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Unternehmen leiden unter Bahnstreik

23. August 2021

Für viele Industriebranchen sind Züge eine wichtige Lebensader. Sie transportieren die Kohle ins Stahlwerk und die Autos zum Hafen. Nun wird bei der Bahn gestreikt. Wie wirkt das auf die Lieferketten?

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Deutschland Wolfsburg Neufahrzeuge auf Güterzügen
Auf Zügen verladene Autos warten in Wolfsburg auf die AbfahrtBild: Reuters/F. Bimmer

Am Samstag hatte die Lokführergewerkschaft GDL mit dem Streik im Güterverkehr begonnen. Seit dem frühen Montagmorgen steht ein Großteil der Züge in Deutschland still. Außer den Lokführern sind auch Beschäftigte in der Verkehrssteuerung, etwa in den Stellwerken, aufgerufen, die Arbeit ruhen zu lassen. Sie steuern und überwachen den Betrieb auf der Schiene und sorgen so für einen reibungslosen Verkehr.

"Ohne Fahrdienstleiter geht gar nichts mehr", sagt der Verkehrsexperte Thomas Puls vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). "Weder Bahnen von Wettbewerbern könnten fahren noch Notfallfahrpläne realisiert werden."

Junge Erholung im Keim erstickt?

So ärgerlich der Streik für viele Reisende ist, den Unternehmen droht noch viel mehr Ungemach. Pro Werktag transportiert die Deutsche Bahn in normalen Zeiten etwa eine Millionen Tonnen an Gütern. Daher warnen Wirtschaftsverbände, eine Unterbrechung der Lieferketten durch längere Streiks im Güterverkehr setze die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise aufs Spiel. "Die deutsche Wirtschaft versucht gerade erst, nach der Corona-Pandemie Fuß zu fassen", teilte die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) mit.

Auch der Güterverkehr selbst hat sich gerade wieder berappelt. "Die gebuchten Trassenkilometer lagen im vergangenen Juni wieder auf dem Stand von 2018 - die Branche hat sich also gerade erst von dem Einbruch im Pandemiejahr 2020 erholt", so Puls.

Schiene verliert an Image

Der Streik erweise dem System Schiene insgesamt und dem Ziel, auch aus Klimaschutzgründen künftig mehr Güter auf die Schiene zu bringen, einen Bärendienst, sagte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). "Bei nicht wenigen Transportketten, die jetzt streikbedingt auf die Straße umgestellt werden, wird es die Schiene schwer haben, diese für sich zurückzugewinnen", warnt er.

Deutsche Bahn
Wegen der Corona-Pandemie war die Industrieproduktion teilweise lahmgelegt - dementsprechend wurden auch weniger Güter per Schiene transportiertBild: Imago/Westend61

"Streiks bleiben offensichtlich eine Achillesferse des Systems Schiene", sagte Axel Plaß, Präsident des Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV). "Speditionen werden Massengüter jetzt so weit wie möglich auf die Binnenschifffahrt verlagern und zeitkritische Güter auf den Lkw umdisponieren müssen - bei ohnehin knappen Laderaumkapazitäten".

Das Problem dabei: Es gebe derzeit kaum Transportalternativen etwa bei der Bahn-Konkurrenz auf der Schiene oder auch auf der Straße, erklärt Carsten Knauer vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME). "Jeder Verkehrsträger ist total überbucht und die Preise gehen durch die Decke." Es sei aktuell kurzfristig so gut wie unmöglich, Verkehre auf die Straße zu verlagern.

Allerdings sieht BME-Experte Knauer auch die Unternehmen in der Pflicht, für solche Fälle vorzubeugen und die eigenen Lagerkapazitäten auszubauen. Das hätten viele Unternehmen nach wie vor versäumt, auch wenn die Corona-Krise bereits gezeigt habe, dass die traditionellen Lieferketten anfällig sein können. "Ich kann es nicht verstehen, warum Unternehmen nicht mehr in Richtung Lager gehen", sagte Knauer. "Ja, es kostet Geld, aber am Ende muss es sein. Ein Streik reicht schon aus, und es kommt nichts mehr nach."

