Uneindeutige Signale aus Nordkorea
7. September 2016Die letzte Botschaft aus Nordkorea fiel eindeutig aus: Drei Mittelstreckenraketen feuerte das Land am Montag (05.09.2016) in Richtung Japan ab - während im Nachbarland China die Staats- und Regierungschef der G20 beim Gipfel in Hangzhou zusammensaßen. Als gezielte Machtdemonstration des international isolierten Landes werteten die Gipfel-Teilnehmer diese militärische Provokation, die zugleich ein klarer Verstoß gegen geltende UN-Resolutionen ist.
Wieder einmal. Schon mehrfach kam es in diesem Sommer zu ähnlichen Zwischenfällen. Zuletzt hatte Nordkorea am 24. August von einem U-Boot aus eine ballistische Rakete abgefeuert - und war dafür wie jetzt auch wieder vom UN-Sicherheitsrat scharf kritisiert worden. Neben den Raketentests der vergangenen Wochen gab es aber auch ganz andere Meldungen - aus oder über Nordkorea. Meldungen, die Fragen aufwerfen nach dem inneren Zustand des abgeschotteten ostasiatischen Landes.
Gerüchte über Hinrichtungen - aber keine Beweise
So gab das südkoreanische Vereinigungsministerium in Seoul Ende August bekannt, Nordkorea habe einen Regierungsvertreter im Rang eines Vize-Premierministers hinrichten lassen. Der Mann, der im Kabinett für Bildungsfragen zuständig war, sei bereits im Juli erschossen worden. Angeblich, weil er dem jungen Machthaber bei einer Sitzung der Obersten Volksversammlung nicht den nötigen Respekt entgegengebracht und keine gerade Körperhaltung eingenommen habe.
Kurz zuvor hatte eine südkoreanische Zeitung von zwei weiteren Hinrichtungen hoher Funktionäre berichtet. "Die Quellen wirken erst einmal seriös: das Ministerium für Wiedervereinigungsfragen und eine große Tageszeitung", sagt ein in Südkorea lebender Experte, der namentlich nicht genannt werden möchte, der DW. Allerdings ist Vorsicht geboten: "Meldungen über angebliche Hinrichtungen im Nachbarland haben sich in der Vergangenheit immer wieder als falsch erwiesen." Anfang des Jahres hieß es beispielsweise, Armeechef Ri Yong Gil sei ermordet worden - er tauchte dann allerdings beim Parteikongress im Mai wieder auf.
Hochrangige Überläufer - ein Probleme für das Kim-Regime?
Ebenfalls "verschwunden" ist Thae Yong Ho. Oder besser gesagt: Der nordkoreanische Spitzendiplomat hat sich abgesetzt. Im August wechselte der stellvertretende Botschafter in London die Seiten und ging samt Familie nach Südkorea. Thae ist nicht der erste, aber der ranghöchste Deserteur, mit dem Kim Jong Un es bisher zu tun hatte. Einem südkoreanischen Medienbericht zufolge sollen sich mit ihm in diesem Jahr bereits mindestens sieben Diplomaten abgesetzt haben.
In gewohnt scharfer Rhetorik wurde der Abtrünnige Thae danach in den Staatsmedien als "menschlicher Abschaum" bezeichnet und diverser Vergehen beschuldigt. Tatsächlich ist seine Flucht für die Führung brisant. Nicht nur, dass er aufgrund seiner Position vertrauliches Wissen weitergeben könnte - die Tatsache, dass ein von Pjöngjang entsandter und eigentlich auf Herz und Nieren geprüfter Top-Mann sich zu einem solchen Schritt entschließt, hat in den ausländischen Medien bereits für viele Spekulationen gesorgt. Laufen Kim langsam die Getreuen davon?
