Unabhängiges Medienportal in Belarus gesperrt
18. Mai 2021In Belarus haben staatliche Institutionen das wichtigste unabhängige Nachrichtenportal des Landes, die Website Tut.by, vom Netz genommen. "Der Mitbegründer von Tut.by, Kirill Woloschin, gibt bekannt, dass die Domain des Portals gesperrt wurde", erklärte das Medium im Messengerdienst Telegram. Zuvor hatten die Ermittlungsbehörden die Redaktionsräume von Tut.by durchsucht.
Die Nachrichtenagentur AFP meldet unter Berufung auf Chefredakteurin Marina Solotowa, auch zu Wohnungen mehrerer Journalisten hätten sich Fahnder Zugang verschafft, um nach Beweismaterial zu suchen. Die Abteilung für Finanzermittlung des staatlichen Kontrollkomitees bestätigte die Razzien bei Tut.by sowie bei Hoster.by, einem Unternehmen, das Speicherplatz für Websites bereitstellt.
Infolge von Protesten gegen den autoritär regierenden belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko gerieten zuletzt mehrere Medienvertreter ins Visier der Ermittler. Tut.by-Mitarbeiterin Katerina Borisevich, die im November festgenommen wurde, erhielt im März eine sechsmonatige Gefängnisstrafe. Sie soll am 19. Mai freikommen, da ihre Untersuchungshaft angerechnet wurde. In der vergangenen Woche wurden zwei Reporter, die über einen Prozess gegen den Oppositionspolitiker Pawel Sewjarynez berichtet hatten, ebenfalls zu einer Haftstrafe verurteilt. Einer von ihnen ist der freie Journalist Alexander Burakov, der für die DW arbeitet. Erst am Montag wurde ein Mitarbeiter von Tut.by wegen "Teilnahme an einer nicht genehmigten Massenveranstaltung" schuldig gesprochen. Er muss für 15 Tage ins Gefängnis.
Medienorganisationen verurteilen Verfolgung von Tut.by
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zeigte sich in einer Stellungnahme am Dienstag besorgt. Die Beauftrage für die Freiheit der Medien, Teresa Ribeiro, nannte das Vorgehen der Behörden gegen Tut.by unverhältnismäßig. Sie appellierte an die Regierung in Minsk, "die gefährliche Tendenz umzukehren", die Medienfreiheit und Meinungsfreiheit in Belarus negativ beeinflusse.
Medienorganisationen wie "Reporter ohne Grenzen" (RsF) kritisierten das Vorgehen der Behörden als "vollkommen unangemessen". "Vor allem Tut.by als größtes noch verbliebenes unabhängiges Medium soll unter fadenscheinigen Argumenten und mit fingierten Vorwürfen mundtot gemacht werden", sagte der DW Christian Mihr, Geschäftsführer von RsF in Deutschland. Ähnlich äußerte sich der Deutsche Journalistenverband (DJV). "Es schmerzt, die fortgesetzten Angriffe auf die Pressefreiheit sowie die willkürliche Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten in Belarus mit ansehen zu müssen", so der stellvertretende DJV-Pressesprecher Paul Eschenhagen. "Das Regime schreckt anscheinend vor nichts zurück, um missliebige Berichterstattung zu unterdrücken". Man sei solidarisch mit belarussischen Kolleginnen und Kollegen.
Solidarität in Belarus
Von Solidarität innerhalb und außerhalb de Redaktion als Antwort auf Druck der Behörden sprach auch die Chefredakteurin von Tut.by Marina Solotowa in einem Gastkommentar für die DW. "Es gibt keine Konkurrenz mehr - alle sind bereit, sich gegenseitig zu unterstützen, sei es vor dem Polizeirevier oder Untersuchungshaftanstalt auf jemanden zu warten oder Hilfspakete zu packen." Auch Leser seien solidarisch und schicken eigene Fotos und Videos an die Redaktion, deren Berichterstattungsmöglichkeiten jetzt eingeschränkt seien.
In Belarus gibt es seit der von massiven Betrugsvorwürfen begleiteten Präsidentschaftswahl vom August 2020 immer wieder Großdemonstrationen gegen Lukaschenko. Die Bewegung verlor allerdings zuletzt an Zulauf - ein Grund dafür ist das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten.
jj/sti (afp, rtr)