Geistiges Eigentum
17. März 2010Die Kritik der Autoren an der "fahrlässigen Akzeptanz" von Plagiaten ist als Reaktion auf die Kontroverse um Helene Hegemann zu verstehen. Die 17-jährige Autorin wurde nach Erscheinen ihres Erstlingswerks "Axolotl Roadkill" zunächst als Shooting Star der deutschen Literatur gefeiert. Als allerdings bekannt wurde, dass sie unter anderem bei einem Blogger abgeschrieben hatte, änderten einige Kritiker ihre Meinung. In den Feuilletons entbrannte daraufhin eine rege Debatte darüber, wie viel Abschreiben erlaubt sei. Wie viel gelten unsere Vorstellungen von geistigem Eigentum und Authentizität heute noch?
Hegemann ist mit ihrem Debut in diesem Jahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Der Zusammenschluss der Literaturgrößen und ihre "Leipziger Erklärung zum Schutz geistigen Eigentums" macht die Causa Hegemann nun endgültig zur literarischen Staatsaffäre.
Die Erklärung im Wortlaut:
Leipzig, 15. März 2010: Wenn ein Plagiat als preiswürdig erachtet wird, wenn geistiger Diebstahl und Verfälschungen als Kunst hingenommen werden, demonstriert diese Einstellung eine fahrlässige Akzeptanz von Rechtsverstößen im etablierten Literaturbetrieb.
Jedes literarische Werk ist ein originäres Kunstwerk. Das gilt für alle Arten von Techniken der Texterstellung, auch für literarische Collagen. Die Möglichkeiten neuer Medien, auch die des Internets, ändern nichts an der Tatsache, dass der Schutz geistigen Eigentums, die Wahrung der Rechte von Urheberinnen und Urhebern, nach wie vor uneingeschränkt Geltung und Priorität genießen.
Künstlerische Kreativität kann langfristig in einer Gesellschaft nur gedeihen, wenn Übersetzerinnen, Schriftsteller, wenn alle künstlerischen Wortschöpfer sich grundsätzlich und gänzlich darauf verlassen können, dass ihr Urheberrecht an ihren Werken geachtet wird.
Missachtung, Aushöhlung und sträfliche Verletzung des Urheberrechts führt zur Entwertung, Aufgabe und schließlich zum Verlust jedweder eigenständigen intellektuellen und künstlerischen Leistung.
Kopieren ohne Einwilligung und Nennung des geistigen Schöpfers wird in der jüngeren Generation, auch auf Grund von Unkenntnis über den Wert kreativer Leistungen, gelegentlich als Kavaliersdelikt angesehen. Es ist aber eindeutig sträflich – ebenso wie die Unterstützung eines solchen »Kunstverständnisses«. Wer die Verletzung der Urheberrechte, u. a. in Form von Plagiaten, als Originalität begreift, gefährdet letztendlich die geistige und materielle Basis allen kreativen Schaffens.
Der Verband deutscher Schriftsteller fordert alle Beteiligten im Literaturbetrieb – insbesondere Verlage, Lektoren, Literaturkritiker, Juroren – auf, geistigen Diebstahl eindeutig zu verurteilen.
Nur so schützen wir den Wert der Wortkunst und die künstlerische Freiheit aller Autorinnen und Autoren.
Erstunterzeichnerinnen/-unterzeichner
Claire Bayer, Hans Peter Bleuel, Horst Bosetzky, Anna Dünnebier, Uwe Friesel, Günter Grass, Günter Kunert, Dieter Lattmann, Sybille Lewitscharoff, Jürgen Lodemann, Erich Loest, Regine Möbius, Gerlinde Schermer-Rauwolf, Hinrich Schmidt-Henkel, Friedrich Schorlemmer, Christa Schuenke, Imre Török, Christa Wolf
Redaktion: Jan Bruck