Ungarische Asylregeln verstoßen gegen EU-Recht
16. November 2021Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat dem sogenannten "Stop-Soros"-Gesetz eine klare Absage erteilt. Am Dienstag entschied das Gericht mit Sitz in Luxemburg, dass Ungarn dadurch gegen EU-Recht verstoßen habe, dass Asylanträge abgelehnt werden können, wenn der Antragsteller über einen sicheren anderen Staat eingereist sei.
Insbesondere aber hat der EuGH über die Kriminalisierung von Flüchtlingshilfe in Ungarn entschieden: In Ungarn steht es unter Strafe, Personen in organisierter Form bei der Stellung eines Asylantrages zu unterstützen, wenn diese nach ungarischem Recht keinen Anspruch auf Schutz haben. Im Wiederholungsfall droht Flüchtlingshelfern eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr.
Darin sieht der EuGH einen Verstoß gegen das Recht der EU. Dieser stellt klar, dass "eine solche Unterstützung einzig und allein darauf abzielt, es dem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen zu ermöglichen, von seinem Grundrecht Gebrauch zu machen, in einem Mitgliedstaat um Asyl nachzusuchen."
Erklärtes Ziel der ungarischen Regierung war es, 2018 mit dem "Stop-Soros"-Gesetz "illegaler Migration" einen Riegel vorzuschieben. Der Name des Gesetzes bezieht sich auf den ungarisch-stämmigen Philantropen George Soros, der seit Jahren das Feindbild der ungarischen Regierung ist. Dieses Ziel sieht der EuGH durch das Gesetz als nicht erfüllt an. Denn bei der Gewährung von Hilfe bei der Antragstellung würde es sich nicht um eine Tätigkeit handeln, die die illegale Einreise oder den illegalen Aufenthalt fördere.
Von Seiten der EU-Kommission, die das Verfahren vor dem EuGH eingeleitet hatte, heißt es, dass man das Urteil zur Kenntnis nehme. Die ungarische Regierung sagte am Dienstag, sie nehme das Urteil an. Allerdings behalte sie sich das Recht vor, gegen Aktivitäten ausländisch finanzierter NGOs, inklusive derjenigen, die George Soros finanziere, weiterhin vorgehen zu können, wie Sprecher Zoltan Kovacs mitteilte:
Die ungarische Zivilgesellschaft nimmt das Urteil mit großer Erleichterung auf. "Es ist ein Riesenerfolg und eine Riesenerleichterung für das Helsinki-Komitee," sagt András Léderer der ungarischen Hilfsorganisation im Telefoninterview mit der DW. Laut Léderer habe es das "Stop-Soros"-Gesetz vor allem auf die Tätigkeit des Helsinki-Komitees abgesehen gehabt. Denn das Komitee sei die einzige Organisation in Ungarn, die Flüchtlingen und Asylsuchenden rechtliche Hilfe anbieten würde. Das Helsinki-Komitee wird unter anderem von der durch Soros' gegründeten Open Society Foundations, der UN und der EU finanziert.
Auch Franziska Vilmar, Asylrechtsexpertin bei Amnesty International, begrüßt die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes als ein "klarstellendes Urteil", nach welchem die Hilfe die Flüchtenden durch das Helsinki-Komitee angeboten wird "eine absolut rechtmäßige Tätigkeit" sei.
Es sei zwar kein Mitarbeiter unmittelbar strafrechtlich verfolgt worden, aber das Gesetz habe, laut Léderer, psychologische Auswirkungen gehabt: "Du musst jeden Tag zur Arbeit gehen, wissend, dass du für eine Straftat belangt werden könntest, für die ein Jahr Gefängnis vorgesehen ist." Nichtsdestotrotz habe das Helsinki-Komitee seine Arbeit unverändert weiter ausgeübt. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes habe das Helsinki-Komitee über 1800 Asylsuchenden in Ungarn geholfen.
"Signalwirkung” für andere europäische Staaten
In anderen EU-Staaten gebe es auch Fälle der Kriminalisierung von Flüchtlingshilfe, wie etwa in Italien oder Griechenland, sagt Franziska Vilmar. Da es sich um andere Sachverhalte handle, habe das heutige Urteil lediglich eine "Signalwirkung" für diese. Vilmar hofft, dass es "auch in anderen EU-Mitgliedstaaten als ein Urteil gelesen wird, wonach noch einmal deutlicher wird, dass das Antragstellen von Asylanträgen per se nicht missbräuchlich ist."
Ungarn muss Gesetzesänderung vornehmen
Im nächsten Schritt ist Ungarn am Zug, das EuGH-Urteil durch eine Gesetzesänderung umzusetzen. "Wir hoffen wirklich, dass die Regierung schnell eine Gesetzesänderung vorschlägt und nicht wie in anderen Fällen probiert, die Umsetzung des EuGH Urteils zu sabotieren," sagt András Léderer vom Helsinki-Komitee. In dem Statement, das die ungarische Regierung nach dem Urteil erlassen hat, hält die ungarische Regierung aber an ihrem bisherigen Kurs in der Migrationspolitik und dem "Stop-Soros"-Gesetz fest.
Erst letzten Freitag hatte die EU-Kommission ein weiteres Verfahren zur Verhängung von Geldstrafen gegen Ungarn eingeleitet. Die Kommission ist der Ansicht, dass Ungarn ein früheres EuGH-Urteil vom Dezember 2020 nicht umgesetzt habe. Auch in diesem Verfahren ging es um ungarische Asylvorschriften. Das letzte Wort ist wohl noch nicht gesprochen.