Eine Rose für den Frieden
26. Juni 2020Als Francis Meilland im Jahr 1935 die Züchtung einer einfachen Rose gelingt, ahnt er noch nicht, dass diese einmal auf dem ganzen Globus berühmt werden wird - als Symbol für den Frieden. Ihre Geschichte beginnt lange vor dem Zweiten Weltkrieg.
Schon immer pflegten Rosenzüchter auf der ganzen Welt enge und gute Kontakte. Oder wie Francis Meilland es ausdrückte: "Ich hole mir aus der ganzen Welt harte, frostresistente, zum Teil alte Rosensorten, mit denen arbeite ich. Manchmal habe ich Glück, dann macht die Neuheit ihren Weg in die Welt."
1935 hat er genau dieses Glück. Nach vielen Kreuzungsversuchen gelingt ihm gemeinsam mit seinem Vater Antoine die Züchtung eines Sämlings, der die Kennziffer 3-35-40 erhält. Die Pflanze, die daraus entsteht, hat gesunde, schöne Blätter und gelbe Blüten, die zum Rand hin rosa bis karminrot leuchten. Die legendäre "Rose Peace", die Friedensrose, ist geboren.
Ein legendäres Treffen in Lyon
Im Juni 1939 findet das erste Treffen der Universal Rose Selection statt. Unter den Mitgliedern sind auch die amerikanischen, spanischen, italienischen, französischen Agenten und Vertreter der Rosenzüchterfamilie Meilland. Francis Meilland lädt sie zu sich in Tassin-la-Demi-Lune bei Lyon ein.
Zu seinen Gästen zählt auch der aus Deutschland kommende Agent und Freund der Meillands, Paul Pfitzer. Er stammt aus einer der berühmtesten Gärtnerfamilien Stuttgarts. Es muss ein denkwürdiges Treffen gewesen sein. Kriegsangst geht um. Doch die Rosenzüchter genießen die Gastfreundschaft, fachsimpeln und erfreuen sich an den üppigen Versuchsfeldern der Meillands. Keine Rose auf den Feldern aber gefällt den Züchtern so gut wie die mit den karminrot leuchtenden Rändern und der gelben Blüte.
Gertrud Pfitzer, die Ehefrau von Paul Pfitzer, berichtet später: "Ganz unvergesslich ist mir, wie mein Mann bei der Rückkehr aus Frankreich von dem überaus gastlichen Empfang bei Familie Meilland berichtete, von der charmanten jungen Frau Louisette und von der 'schönsten Rose der Welt', deren Ankunft in Fellbach er mit Bangen und größter Spannung erwartete".
"Die schönste Rose der Welt"
Das Bangen war berechtigt. Drei Monate später bricht der Zweite Weltkrieg aus. Francis Meilland ahnt wohl, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, um seine Rose zu verbreiten. Die Rose kommt in Fellbach quasi in letzter Minute an. Zeitgleich erreicht ein Paket einen italienischen Züchter.
Mit Hilfe des US-amerikanischen Konsuls in Lyon werden kurz vor der Invasion noch einige Ableger in die USA geschafft. Adressiert sind sie an den amerikanischen Rosenzüchter Robert Pyle, den Francis Meilland bei seinem einzigen Aufenthalt in den USA kennengelernt hat. Danach brechen die Kontakte durch den Krieg ab.
Eine Rose erfährt mehrere Kriegstaufen
Francis Meilland kann seine Rosenzüchtung erfolgreich anbauen und nennt sie 1942 "Madame A. Meilland", nach seiner Mutter. Auch in Italien gedeiht die Lieferung prächtig. Sie wird dort "Joia", Freude, getauft.
Paul Pfitzer ist ein erklärter Nazigegner und tauft deshalb die Rose von Meilland "Gloria Dei", also "Gottes Ruhm". Es ist 1942 seine Antwort auf den, wie er findet, satanischen Ungeist und den Antichristen Adolf Hitler. Später erklärt er dazu: "Die neue Rose musste doch einen Namen bekommen. Eine Verständigung mit den Meillands und den Kollegen, die kurz vor Kriegsausbruch an dem Treffen im Rhônetal teilgenommen hatten, war nicht möglich."
Mit der Weiterverbreitung in Deutschland hat Paul Pfitzer dagegen seine Not. Während des Krieges kann er die Rose nur in geringer Zahl verbreiten, obwohl das Klima für die Rosenstöcke hervorragend ist. Deshalb kann auch jeder Interessent nur einen Rosenstock bekommen, wie sein Bruder Wilhelm 1942 in seinem Gartenkatalog vermerkt.
Eine Rose wird zum Symbol für Frieden
Der berühmte Rosenzüchter Robert Pyle kann mit der Schönheit der Rose die American Rose Society, die Vereinigung der amerikanischen Rosenzüchter, überzeugen. Francis Meilland erhält von ihm zum Ende des Krieges einen enthusiastischen Brief, indem Pyle ihm mitteilt, dass am 29. April 1945 in Pasadena die Rose auf den Namen "Peace" getauft werden soll, in Gedenken an die fürchterliche Katastrophe des Weltkriegs.
Bei der Zeremonie sollen zwei Tauben in den Himmel steigen. Als das Datum festgelegt wird, ahnt niemand, dass genau an diesem Tag Berlin an die Alliierten fällt. Das Kriegsende rückt in greifbare Nähe.
Den Brief erhält Francis Meilland allerdings erst im Juni 1945. Für ihn eine schöne und große Überraschung. Sein Enkel, Matthias Meilland, sagt heute gegenüber der Deutschen Welle: "Wir waren 1945 in Frankreich. Francis hatte keine Ahnung, dass unsere Agentur plante, die Madame A. Meilland 'Gloria Dei' zu taufen und sie den Delegierten der UN bei ihrem Treffen in San Francisco zu präsentieren".
Als die 50 Delegierten zur Gründung der Vereinten Nationen am 22. Juni 1945 nach San Francisco kommen, um kurz darauf die UN-Charta zu unterschreiben, findet jeder Delegierte auf seinem Hotelzimmer eine Vase mit einer Gloria Dei und einer Botschaft vor: "Hier ist die Rose Peace, die in Pasadena in Kalifornien an dem Tag, an dem Berlin fiel, getauft wurde. Möge diese Rose alle Menschen guten Willens beeinflussen, für die Schaffung eines gerechten und dauerhaften Friedens."
In den kommenden zehn Friedensjahren wird die Gloria Dei 30 Millionen Mal verkauft. Als erste Züchtung überhaupt wird ihr 1976 der Titel "Weltrose" verliehen. Die Familie Meilland nutzt die Einnahmen, um Land und moderne Gewächshäuser zu kaufen.
Am 15. Juni 1958 stirbt Francis Meilland mit gerade mal 46 Jahren. Sein schlichter Sarg ist mit seiner eigenen Züchtung Gloria Dei bedeckt. Rosenfreunde, Wissenschaftler und Berufsorganisationen aus der ganzen Welt geben ihm das letzte Geleit. Seine Botschaft war, die Welt gemeinsam mit etwas Schönem zu beglücken. Einen besseren Botschafter hätten die UN-Delegierten 1945 in ihm und seinen Rosenfreunden wohl nicht finden können.