UNRWA bittet um EU-Gelder trotz schwerer Vorwürfe
11. Februar 2024Zwei Tage bevor der UNRWA-Generalsekretär Philippe Lazzarini in Brüssel die EU-Ministerinnen und -minister für Entwicklungshilfe treffen wird, hat die israelische Armee erneut schwere Vorwürfe gegen das Palästinenserhilfswerkes der Vereinten Nationen (UNRWA) erhoben: Unter dem Hauptquartier der Organisation im Gazastreifen sei ein Tunnel gefunden worden, den die Hamas für geheimdienstliche Aktivitäten genutzt habe. Die militant-islamistische Palästinenserorganisation Hamas wird von der EU, den USA und anderen Staaten als Terrororganisation eingestuft.
Der UNRWA-Chef bestritt Kenntnis von diesem Tunnel der Hamas oder seiner Versorgung mit Elektrizität aus dem Hauptquartier zu haben. Außerdem werde das UNRWA-Gebäude seit dem 12. Oktober, also seit kurz nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober, nicht mehr genutzt. Israels Außenminister, Israel Katz, forderte den Rücktritt Lazzarinis. Im Januar hatte die mutmaßliche Zusammenarbeit von zwölf UNRWA-Mitarbeitern mit der radikalislamistischen Hamas für Empörung gesorgt.
Viele Fragen an Lazzarini
Philippe Lazzarini wird sich in Brüssel am Montag kritischen Fragen der EU-Minister stellen müssen, die ihre finanzielle Hilfe für die Versorgung der palästinensischen Flüchtlinge teilweise ausgesetzt hatten. Sie wollen wissen, wie es dazu kommen konnte, dass UNRWA-Mitarbeiter am Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel am 7. Oktober beteiligt gewesen sein könnten. Philippe Lazzarini, ein erfahrener UN-Diplomat, führt das Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) seit 2020 und musste schon damals gegen Missstände angehen. Sein Vorgänger Pierre Krähenbühl war nach massiven Vorwürfen von Vetternwirtschaft und Machtmissbrauch von dem Posten zurückgetreten.
Die Vereinten Nationen hatten nach Bekanntwerden der Anschuldigungen gegen zwölf der circa 13.000 UNWRA-Mitarbeiter im Gazastreifen zehn von ihnen sofort aus dem Dienst entfernt. Zwei weitere sind verstorben. Außerdem läuft eine interne Untersuchung der Vereinten Nationen, die UN-Generalsekretär Antonio Guterres angeordnet hat. Alle Verantwortlichen sollen ermittelt werden. Für ihre Behauptung, zehn Prozent der UNWRA-Bediensteten seien mit den Hamas-Terroristen verbandelt, habe die israelische Regierung dagegen noch keine Belege vorgelegt, so die UN-Behörde.
Deutschland setzt Hilfe aus, Spanien macht weiter
Philippe Lazzarini kommt nach Brüssel, um an die EU und ihre Mitgliedsstaaten zu appellieren, ihre Finanzierung der UNWRA fortzusetzen. Neun Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, hatten wegen der Vorwürfe ihre Zahlungen an das Hilfswerk ausgesetzt, bis eine Untersuchung abgeschlossen ist. Andere Mitgliedsstaaten wie Irland und Belgien zahlen weiter. Spanien hat seinen Beitrag sogar um 3,5 Millionen Euro erhöht, um weitere humanitäre Hilfe für die Bevölkerung des Gazastreifens zu gewährleisten. Auch Portugal will mehr zahlen als bisher.
Die Europäische Union leiste derzeit ohnehin keine Zahlungen aus ihrem Gemeinschaftshaushalt, weil bis Ende des Monats keine fällig seien, teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mit. Bis dahin solle eine Überprüfung der Finanzströme durch die EU zeigen, ob Gelder an Terroristen geflossen seien und ob die Zusammenarbeit mit der UNRWA fortgesetzt werde. Eine einheitliche Haltung der EU und ihrer Mitgliedstaaten gebe es nicht, bedauerte Borrell. "Das ist nicht gut."
Borrell: UNRWA kann man nicht ersetzen
Borrell hat nach einem informellen Treffen der EU-Außenministerinnen und -minister Anfang Februar betont, dass die Zahlungen zur Versorgung der Palästinenser im Gazastreifen unbedingt weitergehen müssten: "Wir werden sicherlich für Überprüfungen und Kontrollen eintreten wegen der Lücken in der Verantwortlichkeit, aber ich kann sagen, dass die Mehrheit der 27 Mitgliedsstaaten das Gefühl hat, dass man die UNRWA nicht ersetzen kann. Ich wiederhole, es gibt keinen Ersatz für die UNRWA!"
Das Palästinenserhilfswerk ernährt nach Einschätzung des EU-Außenbeauftragten rund zwei Millionen Menschen, nicht nur im Gazastreifen, sondern auch in der Westbank, Jordanien und im Libanon. Außerdem erfülle sie medizinische Aufgaben und sorge für Schulbildung. "Wer soll das über Nacht ersetzen?", fragte Josep Borrell. "UNRWA spielt eine entscheidende Rolle. Es ist wahr, dass die israelische Regierung die UNRWA sehr kritisch sieht, nicht nur jetzt, sondern auch schon zuvor. Aber wir können nicht zwei Millionen Menschen bestrafen."
Schulze: Wir werden helfen müssen
Das EU-Mitglied Deutschland ist weltweit der zweitgrößte Geber für die UNRWA mit 202 Millionen US-Dollar im Jahr 2022. Die USA, die ihre Zahlungen ebenfalls auf Eis gelegt haben, sind der größte Geber mit 344 Millionen Dollar. Auf Platz drei folgt die Europäische Union, also der gemeinsame Topf aller Mitgliedsstaaten mit 114 Millionen Dollar.
Nach den Vorwürfen haben neben einigen EU-Staaten auch Japan, die Schweiz, das Vereinigte Königreich, Kanada und andere ihre Zahlungen ausgesetzt oder unter Vorbehalt gestellt. Insgesamt 20 Staaten haben weltweit so reagiert. Die deutsche Ministerin für Entwicklungshilfe, Svenja Schulze (SPD), geht davon aus, dass die UNRWA-Finanzierung nach Aufarbeitung der Vorfälle weitergehen wird. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir bei dem Leid und der Not, die da gerade in dieser Region ist, nicht mehr unterstützen. Wir werden da helfen müssen. Das ist auch im Interesse Israels, dass den Menschen in dieser Region dort geholfen wird", sagte Schulze dem Sender ntv Ende Januar.
UNRWA sieht ab März Arbeit in Gefahr
In einer Pressemitteilung kündigte die UNRWA am vergangenen Donnerstag an, dass sie ab Ende Februar Schwierigkeiten haben werde, ihre Aufgaben zu erfüllen und die Versorgung der Bevölkerung im von israelischen Militäroperationen verwüsteten Gazastreifen aufrecht zu erhalten. Das Hilfswerk, das bereits seit 75 Jahren für die palästinensischen Flüchtlinge und ihre Nachkommen zuständig ist, wird nicht aus dem regulären Haushalt der UN finanziert, sondern ist auf jährliche Spenden angewiesen.
"Während die UNRWA es gewohnt ist, mit finanzieller Unsicherheit umzugehen, stellen die Entwicklungen in diesem Januar ein neues Niveau an Risiko dar. Wenn die Spender nicht schnell und umfänglich weiterzahlen, könnte diese Agentur Ende Februar am Ende ihrer Ressourcen ankommen", heißt es auf der UNRWA-Webseite. Genau das will Philippe Lazzarini mit seinem Werben in Brüssel verhindern.