Deutschland Justiz l Schadenersatz-Klage gegen das europäische Lkw-Kartell ist geplatzt
Der Großteil der Güter werden in Deutschland mit Lkw befördert. Kurzfristig gibt es kaum freie Kapazitäten.Bild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/C. Hardt

Bestehende Engpässe werden noch enger

Schon vor dem Streik gab es Engpässe in der Industrie. Die könnten sich nun verschärfen, warnt der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME). "Das dürften früher oder später auch die Verbraucher spüren, etwa beim Bau oder dem Autokauf", sagte der BME-Logistikexperte Carsten Knauer. Schon jetzt machten etwa der Chipmangel oder Materialengpässe wie beim Holz auf dem Bau den jeweiligen Branchen zu schaffen. Mit dem Streik käme für die Sektoren, die bei ihren Lieferketten vor allem auf die Schiene setzten, ein weiteres Problem hinzu.

IW: Tägliche Schäden bis zu 100 Millionen Euro

Die Streiks würden für die Wirtschaft und die Gesellschaft eine kaum kalkulierbare Belastung, warnt Russwurm vom BDI. Besonders betroffen sind natürlich die Branchen, die mit ihrer Logistik weitgehend auf die Bahn angewiesen sind und Ihre Transporte nicht ohne Weiteres auf andere Verkehrsträger verlagern können, wie die Chemie-, die Stahl- und die Autoindustrie.

Es dauere etwa drei bis vier Tage, bis die Unternehmen die Streikfolgen deutlich zu spüren bekommen, weil selten zeitkritische Güter mit der Bahn transportiert würden, so Thomas Puls, Verkehrsexperte beim IW. Die Höhe der Kosten hänge vor allem von der Dauer des Streiks ab. Erfahrungswerte früherer GDL-Streiks zeigten, "dass die täglichen Schäden bei Unternehmen bis zu 100 Millionen Euro betragen können", so Puls.

Gelassenheit bei der Bahn-Konkurrenz

Die Deutsche Bahn verfrachtet rund 43 Prozent aller auf der Schiene transportierten Güter - den Rest befördern Konkurrenten der Bahn. Die sind vom Streik nicht betroffen. "An den Streiktagen liefen ihre Verkehre planmäßig und - wegen der geringeren Auslastung der Schienen - sogar etwas schneller durch das Netz", bilanzierte das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen. Die Gefahr, dass Lieferketten reißen, sieht der Verband daher erst bei einer längeren Streikwelle.

Deutschland München | Vor dem Lokführer-Streik im Personenverkehr
Die DB kommt hier nicht unbedingt. Aber von den 455 Eisenbahnen, die eine Lizenz für den Betrieb auf dem deutschen Schienennetz haben, sind 209 für bundesweiten Güterverkehr zugelassen; 206 davon nutzen ihre Lizenz.Bild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

Der Streik im Güterverkehr lief nach Bahnangaben ruhig an; am Wochenende ist der Verkehr dort nach Unternehmensangaben üblicherweise relativ gering. Erst im Laufe des Sonntags habe der Rückstau die Rangieranlagen erreicht. Wenn am Montag die Industrieproduktion bundesweit hochgefahren werde, sei mit deutlicheren Beeinträchtigungen und Verspätungen der Cargozüge zu rechnen, teilte die Bahn mit. "System- und versorgungsrelevante Züge werden weiterhin vom zentralen Arbeitsstab der DB Cargo priorisiert und gelangen bislang - auch mit Hilfe unserer Partnerbahnen - an ihr Ziel."

Es ist bereits die zweite Streikwelle im laufenden Tarifkonflikt zwischen der Bahn und der GDL. Vor rund zwei Wochen hat die Gewerkschaft bereits zwei Tage lang große Teile des Personenverkehrs lahmgelegt.

iw/hb (dpa, afp, rtr)