Unterwegs mit "Foodbloggern"
3. April 2013Zu einem guten Start in den Tag gehört ein gutes Frühstück. In Berlin gibt es gefühlte tausendundeins Optionen: türkische Sesamringe, Pancakes und Bagels, und natürlich das klassische deutsche Kontinentalfrühstück - Brotkorb, Aufschnitt, Marmelade, Ei. Orientierungshilfe muss her. Das dachte sich auch Marcus Richter. Er ist Hobbyfrühstücker und schreibt aus reinem Vergnügen, warnt vor salzigem Schinken und schwärmt von knackig frischen Ciabatta-Brötchen. "Teebeutel und labbriger Käse gehen bei mir gar nicht", stellt er klar. Nachzulesen ist sein kulinarisches Café-Hopping im Blog "Frühstücken in Berlin".
Navigationssystem für hungrige Mägen
Foodblogs aus Berlin gibt es für alle Geschmacksrichtungen: Fastfood, Haute Cuisine, Alltagsküche. Für morgens, mittags, abends und zwischendrin. Sie sind wie ein Navigationssystem für hungrige Mägen. Persönlich und ehrlich, immer subjektiv. So verschieden die Geschmäcker, so unterschiedlich fallen die Empfehlungen aus. Wenn ein Foodblogger von einem gut versteckten Geheimtipp schwärmt, kommen mehr Gäste. Ist das Urteil wenig appetitanregend, bleiben sie aus.
Der Bio-Blogger
Zur Zeit gefragt in der Hauptstadt: Bio-Empfehlungen. Gut für Patrick Bolk, der mit seinem Foodblog "Berlin is(s)t Bio" die deutsche Esskultur umkrempeln will. Seine Mission: nachhaltige Küche mit Biozutaten aus der Region und Gemüse der Saison. An diesem kalten Tag im März lockt ihn der Appetit ins Pêle-Mêle, ein neu eröffnetes veganes Café in Neukölln. Zwischen abbröckelnden Fassaden und türkischen Gemüseläden mausert sich der einstige Problembezirk zum Schlaraffenland für Veganer, also Menschen, die keinerlei tierische Produkte verspeisen.
"So, erst mal was Herzhaftes: eine Möhren-Ingwer-Suppe, einen gemischten Salat mit Tofu und Walnüssen und ein Paprika-Zwiebel-Muffin" - die Kellnerin stellt ihr Tablett auf dem Holztisch ab. Die Suppe wird in einer Goldrand-Sammeltasse serviert, das Muffin auf einem Rosenblüten-Tellerchen. Ansonsten ist die Deko im Pêle-Mêle schlicht weiß.
Wichtige Blogger-Regel: zuerst das Foto für den Blogeintrag und dann reinbeißen oder trinken. Wer nach Restaurantempfehlungen sucht, will sehen, was er serviert bekommt. Und das soll gut aussehen, nicht angeknabbert.
Die Vision: besser essen
Patrick Bolk wollte mal ein Biocafé aufmachen, ist aber dann doch bei seinem Beruf als Pädagoge geblieben. Jetzt testet er Cafés und schreibt darüber. Seine Art, sich für eine bessere Esskultur zu engagieren. Es ist ein "Positivblog", zerreißen will er niemanden. Er schreibt höchstens mal "das hätte man liebevoller machen können" oder "ist halt nicht mein Geschmack". Patrick Bolk will nachhaltige Alternativen zeigen zu dem "ganzen Mist, den es gibt", also weg von Massentierhaltung, Analogkäse und pestizidverseuchtem Gemüse.
Früher habe er selbst "katastrophal gegessen". Es klingt ein bisschen wie das Geständnis eines Ex-Alkoholikers. Aufgewachsen sei er mit der "klassischen Dreiteilung aus Fleisch, Kartoffeln und irgendeiner verkochten Gemüsebeilage". Jetzt ist er Veganer und investiert viel Zeit in seine Vision von besserem Essen in Deutschland.
Mousse au Chocolat geht auch vegan
Zeit für das Dessert: Schoko-Orange-Muffin, Mousse au Chocolat, dunkle Beeren-Sahnetorte, Apfel-Birnentarte mit Walnussstreuseln. Patrick Bolk findet alles "irre". Und fragt gleich: "Ist das Mousse mit Seidentofu?" Kellnerin und Blogger diskutieren, wie man Schokomousse vegan gut hinkriegt. Dann machen sie einen Veganerscherz: "Was, du ernährst dich vegan und siehst trotz Mangelernährung immer noch so gut aus?"
Obwohl Patrick Bolk selbst seit zwei Jahren vegan lebt, schreibt er auch über Restaurants, in denen Fleisch und Milchprodukte auf den Teller kommen. Natürlich vorausgesetzt, es wird nachhaltig gekocht. Seine Restaurantempfehlungen gibt es auch analog zum Durchblättern: im "Berlin is(s)t Bio"-Gastroführer.
Ein echter Foodie
Manche Foodblogger folgen auch einfach nur ihren persönlichen Gaumensehnsüchten - und sind damit sogar richtig populär geworden. Luisa Weiss ist wohl das, was man einen wahren Foodie nennt. Ihre Augen leuchten auf, wenn sie von einem guten Essen schwärmt. Über ihre Lieblingsrestaurants in Berlin bloggt sie bei "Berlin on a Platter". Auch bei ihr stand am Anfang die Suche nach ehrlichen, persönlichen Restaurantempfehlungen jenseits der Gastrokritiker-Elite.
Ihre Kriterien sind einfach: sie schreibt, worauf sie Lust hat. "Wenn ich aufwache und denke, heute muss ich unbedingt was Indisches essen, dann mache ich das - und wenn es mir gefällt, dann schreibe ich darüber." Kein großer Plan, keine Missionierung. Mal Lachs, dann chinesischer Brokkoli, zwischendrin ein tschechisches Hörnchen.
"My Berlin Kitchen"
Neben den Restauranttipps schreibt die Foodbloggerin auch eigene Rezepte auf - nachzulesen bei "The Wednesday Chef", von "Times Online" unter die 50 besten Foodblogs weltweit gewählt. "Kochen ist meine Heimat", sagt Luisa Weiss. Das Bloggen war ihre Art, sich in Berlin wieder einzuleben. Geboren in Berlin als Tochter einer Italienerin und eines Amerikaners, lebte sie lange Zeit in den USA, ehe sie nach Berlin zurückzog. Ihre Geschichte hat sie aufgeschrieben in ihrem Buch "My Berlin Kitchen" - eine Biografie gewürzt mit Rezepten.
"Berliner Essen ist so viel vielfältiger als Currywurst und Döner", sagt Luisa Weiss. Und doch - irgendwann spätabends wird wohl jeder vom Duft einer frisch gebrutzelten Wurst verführt. Auch die Foodbloggerin bekennt: "Currywurst ist einfach lecker." Sie beißt am Liebsten in eine Bio-Wurst. In Berlin findet wirklich jeder seine kulinarische Heimat, für einen Tag oder für immer.