Problemfall Ökostrom
9. August 2012Das größte Infrastrukturprojekt Deutschlands seit der Wiedervereinigung hat seine Tücken. Bis 2022 soll Deutschland ohne Atomstrom auskommen und die Lücke in der Versorgung durch erneuerbare Energien und Stromeinsparungen geschlossen werden. Jetzt, mehr als ein Jahr nach der gesetzlichen Regelung der Energiewende scheint es an vielen Stellen zu haken. Entsprechend kritisch verläuft die aktuelle Diskussion zu dem Projekt.
Da ist zum Beispiel Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler. Der liberaldemokratische Politiker hat den Umweltschutz als Hauptfeind der Energiewende ausgemacht. Schließlich verhindere der, dass neue Stromtrassen gebaut werden könnten. Mit diesen Leitungen soll Energie von künftigen Windenergieanlagen vor den Küsten Norddeutschlands in den stromhungrigen Süden transportiert werden. "Es darf nicht wegen der Natur gegen den Menschen entschieden werden", mahnt Rösler und nennt ein Beispiel aus Niedersachsen: "Dort darf die neue Trasse nicht entlang der alten durch den Wald geführt werden, sondern daneben, an einem Dorf vorbei."
Umweltverbände genervt
"Der Vorwurf, der Leitungsausbau wird blockiert, ist absurd", sagt Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz. Er wüsste von keinem einzigen Verfahren, das sein Verband gegen eine neue Stromtrasse führe. Auch was lokale und regionale Bürgerverbände angehe, schätze er die Zahl als äußerst gering ein. Überhaupt, der Umweltschutz sei ein Motivator der Energiewende, hält Weiger dem Wirtschaftsminister entgegen. Er hält Rösler auch vor, übermäßig auf teure Offshore-Windanlagen zu setzen. Ohne sie würde auch der erforderliche Netzausbau kleiner ausfallen. "Wir setzen auf Onshore-Anlagen überall im Land", pflichtet Dietmar Schütz vom Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) zu. Beide hoffen, dass eine dezentrale Energieversorgung Macht und Profit der großen Stromkonzerne beschneiden.
Allerdings stockt bereits der Aufbau der ambitionierten Großanlagen auf hoher See. Daran schuld - so sehen es die beteiligten Stromkonzerne - sind fehlende Garantien dafür, dass sie den Strom aus den künftigen Anlagen auch einspeisen können. Bislang zögern sie, ihre milliardenschweren Bauvorhaben auf See voran zu treiben. Nach einem Bericht der Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" vertagte erst kürzlich der Energieriese RWE eine Investitionsentscheidung für einen Windpark vor der Nordseeinsel Juist. Es ging angeblich um 3 Milliarden Euro. Rösler will jetzt Abhilfe schaffen. Er verspricht baldige Haftungsregelungen. "Wir wollen das noch diesen Sommer in das Bundeskabinett bringen." Ohne Details zu nennen, stimmte er die Stromverbraucher schon einmal darauf ein, dass sie einen Teil der Kosten für die Ausfälle der Energieunternehmen tragen sollten. "Wir alle haben die Energiewende gewollt und wir alle müssen sie bezahlen", befindet der Wirtschaftsminister.
Kontraproduktive Kostendiskussion
Auf höhere Kosten bereitet auch Bundesumweltminister Peter Altmaier die Bürger vor. Ein Schatten fällt damit auf die Energiewende, dabei könnte sich Altmaier doch eigentlich freuen. Denn die Deutschen haben sich stärker an der Umgestaltung der Energieversorgung beteiligt, als Regierung und Umweltverbände prognostiziert hatten. Die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien wächst schneller als erwartet. Gut ein Viertel des Stroms wird in Deutschland aus Windkraft, Solarenergie, Wasserkraft und Biomasse hergestellt. Aber, weil für den Ökostrom feste Vergütungen bezahlt werden, weit über dem Marktpreis, wächst auch die Belastung für die Verbraucher. Das macht derzeit rund 35 Euro jährlich pro Haushalt aus, im nächsten Jahr könnten es schon 185 Euro sein.
Das sei schlechte PR für die Energiewende, fürchtet BUND-Chef Weiger und spricht von "Angstmache". Er sieht das Problem bei den vielen Ausnahmeregelungen für die Großverbraucher aus der Industrie. Die Kosten seien nicht solidarisch verteilt. "Die Energiewende wird zerredet und das könnte zu einem Roll-Back führen." Weiger blickt besorgt auf die Politik in Berlin. Strompreise könnten eines der großen Themen des Bundestagswahlkampfes 2013 werden.