchen", sagt Ron Deibert, der an der Universität Toronto die Forschungsgruppe Citizen Lab leitet. "Das ist eine große Bedrohung für die US-Anbieter, denn es geht um Milliarden". Besonders US-amerikanische Cloud- und Hardware-Anbieter wie IBM und Cisco haben das bereits zu spüren bekommen: 1,7 Milliarden Dollar sind ihnen bis Ende 2013 durch den NSA-Skandal entgangen, schätzen Experten.
Etablierte Anbieter trotzdem stabil
Facebook, Yahoo und Google haben zwar bislang keine sichtbaren Einbrüche erlebt. Denn noch seien die Alternativen für viele Menschen zu kompliziert und zu unbequem, so Deibert. Die etablierten Anbieter wissen aber, dass sich das schnell ändern kann. Auch deshalb drängen sie Präsident Obama, die Überwachungsprogramme einzuschränken. Manche setzen auch auf bessere Verschlüsselung der Daten, um das Vertrauen der Nutzer zurückzugewinnen. Dabei begeben sie sich allerdings in ein Dilemma. "Es ist ja das Geschäftsmodell der Internetriesen, das Verhalten der User zu erfassen. Eine gute Verschlüsselung zerstört das Geschäftsmodell", so Ron Deibert.
Michael Schmidt kann sich nicht vorstellen, zu den großen Internetfirmen zurückzukehren. "Was ich im Internet tue, gehört zu meiner Privatsphäre. Und ich möchte nicht leben in einer Welt ohne Privatsphäre." Sein Wissen teilt er inzwischen auf Cryptopartys und Vorträgen vor Schulklassen und Lehrerkollegen. Damit sich das Bewusstsein ändert. Schmidt ist zuversichtlich, dass sich in Zukunft mehr Leute anschließen. Dann könnte der Markt das erreichen, woran die Politik gescheitert ist: Ein Internet mit Meinungsfreiheit und Menschenrechten statt Überwachung.