Das umstrittene Kraftwerk Temelin
22. Juli 2008"Ich ersticke!" – stand kurz vor der Wende des Jahres 1989 an so mancher tschechischer Hauswand. Das war nicht etwa symbolisch gemeint, als Seitenhieb auf die abgestandene politische Luft, sondern ganz und gar wörtlich. Der desolate Zustand der Umwelt war damals sogar eines der wichtigsten Argumente gegen die kommunistischen Machthaber.
Saubere Garanten der Energieversorgung
19 Jahre später hat sich die Umweltqualität entscheidend verbessert. Viele Braunkohlekraftwerke wurden stillgelegt oder mit modernen Filteranlagen ausgestattet. Die beiden tschechischen Atomkraftwerke Temelín und Dukovany werden meist als saubere Garanten der Energieversorgung betrachtet. Ein Grund mehr für Premier Mirek Topolánek, auf eine Entscheidung über neue Atomkraftwerke zu drängen.
Nach Aussagen des Premiers würden derzeit 30 Prozent der tschechischen Elektrizität mit Kernenergie produziert. Die Entscheidung über ihren Ausbau müsse seiner Meinung nach möglichst schnell fallen, da die Planung und der Bau neuer Atommeiler acht bis 13 Jahre dauern könne. Für ihn persönlich bedeute die Kernenergie eine Chance für ganz Europa.
Unabhängigkeit der Energieversorgung
77 Prozent der Bürger sind mit ihrem Premier Topolánek einer Meinung. Sie finden, dass die Atomkraft eine bedeutende Rolle für die Unabhängigkeit der Energieversorgung spielt. 44 Prozent der Tschechen befürworten sogar den Bau weiterer Kernkraftwerke. Die Motive der Tschechen sind dabei unterschiedlich: Die einen macht die Aussicht auf Unabhängigkeit, die anderen das steigende nationale Prestige zu Befürwortern der Kernkraft.
Der Politologe Robert Schuster erinnert daran, dass es vor ungefähr zehn Jahren eine große Debatte um Temelín gab. Damals sei Atomkraft für viele Tschechen eine Frage des nationalen Prestiges gewesen. Viele hätten damals das Gefühl gehabt, dass die Österreicher ihnen nicht zutrauten, ein technisch relativ kompliziertes System wie ein Atomkraftwerk bauen und dann vor allem ohne Schwierigkeiten betreiben können. Aber in den letzten drei oder vier Jahren sei die so genannte Energiesicherheit in den Vordergrund getreten.
Erster Schritt: Umweltverträglichkeitsprüfung
Diese Auffassung wird durch die jüngst veröffentlichten Ergebnisse einer unabhängigen Energie-Expertenkommission gestützt. Der nationale Energieriese ČEZ möchte daher das Atomkraftwerk Temelín erweitern und hat bereits den Antrag für die erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung beim Umweltministerium in Prag gestellt.
Die verstärkte Nutzung der Kernkraft wird in Tschechien nur von einer Partei abgelehnt – von den Grünen. Umweltminister und Vorsitzender der Grünen Martin Bursík erklärte daher auf den ČEZ-Antrag unmissverständlich, dass am Ende der Umweltverträglichkeitsprüfung immer eine politische Entscheidung stehe. Er wisse aber auch, dass die derzeitige Regierung eine solche Entscheidung nicht treffen werde.
Anti-Atom-Kurs kein Dogma
Mit seiner Aussage bezieht sich Bursík auf den Koalitionsvertrag, in dem vereinbart wurde, dass das jetzige Kabinett keine Entscheidung zum Ausbau des Kraftwerks Temelín treffen werde. Andernfalls, so haben es die Grünen mehrfach angedroht, würden sie aus der Regierung austreten.
Allerdings sei der Anti-Atom-Kurs für die Grünen kein Dogma, wie die ehemalige Fraktionsvorsitzende Katerina Jacques bereits zu verstehen gab. Es müsste zum einen die Frage der Sicherheit und zum anderen die der Zukunft des atomaren Abfalls gelöst werden, um flexibler und undogmatischer über Atomenergie nachdenken zu können.
Endlagerung ein Dauerproblem
Das aber, so Edward Sequens von der südböhmischen Umweltvereinigung Kala, sei hierzulande noch längst nicht der Fall, da das Problem der Lagerung der abgebrannten Brennstäbe, insbesondere ihre Endlagerung, ein Dauerproblem sei. Zurzeit verblieben diese Brennstäbe in Containern in Zwischenlagern in Dukovany und Temelín. Eine Lösung für die Entsorgung ist noch nicht gefunden.
Dennoch: ČEZ und weitere Atomkraft-Befürworter sehen die Zeichen der Zeit sehr günstig für eine noch stärkere Nutzung der Kernkraft. Wirtschaftsminister Martin Říman hat folglich auch gleich noch den Ausbau des älteren Kernkraftwerks Dukovany ins Spiel gebracht. Das fehlende Kühlwasser, das dem Ausbau bisher im Weg stand, sei nun kein Problem mehr, behauptet jedenfalls der Minister.