Unmut über Merkel in der CDU
26. Oktober 2015Die Kritik will einfach nicht aufhören. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat dafür gesorgt, dass das Asylrecht verschärft worden ist, bei jeder sich bietenden Gelegenheit betont sie, wie wichtig es sei, abgelehnte Asylbewerber schnell abzuschieben. Außerdem hebt sie hervor, mit wie vielen Millionen Euro der Bund den Ländern und Kommunen in der Flüchtlingskrise helfen wird. Aber der Zweifel, ob das reicht, wird lauter - auch in der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU), Merkels eigener Partei.
"Das ist eine Bewährungsprobe für Frau Merkel, sie ist in einer Weise in der Kritik, wie sie es bisher noch nie war", stellt Oskar Niedermayer im Gespräch mit der DW fest. Der renommierte Parteienforscher lehrt an der Freien Universität zu Berlin.
Der Begriff "Bewährungsprobe" klingt angesichts des harscheren Tons in der CDU geradezu positiv. Auf Parteiveranstaltungen muss Angela Merkel Transparente lesen, die ihre Absetzung fordern. Nach Medienberichten warnt Finanzminister Wolfgang Schäuble vor einer "dramatisch schlechten Stimmung" in der Union. Schäuble wird in diesem Zusammenhang auch der Begriff "Zerreißprobe" zugeschrieben. Bedrohlich: Die Umfragewerte bewegen sich nach unten. Nach Informationen aus parteinahen Kreisen geben zahlreiche Mitglieder der Union im Südwesten Deutschlands ihr Parteibuch ab. Der Chef der Schwesterpartei CSU, Horst Seehofer, ist in dieser Lage mit Warnungen zur Stelle: "Wenn die Asylpolitik nicht korrigiert wird, dann geht das an die Existenz von CDU und CSU", sagte er am Wochenende.
Kein Licht im Tunnel
Der menschenfreundlich gedachte und selbstbewusste Kern-Satz der Kanzlerin "Wir schaffen das!" wird ihr übel genommen. Und dann das Selfie von Merkel mit Flüchtlingen: Vielen in der Union war das zu naiv. Sie finden, dass Angela Merkel daran mitschuldig ist, dass inzwischen etwa 7000 Flüchtlinge täglich nach Deutschland kommen: Eine Einladung! Jetzt müsste sie aber mal gegensteuern!
"Wir erwarten jetzt ein starkes Signal von Angela Merkel, dass sie dafür eintritt, dass der Flüchtlingszustrom wirklich abnimmt", fordert der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Axel E. Fischer. Er kennt den Unmut aus seinem Wahlkreis Karlsruhe-Land. "Die Stimmung kocht", sagt der CDU-Politiker im Gespräch mit der DW. Die Menschen hätten das Gefühl, es kämen immer mehr Flüchtlinge und es höre nicht auf: "Das ist ein Gefühl, wie durch einen dunklen Tunnel zu fahren und es kommt einfach kein Licht!"
Natürlich gibt es auch diejenigen in der Partei, die finden, dass alles mit und durch Merkel auf einem guten Weg ist. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat sich in den Medien in diesem Sinne gemeldet. Und der Koordinator der Bundeskanzlerin für die Bewältigung der Flüchtlingskrise, Peter Altmaier (CDU), sieht auch mehr Akzeptanz als Ablehnung. "Niemand glaubt, dass jemand anderer besser mit diesem Problem umgehen kann als Angela Merkel", sagte er zuversichtlich im ZDF. Dieses Vertrauen in die Regierungschefin gehört natürlich zu seinem Job. Je weiter man in den Süden, also näher zu den Ankunftsregionen, kommt und mit den Leuten dort spricht, desto weniger ist von diesem Vertrauen zu spüren.
"Kommunikation funktioniert nicht mehr"
Es ist ja nicht so, dass Angela Merkel nicht versucht, die Botschaft vom Richtungswechsel in der Flüchtlingspolitik unter die Leute zu bringen. Es scheint einfach so, also ob die Botschaft nicht mehr ankommt. "Frau Merkel tut ja wirklich alles, was sie kann", beobachtet Parteienforscher Niedermayer. Der Politologe findet es fast schon erschreckend, dass die Kommunikation auch innerhalb ihrer Partei nicht mehr zu funktionieren scheint. "Von einer Zerreißprobe würde ich nicht sprechen, aber die CDU ist in der Flüchtlingsfrage so sehr gespalten wie der Rest der Gesellschaft auch", bedauert er. Entlastung können Worte in dieser Situation kaum noch bringen. "Es kommt jetzt darauf an, dass die neuen Maßnahmen greifen."
Verschärft wird der parteiinterne Dissens dadurch, dass im kommenden Jahr eine Reihe von Wahlen in den Bundesländern ansteht. Da wird aufmerksam auf die Stimmen im Wahlvolk geachtet - und auch kleine Ausschläge bei den Umfragewerten werden ernst genommen. Und obwohl - wie unlängst in zwei Nachrichtenmagazinen - auch schon mal davon berichtet wird, dass möglicherweise an Merkels Stuhl gesägt werde: Sie muss sich nicht fürchten. Denn eine auch nur ansatzweise tragfähige personelle Alternative zur amtierenden Bundeskanzlerin gibt es in der Union nicht.