Kampf gegen Folter auf dem Sinai
5. März 2014Alganesh Fessaha lächelt bescheiden, als sie das Podium in Köln betritt. Sie trägt schlichte Kleidung, ein Band im langen Haar. Etwa 90 Menschen sitzen im Publikum, im interkulturellen Zentrum "Allerweltshaus". Die Aktivistin ist in Deutschland, um über die Situation afrikanischer Flüchtlinge aufzuklären. Es wird still, als Fessaha beginnt, von ihrem Leben zu erzählen. Vor 35 Jahren verließ Alganesh Fessaha ihre ostafrikanische Heimat Eritrea, um in Mailand zu studieren. Nach ihrem Abschluss in Naturheilkunde beschloss sie, in Italien zu bleiben.
2003 flog sie in den Sudan - eine Reise, die sie stark veränderte. "Ich sah dort elternlose Kinder, die auf der Straße lebten. Sie hatten kein Essen und nichts zum anziehen. Da habe ich gedacht, dass ich nicht nur für mich verantwortlich bin, sondern, dass ich auch etwas für andere tun sollte."
Zurück in Italien gründete sie die Nichtregierungsorganisation "Ghandi". Am Anfang kümmerte sich die Organisation um Waisenkinder, baute Schulen oder brachte Kinder in katholischen Einrichtungen unter. Die NGO wurde schnell bekannt und wuchs. Inzwischen zählt sie Projekte in zwölf Ländern. In Äthiopien zum Beispiel konzentriert sich die Arbeit von Ghandi darauf, Eritreer zu versorgen, die dort in Flüchtlingslagern leben. "In einem Camp haben wir ein Ernährungsprogramm für 750 Kinder gestartet. Sie sind alle zwischen drei und sechs Jahre alt", erklärt Alganesh Fessaha. Für vier Flüchtlingslager hätten sie Getreidemühlen besorgt, außerdem 15 Häuser für Frauen, Körperbehinderte und ältere Menschen gebaut. Ihre NGO arbeite dabei mit Kirchen und anderen Hilfsorganisationen zusammen, sagt die Aktivistin. Bei Veranstaltungen würden Spenden gesammelt, um die Arbeit zu finanzieren.
Einsatz für verschleppte Flüchtlinge
Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Befreiung von afrikanischen Flüchtlingen, die auf dem Weg nach Israel festgehalten und auf die ägyptische Halbinsel Sinai verschleppt werden. Die Schlepper würden von den Familien der Flüchtlinge Zehntausende Dollar als Lösegeld verlangen, berichtet Alganesh Fessaha. Bekämen sie das Geld nicht, würden sie ihre Opfer foltern und misshandeln. Einigen würden sie sogar Organe entnehmen, um sie zu verkaufen.
Die Menschenrechtlerin reist regelmäßig in den Sinai, wo sie mit Hilfe des dort ansässigen Scheichs, Hassan Awwad, die Verschleppten ausfindig macht. "Das letzte Mal mussten wir in die Luft schießen, um die Menschen zu befreien, weil sie bewacht wurden. Die Schüsse haben die Wächter erschreckt. So konnten wir die Gefangenen befreien." In den vergangenen fünf Jahren hätten sie 550 Flüchtlinge aus den Händen von Schleppern und 2200 aus Gefängnissen im Sinai befreien können, erklärt sie dem Kölner Publikum und zeigt dabei Fotos der Verschleppten. Daraunter sind auch Bilder, die Wunden von Misshandlungen zeigen und auch welche von denjenigen, für die jede Hilfe zu spät kam. Die Menschen im Publikum reagieren schockiert, viele schauen weg. Alganesh Fessaha betont, dass sie die Bilder ganz bewusst zeigt, weil sie erreichen möchte, dass mehr für die Flüchtlinge im Sinai getan wird. Die Öffentlichkeit würde das Problem nicht wahrnehmen. "Warum machen die Europäische Union, die Amerikaner oder die Afrikanische Union nichts dagegen? Ich kann das nicht verstehen. Die Grausamkeit findet jeden Tag statt."
Keine Angst, trotz Morddrohungen
Hunderte von Fällen soll es seit 2010 gegeben haben, heißt es in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, der vor wenigen Wochen veröffentlicht wurde. Für ihren Einsatz im Sinai hat Alganesh Fessaha schon Morddrohungen erhalten - aber das mache ihr keine Angst. "Die Liebe, die ich für diese Menschen empfinde und die Liebe, die ich von ihnen bekomme, treiben mich an."
Elf Monate im Jahr reist sie um die Welt, um sich für die stark zu machen, die in ihren Augen vergessen werden. Wenn sie mal frei hat, ist sie am liebsten mit ihrer Tochter zusammen. "Meistens reist meine Tochter mit mir und hilft mir. Aber ich genieße es auch, mit ihr eine gemütliche Zeit zu verbringen, in der wir viel reden und unsere Gesellschaft genießen."
Für ihre Organisation hat Alganesh Fessaha weitere Pläne. Sie möchte eine Schule für die Kinder im Sinai bauen. Denn nur so könnte man sie vor Gewalt und Kriminalität fernhalten - davon ist sie überzeugt.