Katholische Kirche: Und sie bewegt sich doch
11. März 2023"Der Heilige Geist äußert sich vor allem in der Klugheit einer Versammlung", sagt Bischof Georg Bätzing. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz betet mit der Vollversammlung des "Synodalen Weges", die nun im Frankfurter Dom zu Ende gegangen ist.
Vor drei Jahren, Ende Januar 2020, stand dort ein Gottesdienst auch am Beginn der ersten Versammlung des "Synodalen Weges": ein langes, gemeinsames Gespräch von christlichen Laien und Bischöfen, um die von Missbrauchsskandalen erschütterte katholischen Kirche wieder glaubwürdiger und zukunftsfähig zu machen.
Synodalität und Synoden stehen, seit Papst Franziskus im Amt ist, in der katholischen Kirche hoch im Kurs. Das aus dem griechischen stammende Wort "Synode" bedeutet: gemeinsamer Weg. Das "zusammen" ist dem Papst wichtig. Zusammen Herausforderungen betrachten, zusammen streiten, beten, ringen. Aber zusammen bleiben.
2019 beschlossen die rund 65 katholischen deutschen Bischöfe einstimmig, mit den Laienkatholiken in Deutschland diesen "Synodalen Weg" einzuschlagen. Doch die Einmütigkeit der Bischöfe war schon vor der ersten Etappe des Weges dahin, weil sich ein kleinerer Block der Kirchenoberen immer wieder gegen Öffnungen und Reformen wandte. Dennoch kam ein Reformprozess in Gang. Es gab - trotz Corona-Pandemie - fünf Vollversammlungen und Regionalkonferenzen, wohl tausende Stunden an Foren-Arbeit, kiloweise Diskussionsvorlagen und erarbeitete Papiere.
In der Gegenwart ankommen
Der Kerngedanke war von Beginn an, die Ursachen sexueller Gewalt in der Kirche aufzuarbeiten und künftig Übergriffe zu verhindern. Das heißt: Auch die Bischöfe wollten klerikale Macht und Machtmissbrauch aufarbeiten. Doch daran schlossen sich viele weitere Themen an: Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche; die Möglichkeit für Frauen, für kirchliche Ämter geweiht zu werden; Respekt statt Ausgrenzung, wenn es um sexuelle Minderheiten geht; Teilhabe von Gläubigen an kirchlichen Entscheidungen. Eigentlich, so hieß es immer mal wieder, ging es darum, in der Gegenwart anzukommen.
Schon zum Auftakt befürchteten Beobachter, der "Synodale Weg" könne scheitern. Gelegentlich zogen sich einzelne, meist konservative Vertreter aus der Arbeit eines Forums zurück. Manchmal gab es Warnsignale aus Rom. Und einige Kirchen in anderen Ländern Europas empfanden das entschlossene Vorgehen der deutschen Katholiken als Bedrohung oder Herausforderung - und versuchten auf Distanz zu gehen.
Überhaupt die internationale Ebene: In reaktionären Kreisen und von einschlägig bekannten Bischöfen im Ausland wurde der deutsche "Synodale Weg" von Beginn an als "Sonderweg" abgestempelt. Der katholischen Kirche in Deutschland, dem Land der Reformation, wurde ein Glaubensabfall vorgeworfen. Das änderte sich. Bei der letzten Vollversammlung des "Synodalen Weges" waren jetzt offizielle Vertreter aus Australien und von den Philippinen dabei, auch aus Tansania und Peru, aus Belgien, Finnland, Schweden und Italien. Manche ihrer Bewertungen waren durchaus kritisch. Aber der Zuspruch dominierte. "Machen Sie weiter mit dem Synodalen Weg", sagten mehrere der Gäste.
Weltweite Dimension der Kirchenkrise
Denn immer mehr zeigt sich: Der Skandal um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche hat eine weltweite Dimension. Auf allen Kontinenten haben sich mittlerweile Opfer zu Wort gemeldet. Und in vielen Regionen stürzte das die Kirche in die Krise. Zum Teil, so im einst sehr katholischen Irland, brach eine eigentlich fest in der Gesellschaft verankerte Volkskirche binnen Jahren in sich zusammen.
In Deutschland verabschiedete der "Synodale Weg" in den Jahren seiner Arbeit 15 Beschlüsse. Einiges hatte konkrete Auswirkungen: So werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Lebensstil nicht den kirchlichen Vorgaben entspricht, nicht mehr entlassen - zum Beispiel, wenn sie eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft eingehen oder nach einer Scheidung erneut heiraten.
Die katholische Kirche will die Vielfalt der Geschlechter wahrnehmen und damit umgehen. Die Ausbildung von künftigen Geistlichen soll sich ändern. Und bald werden auch Frauen zumindest vielerorts predigen dürfen. Regelrecht gefeiert wurde, dass es in Kürze Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare geben soll; allerdings praktizieren das mutige Geistliche bereits schon eine Weile.