In einem Bericht des amerikanischen Korea-Portals Beyond Parallel heißt es: Derartige Fälle von Landesflucht "könnten ein Hinweis auf wachsenden Unmut und Unzufriedenheit mit Kim Jong Un und seinem Regime" sein. Und sollte eine wachsende Zahl von Diplomaten die Entscheidung treffen, Nordkorea aus Angst vor einer ungewissen Zukunft zu verlassen, würde das das Regime in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Denn "Kim ist auf seine Eliten angewiesen, um an der Macht zu bleiben".
Die Suche nach Gründen
Nach der Machtübernahme Kim Jong Uns Ende 2013 war die Zahl der Flüchtlinge zunächst zurückgegangen. Grund dafür waren härtere Strafen und verstärkte Kontrollen an der Grenze. Seit Anfang 2016 versuchen aber wieder mehr Menschen zu fliehen. Bei den meisten handelt es sich nicht um Mitglieder der privilegierten Klasse, sondern um Wirtschaftsflüchtlinge, die der Armut entkommen wollen. Kim Tae Woo, Professor an der südkoreanischen Konyang University und ehemaliger Präsident des Korea Institute for National Unification, zählt in einem Artikel für den "Diplomat" mehrere Gründe auf für die wieder steigenden Zahlen. "Zum Einen hat der Norden wieder einmal mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Die Nahrungsmittelproduktion, die sich seit 2010 vorsichtig erholt hatte, erlebte im vergangenen Jahr einen Sturzflug."
Auch die verschärften UN-Sanktionen in Folge des vierten nordkoreanischen Atomtests spielen seiner Ansicht nach eine Rolle. "In der Folge sind die nordkoreanischen Exporte zurückgegangen. Zusätzlich dazu fallen die Preise für Bodenschätze seit 2013, es gab einen starken Preisverfall bei den beiden Hauptexport-Produkten, Anthrazit und Eisenerz." Zu guter Letzt seien auch die Geschäfte mit dem wichtigsten Handelspartner China eingebrochen, seit Peking - anders als in der Vergangenheit - die UN-Sanktionen unterstützt. All das könnte Spekulationen zufolge auch bedeuten, dass Kim wegen der angespannten Finanzlage auch mehr Devisen von seinem im Ausland arbeitenden Spitzenpersonal einfordert. Was wiederum bei den Diplomaten für Unmut sorgt.
Die Tatsache, dass sich in den letzten Monaten vermehrt Mitglieder aus den privilegierten Gruppen abgesetzt haben, könnte nach Ansicht von Kim Tae Woo auch Auswirkungen weit über Nordkorea hinaus haben. Die jüngsten Fälle von Landesflucht würden nicht nur für die nordkoreanische Führung, sondern auch für Südkorea und die Internationale Gemeinschaft vor neue Herausforderungen stellen. "Der Strom an hochrangigen Überläufern könnte das Fundament des Kim-Regimes zersetzen und dadurch Pjöngjang antreiben, die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel anzuheizen, um innere Einheit herzustellen und gleichzeitig das Atomprogramm voranzutreiben."
Vor Ort: Business as usual?
Was sich in Nordkorea hinter den Kulissen abspielt und was die Meldungen und Gerüchte tatsächlich bedeuten, das vermag niemand mit Gewissheit zu sagen. Zu dünn ist die Informationslage. "Ich war auch nach der Verhängung der Sanktionen vom März dort", berichtet der in Südkorea lebende Experte. Ein Unterschied zu vorangegangenen Besuchen sei ihm dabei nicht aufgefallen, nichts, was auf eine Krise oder ähnliches hindeuten würde. "Die Stimmung war nicht gereizter oder angespannter als sonst. In den politischen Sitzungen haben wir über alles Mögliche gesprochen: Über den Brexit, über die Flüchtlingssituation in Europa, über die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten und über das Thema Rechtspopulismus in Deutschland."
Auch Probleme innerhalb Nordkoreas würden durchaus angesprochen. "Wenn es wirtschaftlich oder technisch irgendwo hakt, dann wird das durchaus thematisiert. Aber politische Probleme innerhalb der Führung, Loyalitäts- beziehungsweise Autoritätsprobleme oder gar Absetzungen von Diplomaten - das ist absolut tabu."