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Glück und Psychotherapie

Günther Birkenstock4. Dezember 2013

Viele Menschen, die anhaltend unglücklich sind, suchen bei Psychotherapeuten und Psychiatern Hilfe. Wir haben mehrere Unglücksspezialisten gefragt, wie sie Glück und Unglück definieren.

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Symbolbild Liebe Schere und Ring
Bild: Fotolia/Jens Klingebiel

In seinem Arbeitsalltag wird Andreas Soljan in erster Linie mit dem Thema Verlust konfrontiert. Verluste "in Beziehungen, in Partnerschaften, durch Trennungen und Todesfälle und durch dramatische Lebensereignisse." Spannenderweise gehören für den Psychotherapeuten aus Düsseldorf auch Momente dazu, "in denen das Leben besonders gut zu gehen scheint." Auch geballtes Glück könne unglücklich machen, sagt Soljan mit Rückblick auf seine langjährige Therapieerfahrung - wenn in kurzer Zeit viele aufregende Dinge passieren: ein interessanter Job, ein neuer Partner, in den man sich verliebt, eine Heirat und dann noch die glückliche Gelegenheit einer günstigen Eigentumswohnung, dann könne das Menschen überfordern und sie traurig stimmen, erklärt Soljan.

Glück ist ein hochindividuelles Gefühl

Im Gespräch mit der DW berichtet der Psychologe von einem eindrücklichen Beispiel zweier Männer mit sehr unterschiedlichem Schicksal. Einer seiner Patienten war nach einem unverschuldeten Motorradunfall querschnittsgelähmt. Als der junge Mann zur Therapie in Soljans Praxis kam, lächelte er den Therapeuten an. Am Ende des Beratungsgesprächs fragte Soljan seinen Patienten, wie er sich empfinden und einordnen würde auf einer Skala, die von 0 für vollkommen unglücklich bis 6 für ganz und gar glücklich reicht. Der junge Mann gab 4,1 zur Antwort. Ein anderer Mann in Soljans Therapie-Praxis hatte das Glück, eine halbe Million Euro beim Lottospiel gewonnen zu haben. Der Gewinn überforderte ihn jedoch. Er ordnete sich auf der Glücksskala bei 4,2 ein. Ein deutliches Beispiel, so Soljan, wie unterschiedlich und individuell das Empfinden von Glück und Unglück sind.

Dr. Andreas Šoljan Adipositas-Projekt AdiPosiFit
Dr. Andreas Šoljan: "Auch geballtes Glück kann unglücklich machen."Bild: A. Šoljan

Trauer ist meist eine gesunde Reaktion

Für den Psychiater Roland Urban haben alle Unglücksempfindungen eines gemeinsam - eine Ursache, die man selber nicht beeinflussen kann, sei es eine Erkrankung, der Tod eines Angehörigen oder ein anderer Verlust. Urban glaubt jedoch, dass es Selbstheilungskräfte gibt. "Das Unglück mindert sich", so der Arzt im Gespräch mit der DW, "wenn der Betroffene in der Lage ist, irgendetwas anderes zu finden, wo er eine Möglichkeit hat, etwas zu verändern - bei sich selbst oder bei anderen." Als Beispiel nennt er eine Frau, die den Tod ihre Mannes betrauert. Als sie sich um ihre hilfsbedürftige Nachbarin kümmert, wird durch das soziales Handeln, durch Nächstenliebe, ihr eigenes Unglück kleiner. Und sie ist durch die Aufgabe angeregt und abgelenkt, so dass ihre Gedanken nicht ständig um den eigenen Verlust kreisen.