Aber oft beschloss der "Synodale Weg" nur Prüfaufträge oder Appelle: So soll die Öffnung des Zölibats geprüft werden, und die Bischöfe werden darauf drängen, dass der Vatikan die Möglichkeit weiblicher Diakone prüft. Er prüft das schon seit längerem. Eigentlich seit vielen Jahren. Aber man wartet. Eine "Revolution" ist das also nicht.
Die vielfache Beschränkung auf Prüfaufträge war auch eine Konsequenz eines Eklats bei der vierten Vollversammlung des "Synodalen Wegs". Damals ging es, gleichfalls in Frankfurt, um einen intensiv erarbeiteten Grundlagen-Text, der die katholische Sexuallehre nach modernen Erkenntnissen neu formulierte. Er erreichte die Zwei-Drittel-Mehrheit der gut 220 Delegierten, nicht jedoch der beteiligten Bischöfe. Und damit war er gescheitert.
Seitdem agierte der "Synodale Weg" in einer stärkeren Spannung. Die Bischöfe pochten, sogar in letzter Minute vor der letzten Sitzung, auf vorsichtigere Formulierungen und wandten sich gegen konkrete Forderungen. Zugleich wuchs der Frust anderer Delegierter. In diesen Tagen wirkte die Vollversammlung mehrfach über Stunden streitend angespannt, auch aggressiv.
Der kritische Blick des Papstes
Das mag damit zusammenhängen, dass Papst Franziskus und der Vatikan sich immer wieder kritisch über den Beratungsprozess der katholischen Kirche in Deutschland äußerten. Gelegentlich wurden sie von erzkonservativen deutschen Bischöfen regelrecht eingespannt. Aber es ist auch typisch für den Vatikan, die katholische Kirche in Deutschland skeptisch zu beäugen, die finanziell stark ist und tendenziell als theologisch offen gilt. Mönch Martin Luther lässt grüßen. Der Reformator aus Mitteldeutschland sorgte vor 500 Jahren für die Spaltung der römischen Kirche, wodurch die evangelische Kirche entstand.
Diesen anderen römischen Blick auf Deutschland veranschaulichte in Frankfurt der Antwerpener Bischof Johan Bonny. Er schilderte unaufgeregt und unterhaltsam, wie es den katholischen Bischöfen Belgiens in Rom ergangen ist. In der belgischen katholischen Kirche sind seit dem vorigen Jahr kirchliche Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare möglich - obwohl gut ein Jahr zuvor die Römische Glaubenskongregation solche Segnungen ausdrücklich verboten hatte.
Das, sagte Bonny, sei recht geräuschlos gelaufen. Vor einigen Monaten, bei einem Besuch der Bischöfe im Vatikan, habe es in der Kurie und vom Papst dazu keine Gegenrede gegeben. "Das ist ihre Entscheidung", habe Franziskus gesagt. Und betont, wie wichtig es ihm sei, dass die Bischöfe einig dahinter stünden. Bonnys Ausführungen zeigten, wie sehr die katholische Kirche in Bewegung geraten ist. Und sie zeigen ebenso, wie unberechenbar der römische Apparat ist.
Welttreffen in Rom
Doch die kirchliche Stimmungslage ist heute international und global eine andere. Der Vatikan forderte angesichts des Missbrauch-Themas und der Frage von Veränderungen vor gut einem Jahr jede der nationalen Bischofskonferenzen weltweit auf, Reformthemen zu diskutieren. Er drängte sie regelrecht dazu.
In den vergangenen Wochen liefen auf den meisten Kontinenten bereits internationale Kirchentreffen, die die Ergebnisse bündeln sollten. Und im Oktober steht in Rom eine erste von zwei weltweiten Synoden an. Vielleicht war die römisch-katholische Weltkirche noch nie so sehr eine Sammlung von Kirchen, die unterschiedliche Perspektiven und Erwartungen haben, die auch unterschiedliche Theologien favorisieren.
Klar ist: Statt moraltheologische oder kirchenrechtliche Vorgaben zu errichten, drängt Franziskus auf eine offene Kirche in Zeiten globaler Ungerechtigkeit, näher an der Not der Menschen, ihren Verwundungen. Das zeigte er auch in diesen Tagen. Als die Delegierten in Frankfurt sich noch froh zeigten, dass die Kirche sich ein wenig öffne, wurde in Rom mal wieder ein Papst-Interview veröffentlicht, diesmal mit der argentinischen Tageszeitung "La Nacion". Darin sagt Franziskus, es gehe ihm darum, "jedem einen Platz in der Kirche zu geben". Am Sonntag folgte in der italienischen Zeitung "Il Fatto Quotidiano" das nächste Interview. Er träume, sagte der 86-Jährige dort, "von einer Kirche ohne Klerikalismus". Sie müsse "rausgehen" unter die Leute.
In Frankfurt herrschte zum Ende des "Synodalen Weges" schiere Erleichterung. "Wir schalten nun das Format Synodalität auf Dauer", sagte Bischof Bätzing. Und die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, die mit Bätzing Präsidentin des "Synodalen Weges" war, betonte: "Wer den Missbrauchsskandal ernst nimmt, muss ganz klar an strukturellen Veränderungen arbeiten." Strukturveränderungen sind in aller Regel nicht revolutionär, sondern zähe Arbeit.