Ungarische Journalistin tritt Flüchtlinge
9. September 2015Auf freiem Feld durchbricht eine Gruppe von Flüchtlingen eine Polizeisperre im ungarischen Röszke, nahe der serbischen Grenze. Zahlreiche Journalisten filmen die Szene. Ein Mann mit einem Kind auf dem Arm kann sich dem Griff der Polizisten entwinden und versucht an den Journalisten vorbeizurennen, als ihm eine Kamerafrau ein Bein stellt. Der Mann stolpert und fällt zu Boden. Ein zweites Video zeigt die Kamerafrau des ungarischen Fernsehsenders N1TV, wie sie zwei Flüchtlingskinder tritt, als diese die Polizeisperre durchbrechen.
Die Aufnahmen sorgen für große Empörung in den sozialen Netzwerken. Der Sender N1TV, der der rechtsextremen ungarischen Partei Jobbik nahe steht, hat mittlerweile reagiert. Chefredakteur Szabolcs Kisberk schreibt auf der Facebook-Seite des Senders: "Eine N1TV-Kollegin hat sich heute an einem Sammelpunkt in Röszke inakzeptabel verhalten." Der Arbeitsvertrag mit der Kamerafrau sei mit sofortiger Wirkung beendet worden. Der Sender betrachte die Angelegenheit damit als "abgeschlossen".
Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur führte Kisberk aus, Gewalt gegen Menschen dürfe nicht toleriert werden, "auch wenn es sich um Flüchtlinge handelt". Seiner Meinung nach gebe es "viele Wirtschaftsflüchtlinge" unter jenen, die jetzt nach Ungarn kommen, doch erkenne er an, dass auch viele vor den Kriegen in ihrer Heimat fliehen, sagte Kisberk weiter.
Tränengas gegen Flüchtlinge
Derweil setzten ungarische Polizisten an der Grenze zu Serbien Tränengas gegen rund 150 Flüchtlinge ein, die auf einer Landstraße Richtung Budapest marschieren wollten, wie die staatliche ungarische Nachrichtenagentur MTI unter Berufung auf die Polizei berichtete. Die Flüchtlinge seien am späten Dienstagabend zu Fuß aus Serbien gekommen und hätten sich auf den Weg nach Budapest gemacht. Ein Teil von ihnen, vor allem Familien mit Kindern, hätten sich von der Polizei überzeugen lassen, mit Bussen in das Erstregistrierungslager Röszke zu fahren.
Die übrigen, vor allem junge Männer, hätten sich geweigert und "No Camp" und "Budapest, Budapest" gerufen. Zum Tränengaseinsatz sei es gekommen, weil einige Flüchtlinge die Polizisten mit Gegenständen beworfen hätten, erklärte die Polizei. Niemand sei verletzt worden.
Zivilgesellschaft in Ungarn kritisiert Regierung
In einer gemeinsamen Erklärung forderten 22 Organisationen der Zivilgesellschaft in Ungarn die Regierung auf, im Umgang mit der Flüchtlingskrise die Menschenrechte zu respektieren. Anstatt die geflüchteten Menschen zu kriminalisieren, müssten sie nach grundlegenden Standards der Menschlichkeit aufgenommen werden, forderten Greenpeace Ungarn, das Ungarische Helsinki-Komitee und andere Menschenrechtsgruppen in einer Erklärung.
Das Asylsystem der EU befinde sich in einer ernsten Krise, die nicht nur von Ungarn gelöst werden könne. Das entbinde die Regierung aber nicht von der Pflicht, den Flüchtlingen in ihrem Leid beizustehen. "Die auf den Straßen und Plätzen von Budapest begonnene Krise hat nun auch das Grenzdorf Röszke erreicht - entweder aus Unfähigkeit oder aus bewusster Untätigkeit der Regierung heraus." Es könne nicht sein, dass die Hilfe für die Menschen in Röszke allein Gruppen der Zivilgesellschaft und Freiwilligen überlassen werde. "Die Situation in Röszke muss vom Staat gelöst werden, mit Beteiligung internationaler Organisationen."
cr/fab (dpa, afp)