Unangepasst
28. Oktober 2002Typisch deutsches 50er-Jahre-Design, schlicht sieht es aus im Empfangsfoyer des Suhrkamp-Verlags in Frankfurt, im ehemaligen Gebäude der Bank für Wiederaufbau. Geschichtlich bedeutend ist der Ort allemal: Seit über 50 Jahren wird hier über die Literatur derer entschieden, die auf der Bilderwand im Foyer teilweise ernst wie Heinrich Böll oder verschmitzt wie James Joyce auf den Besucher schauen. Es kommt nur auf den Blickwinkel an.
Geistige Aufbauhilfe im Nachkriegsdeutschland
Einen neuen Blick, frei von jeder ideologischen Vorgabe suchte Peter Suhrkamp als er in der jungen Bundesrepublik seinen Verlag aufbaute. Eine schwierige Aufgabe in wirtschaftlich und intellektuell darniederliegenden Nachkriegsdeutschland. Die Autoren, die er unter Vertrag nahm, prägten Deutschland nicht nur literarisch, sondern auch gesellschaftlich bis heute. Heinrich Böll, Theodor Adorno, Christa Wolf sind nur einige von ihnen.
Die von Suhrkamp begründete Tradition hat der jüngst verstorbene Siegfried Unseld fortgeschrieben, 50 Jahre lang, Sein Motto: Bücher machen, die etwas bewirken. Das Rezept: Autoren an den Verlag zu binden und ihnen nicht nur literarisch Beistand leisten, sondern auch an sie glauben. Das bekam insbesondere Uwe Johnson zu spüren, als er erst nach Jahren die Jahrestage abschloss. Oder Isabel Allende, als sie der Tod ihrer Tochter nahezu lähmte.
Kein Stillstehen dank Martin Walser
Auch in den vergangenen Monaten stand man fest zu einem der Autoren, die seit Jahrzehnten für Suhrkamp schreiben: Martin Walser. Die Debatte über sein Buch "Tod eines Kritikers" beherrschte das deutsche Feuilleton. Antisemitische Tendenzen warf man ihm vor, denn die Figur des Romans sei eine Anspielung auf Deutschlands bekanntesten Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, der jüdischer Abstammung ist.
Die Debatte sei noch nicht beendet, resümiert Günter Berg im Gespräch mit DW-WORLD wenig erfreut. Aber der jetzige Verlagsleiter bleibt bei seiner Linie. Er hatte die Verantwortung für die Veröffentlichung übernommen.
Zwischen Tradition und Fortschritt
Mit dem schier unerschöpflichen Repertoire von Suhrkampschen Erfolgsautoren wie Hesse, Brecht und Frisch, die in 50 Sprachen übersetzt wurden, will der Brecht-Experte den renommierten Verlag in die Zukunft steuern und dabei an der Ganzheit von Autor und Werk festhalten. Trotz Buchbranchenkrise und dem allgemeinen Hang zum schnellen Bestseller. Der Verleger habe von Anfang an die Verantwortung für den Autor und der bestehe "immer aus der Summe seiner Werke und nicht aus seinem neuesten Buch" so Berg. Und Verantwortung sei nach wie die zentrale Geschäftsidee in dem Markt, der aus Lizenzgeschäften, Kaufen und Verkaufen bestehe. "Wir machen keine einzelnen Bücher, sondern wir betreuen Autoren und Werke. Das ist ein großer Unterschied."
Auch unter den jüngeren Autoren ist die Liste derer lang, die seit ihrem ersten Werk beim Verlag geblieben sind: Dazu gehören Rainald Goetz, der durch seine spektakulären Lesungen von sich reden machte, oder Ralf Rothmann, der mittlerweile zwölf Titel veröffentlichte. Auch Durs Grünbein, Deutschlands bekanntester Gegenwartslyriker, zählt dazu.
Fräulein Wunder und Nobelpreisträger
Auch der einst bejubelte Nachwuchs ist zwar in die besten Jahre gekommen und trägt nun graue Schläfen. Doch Nachwuchsprobleme kennt der Verlag nicht: "Wir können uns vor Manuskripten kaum retten." Zwei bis drei jüngere Autoren würde Berg gerne jedes Jahr neu veröffentlichen, dafür müsse es aber Programmplätze geben. Die gibt es unter anderem für deutsche Nachwuchsautorinnen wie Silke Scheuermann, Unda Hörner oder Sabine Neumann. Und die finden Gehör bei Suhrkamp: "Das sind alles keine Fräuleinwunder-Geschöpfe, sondern sie haben einen eigenen Erzählton."
Weitere literarische Trümpfe für die Zukunft sind internationale Schriftsteller: rund 100 lateinamerikanische Autoren, darunter Erfolgsautoren wie Isabel Allende und Mario Vargas Llosa. Und der Literaturnobelpreis, der nun an Imre Kertész ging, wird das übrige tun: Denn auch der Ungar ist bei Suhrkamp unter Vertrag.