Ungarn verabschiedet umstrittenes Kulturgesetz
11. Dezember 2019Mit überwältigender Mehrheit hat Ungarns rechtskonservative Regierungskoalition unter Premierminister Viktor Orbán am Mittwochvormittag ein umstrittenes Kulturgesetz verabschiedet, das "die strategische Lenkung der kulturellen Sektoren durch die Regierung gewährleisten" soll. Nach massiven Protesten der ungarischen Kulturszene und von Oppositionspolitikern wie Budapests neuem Oberbürgermeister Gergely Karácsony wurde der ursprüngliche Gesetzesvorschlag jedoch nur in abgeschwächter Form angenommen.
Der ursprüngliche Entwurf, der Anfang Dezember veröffentlicht worden war, hatte unter anderem die Abschaffung des nationalen Kulturfonds und die Beschneidung staatlicher Zuschüsse für unabhängige Kulturinstitutionen vorgesehen. Subventionen sollten zudem an ein Mitspracherecht der Regierung bei der Ernennung von Theaterintendanten gekoppelt werden.
Das beschlossene Gesetz berührt die Finanzierung von Kulturinstitutionen zwar nicht so weitreichend wie im ursprünglichen Gesetzentwurf, da der nationale Kulturfonds bestehen bleibt. Dennoch: Sollten die Kommunen staatliche Zuschüsse für die Finanzierung der Theater fordern, kann die Regierung nicht nur über die Zahlung der Subvention an sich entscheiden, sondern darf in diesem Fall auch bei Personalentscheidungen mitreden. Der geplante regierungsnahe Nationale Kulturrat soll zudem Leitlinien und Empfehlungen im Kulturbereich aussprechen. Die Opposition stellte sich geschlossen gegen das neue Kulturgesetz. Zahlreiche Politiker protestierten während der Abstimmung im Parlament, indem sie sich schwarze Theatermasken vor das Gesicht hielten.
Ungarns Kulturszene fürchtet weitere Einschränkungen
Dass der Gesetzesentwurf lediglich in abgeschwächter Form angenommen wurde, verschafft der ungarischen Kulturszene eine kleine Atempause im anhaltenden "Kulturkampf". Kulturschaffende sehen sich dennoch unter Druck. "Wir können uns bei dieser Regierung nicht sicher sein, dass nicht in einigen Wochen oder Monaten ein schärferes Gesetz kommen wird", sagte Martin Boross, künstlerischer Leiter des unabhängigen Theaters Stereoakt, am Mittwochvormittag bei einer Pressekonferenz in Budapest unter anderem der DW. "Es ist eine bewährte Strategie der Regierung, zu warten bis sich die Lage beruhigt hat, um dann noch gravierendere Gesetzesänderungen zu verabschieden."
Nach Bekanntwerden des Gesetzentwurfes hatten ungarische Kulturschaffende eine Protestpetition verabschiedet, die innerhalb weniger Tage über 50.000 Ungarn unterzeichneten. Am Montagabend hatten zudem Tausende auf Budapests Straßen gegen das Kulturgesetz demonstriert.
Kulturgesetz als politische Revanche?
Auch Budapests Oberbürgermeister Gergely Karácsony sprach sich gegen das Vorhaben der Regierung aus: "Wenn wir die Freiheit der Theater verteidigen, verteidigen wir auch die Freiheit der Stadt", so Karácsony. Er warf der Regierung zudem vor, das Kulturgesetz sei eine Revanche für die zahlreichen Niederlagen der Regierung bei den Kommunalwahlen im Oktober, in denen unter anderem Karácsony den amtierenden Budapester Bürgermeister der regierenden Fidesz-Partei ablöste.
Auch Martin Boross sieht im neuen Kulturgesetz einen politischen Rachefeldzug. Zudem sei es ein weiterer Schritt in der von der Regierung angestrebten Gleichschaltung aller Bereiche der ungarischen Gesellschaft. Nachdem Premierminister Viktor Orbán zuvor bereits die Medienlandschaft sowie den Bildungs- und Wissenschaftssektor auf Parteilinie gebracht habe, habe "die Welle der Zentralisierung nun auch den Kulturbereich erreicht." Die Regierung hatte die Gesetzesinitiative mit einem Fall sexueller Belästigung im Budapester Katona-József-Theater begründet.
Kulturschaffende blicken in düstere Zukunft
Sollten, wie von vielen Kulturschaffenden erwartet, in Zukunft doch staatliche Subventionen wegfallen, werde das massive Einschränkungen für Ungarns lebendige Kulturszene haben, befürchtet Anna Lengyel, künstlerische Leiterin des PanoDrama-Theaters. Infrastruktur und Personal würden dann nicht mehr bezahlt werden können, wodurch das Programm an Attraktivität verliere. Darunter leide nicht nur die Kulturszene selbst, sondern letztendlich vor allem das Publikum. Martin Boross betont zudem, dass ungarische Künstler sich dann zunehmend auf Auftritte im Ausland konzentrieren müssten, um sich finanziell über Wasser halten zu können.