Der Psychiater warnt jedoch davor, Unglück, Trauer und psychische Störung oder Krankheit gleichzusetzen. "Sich unglücklich fühlen, ist eine gravierende schmerzhafte Empfindung, aber das ist ja nichts aus der Terminologie der Krankheiten und Störungen." Ganz oft sagten Menschen, sie seien unglücklich und hätten eine Depression. Es könne jedoch auch etwas ganz anderes sein. "Dann gilt es, das zu behandeln, was behandelbar ist und vielleicht dahinter liegt. Zum Beispiel bei einem Alzheimer-Patienten, dem es immer schwerer fällt, sich zurechtzufinden und Dinge zu verstehen und zu erinnern." Der, sagt Urban, sei über den fortschreitenden Verlust seiner Fähigkeiten unglücklich. Aber das eigentliche, worum es geht, sei im Grunde die Alzheimer-Demenz. Auch sei Trauer, so der Mediziner, eine vollkommen normale Reaktion eines gesunden Menschen. Deshalb betrachtet er die Bewertung der amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft mit Argwohn, die in ihrem Diagnose-Katalog festgelegt hat, dass nach vier Wochen Trauerreaktion von einer Depression auszugehen ist. "Hier werden Menschen zu Kranken gemacht", meint Urban.

Obertitel "Glück" Schlagwort Glücksforschung Name: Dr. med. Roland Urban, Vorstand Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN)
Glaubt an Selbstheilungskräfte des Geistes: Psychiater Roland UrbanBild: Berufsverband Deutscher Nervenärzte

Glücklich sein kann man lernen

Viele Schwierigkeiten in unserem heutigen Leben beruhen auf Verhaltensmustern, die wir früh gelernt haben. "Das ist ein unbewusstes Programm." Erklärt Stephan Lermer, Psychotherapeut und Coach in München. "Bewusst wird das immer beklagt. Mein Gott, andere können das. Ich kann es nicht. Und da kann die Psychotherapie helfen das tiefenpsychologisch aufzulösen, dass da ein Programm ist, das das Gelingen verunmöglicht." Viele Menschen würden erst durch tiefe Krisen darauf aufmerksam, dass sie ihr Leben lang anders gelebt haben, als sie wollten - fremdgesteuert. Häufig seien diese Krisen, ohne es zu wollen, von den Patienten selber bewirkt. Der Psychologe erzählt von einem Mann, der betrauert, dass seine Frau ihn verlassen hatte. Über Jahrzehnte hätten sich die beiden damit arrangiert, dass die Frau in ihrem gemeinsamen Sexualleben keinen Orgasmus empfinden konnte. Als sie eines Tages ihrem Mann erzählt, dass sie die Empfindung habe, dass sie einen Höhepunkt mit ihrem Tennislehrer erleben könnte, reagiert ihr Mann nüchtern und sagt: "Probier es aus." Das Experiment verläuft so, wie die Frau es sich vorgestellt hatte. Nach zwei Wochen habe sie sich von ihrem Mann getrennt.

Obertitel: Glück Stephan Lermer, Psychologe, Psychotherapeut
Stephan Lermer: "Der größte Glückskiller ist das Vergleichen."Bild: Christopher Thomas
Bildergalerie Fasten Meditation
Kann Meditation ein Mittel sein, um das Glück "am anderen Ende der Seele" zu finden?Bild: picture-alliance/dpa

Für Stephan Lermer gehören Trauer und Unglück zum Leben, wie der Schatten zum Licht. Das Streben nach mehr Glück beginne bei der Selbstfindung. "Man muss seine Bedürfnisse kennenlernen. Was möchte ich eigentlich? Was ist mir wichtig?" Die Glücksforschung habe hier einiges zu bieten, zum Beispiel, die einfache, aber klare Erkenntnis, dass Konsum nicht glücklich macht. "Man kann sagen, der größte Glückskiller ist das Vergleichen und die größte Glücksquelle ist es, andere glücklich zu machen." Früher hätten viele das Glück im Jenseits gesucht, sagt Psychologe Lermer. Nicht nur im Glauben, sondern auch in romantischer Sehnsucht. Das habe sich gewandelt. "Heute sagen wir, das Glück ist nicht jenseits, am anderen Ende der Welt, sondern jenseits am anderen Ende deiner Seele. Und da musst du versuchen, es zu entdecken und zu locken." Mit dem Glück sei es wie mit Radiowellen, erklärt Stephan Lermer. Sie seien immer da. Die Menschen müssten sie nur einfangen.