Unter Klassenfeinden
16. September 2009"Das Handelsembargo ist nur ein Beweis dafür, wie aggressiv sich die USA seit Jahren gegenüber Kuba verhalten!", sagt Tomás und wippt aufgeregt in seinem Schaukelstuhl hin und her. Mordversuche auf Fidel Castro, der Fall der Miami Five und das Lager in Guantánamo: "Das, was sie unter Demokratie verstehen, will hier niemand." An Tomás Feindbild rüttelt auch kein Reformpräsident Obama. Als 15-Jähriger hat er in Santa Clara, gemeinsam mit den revolutionären Truppen Ernesto Che Guevaras für die Revolution gekämpft. Und gegen eine Diktatur, unter der Kuba den USA als Urlaubsziel und Milchkuh diente, während die Bevölkerung Armut, Hunger und Unterdrückung ausgesetzt war.
Willkommener Sündenbock
Auf dem "Platz des Anti-Imperialismus" vor der US-Interessensvertretung in Havanna steht eine Statue von José Martí. Anklagend zeigt Kubas Chefrevolutionär auf das Gebäude. Seit der Revolution sei es das Ziel der USA gewesen "durch Angriffe, verlogene Propaganda und wirtschaftliche Sanktionen Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung zu schüren", heißt es in einem kubanischen Dokumentarfilm zum 50. Jubiläum der Revolution. Einen Schaden von rund 89 Mrd. US-Dollar soll das Embargo gegen Kuba bisher verursacht haben. .
"Das Embargo ist eine Unverschämtheit, es verkompliziert unser tägliches Leben ungemein", sagt Rentner José und fügt hinzu: "Trotzdem, wir Kubaner haben bisher jede Krise gemeistert." Anstatt die Castro-Regierung zu schwächen, hat ihr die Blockadepolitik der USA eher den Rücken gestärkt. Sie war stets ein willkommener Sündenbock für innenpolitische Probleme.
"Wir können über alles reden!"
Doch die Fronten haben sich entschärft. Die anderthalb Meter hohe rote Leuchtschrift an der US-Vertretung, über die seit 2006 kritische Bemerkungen zu politischen Lage Kubas flimmerten, wurde im Juli abmontiert. Kuba seinerseits rollte daraufhin die Plakatwände auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein. "Bush = Mörder" war dort zu lesen gewesen.
Staatschef Raúl Castro signalisierte im April auf einem Treffen des Staatenbundes ALBA Dialogbereitschaft. Man werde mit den USA "über alle gewünschten Themen" sprechen – sofern der Dialog auf gleicher Augenhöhe stattfinde und die kubanische Souveränität nicht beeinträchtige. Und bei der Ansprache zum Jahrestag des Sturmes auf die Moncada-Kaserne am 26 Juli in Holguín, erklärte er, man dürfe die derzeitigen Probleme des Landes nicht allein auf das Handelsembargo schieben. Castro rief eine Großoffensive in der Landwirtschaft aus.
"Ahorrar o muerte"
Kuba importiert rund 80 Prozent seiner Lebensmittel. Die von Raúl angekündigte Agrarreform mit dem Ziel der Verteilung von Ackerland an Kleinbauern stockt. Noch immer sollen ein Drittel der knapp 700.000 neu verpachteten Hektar brach liegen, heißt es in einer Studie der Stiftung für Politik und Wissenschaft. Dazu kommen die Schäden der Hurrikans im letzten Jahr, die ein Gros der Ernten vernichtet haben. Nun geht der Regierung das Geld aus: die Rücküberweisungen aus dem Ausland, von denen der Staat jeden zehnten Dollar einbehält, sind im Zuge der Wirtschaftskrise dramatisch zurückgegangen.
Der Tourismus verzeichnet zwar nach wie vor Rekordzahlen, doch die Kuba-Urlauber geben insgesamt weniger Geld aus. Der Weltmarktpreis für Kubas wichtigstes Exportgut Nickel steigt zwar wieder an, nachdem er zuvor um 80 Prozent eingebrochen ist, aber das Niveau der Vorjahre wird er nicht mehr erreichen. Eben wurde die Wachstumsprognose der kubanischen Wirtschaft von sechs auf nur noch 1, 7 Prozent hinunter korrigiert.
"Ahorrar o muerte" – "Sparen oder Tod", plakatiert die Regierung im ganzen Land. "Wo denn noch?", stöhnt María Teresa. Es werde doch ohnehin alles teurer. "Sie streichen uns Rationen von der Lebensmittelkarte, auf den Märkten gibt es kaum noch was und der öffentliche Transport ist eine Katastrophe! Man kommt kaum noch von A nach B". Dazu kommt das von der Regierung verordnete Stromsparen. Bis mittags um eins gebe es kein Licht, keine Ventilatoren, keine Klimaanlage. "Und das bei dieser Hitze!" Entnervt wischt sich María den Schweiß von der Stirn.
Die zwei Kubas
Der Durchschnittslohn in Kuba liegt bei 285 Pesos, etwas mehr als elf Dollar. Die angekündigte Gehaltsreform haben die meisten Kubaner bisher kaum bemerkt. Das Gros der alltäglichen Güter muss aber mittlerweile in Devisen, dem an den Dollar gebundenen CUC, gezahlt werden. Vor allem in Touristengebieten wird versucht, am Staat vorbei etwas dazu zu verdienen. Das spalte die Gesellschaft: "Ich war nie für zwei Kubas", sagt der Geschichtsprofessor Félix Pérez*, "das Kuba der Touristen, in dem Devisen verdient werden und das Kuba der Kubaner, die nur zugucken dürfen." Der Staat müsse mehr Privatinitiative zulassen und fördern, fordert er. "In dieser zentralisierten Mangel-Wirtschaft haben wir alle verlernt, zu arbeiten!"
I-Phone und Reiseverbot
"Viva Cuba Libre“ flüstert Django* am Malecón in Havanna, als wieder mal ein Polizist vorbei patrouilliert. Wer zu auffällig mit ausländischen Touristen diskutiert, wird sofort nach seinem Ausweis gefragt. Django tut unauffällig und zückt sein I-Phone – ein Geschenk seines Bruders, der in Miami lebt, wie die meisten seiner Freunde. "Irgendwann gehe ich auch... vielleicht." Django guckt aufs Meer hinaus: "Aber noch will ich meine Mutter nicht alleine lassen, es gibt schon viel zu viele getrennte Familien hier in Kuba." Dann schweift sein Blick hinüber zur US-Vertretung: Vielleicht ändere sich ja jetzt mit Obama als US-Präsident etwas.
Yoani Sánchez, Kubas berühmteste, aber vom Staat angefeindete Bloggerin ist da jedoch skeptisch. Die Regierung unter Fidels jüngerem Bruder Raúl werde sich vielleicht wirtschaftlich, aber niemals politisch öffnen. Das müssten die Kubaner ganz alleine einfordern. "Aber unsere Gesellschaft ist so apathisch. Die einen profitieren, andere haben sich stillschweigend ihrem Schicksal ergeben. Und die meisten jungen Leute denken ans Auswandern." Schnell werde es da keinen Wandel geben. "Ich hoffe aber", sagt Yoani, "dass die Träume, die meine Enkel haben werden, sich hier in Kuba erfüllen können."
*Name von der Redaktion geändert
Autorin: Lena Fabian
Redaktion: Mirjam Gehrke