Umwelt-Rebellion in Berlin
7. Oktober 2019Protest macht müde. Adriene sieht man das an. Er hat tiefe Ringe unter den Augen. Und man sieht ihm auch an, wofür er schon seit drei Uhr morgens mitten in Berlin demonstriert und Straßen blockiert, mit Blick auf das Brandenburger Tor. Er trägt nämlich, wie viele andere Teilnehmer, das markante, kreisrunde Symbol von "Extinction Rebellion" (auf Deutsch: Rebellion gegen das Aussterben) aufgenäht auf seiner schwarzen Winterjacke: Das Zeichen erinnert an eine Sanduhr. Sie ist Symbol und Warnung zugleich: Die Zeit läuft ab!
"Ich gehe für mehr Aufmerksamkeit für ein Thema auf die Straße: die anstehende Klimakatastrophe." Adriene ist 37 Jahre alt, seinen Nachnamen will er der Deutschen Welle nicht sagen und sich auch nicht fotografieren lassen.
Bei kalten Herbsttemperaturen hatte Adriene zusammen mit rund 600 weiteren Demonstranten einen der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte in Berlin lahmgelegt; den Großen Stern. Statt rauschenden Berufsverkehr gab es nur Protestlieder- und Slogans.
Die Aktion verlief friedlich. Die Polizei hielt sich daher sehr zurück. Auch die anderen Protestaktionen in der Hauptstadt zeigten sich ohne großen Krawall. Die Veranstalter sagten der Deutschen Welle, dass sie im ständigen Kontakt mit der Berliner Polizei seien, um weitere Maßnahmen abzusprechen und mit der Polizei vorher zu koordinieren.
Die Verkehrsblockade war der Auftakt zu vielen zusätzlichen Aktionen, die in der deutschen Hauptstadt in dieser Woche geplant sind.
Am Mittag hatten Aktivisten an einem zentralen Platz in Berlin eine Arche aufgestellt. Symbolisch soll das Boot an das Artensterben erinnern. Weitere Künstleraktionen sind in der Stadtmitte vorgesehen. Am Mittwoch soll eine Brücke blockiert werden. Viele Maßnahmen werden allerdings nicht angekündigt und entwickeln sich spontan. Auch in anderen Städten wie London, Paris, Kapstadt und Madrid soll es die ganze Woche über Aktionen geben.
"Wir wollen zeigen, wie dringend die Lage ist. Wir befinden uns in einer ökologischen Krise", erklärte Claire Wordly der Deutschen Welle in einem Fernsehinterview. Sie ist Professorin an der Universität Cambridge in Großbritannien und Aktivistin von "Extinction Rebellion".
Die Bewegung war im vergangenen Jahr in Großbritannien gegründet worden. Das Aktionsbündnis will in Sachen Klimakrise aufrütteln. Die Bewegung fordert, dass die nationalen Regierungen den Klimanotstand ausrufen. Alle politischen Entscheidungen, die der Bewältigung der Klimakrise entgegenstünden, müssten schnell beseitigt werden. Zentrales Ziel der Bewegung: Bis 2025 sollen alle von Menschen verursachten Treibhausgas-Emmissionen auf Null sinken.
Aber anders als "Fridays for Future" ist "Extinction Rebellion" eine noch eher lose Bewegung, die auch Erwachsene ansprechen will. "Extincition Rebellion überlässt den Protest nicht nur Kindern und Jugendlichen", sagt Aktivistin Claire Wordly dazu der Deutschen Welle.
Und es gibt noch einen Unterschied zur Schülerbewegung von Greta Thunberg: "Wir setzen auf das Mittel des zivilen Ungehorsams. Also keine Gewalt – aber Straßensperren, das Befestigen an Regierungsgebäuden sind für uns legitime Mittel", ergänzt Claire Wordly. Gesetze zu brechen, um den Forderungen der Bewegung Nachdruck zu verleihen, halten die Aktivisten für angemessen.
Die Protestler in Berlin sind an diesem Tag besonders erzürnt wegen einer Meldung, die schon seit Sonntag kursiert. Angeblich, so meldet es "Spiegel Online", soll das Klimaschutzgesetz der Merkel-Regierung noch karger ausfallen, als bislang angekündigt. Das gehe aus dem finalen Gesetzesentwurf hervor, der am Mittwoch von der Regierung verabschiedet werden soll. Anders als bislang vorgesehen, soll für das Jahr 2040 kein nationales Ziel zur Einsparung von Kohlendioxid mehr vorgesehen sein. Auch das Versprechen, dass Deutschland bis 2050 keine Treibhausgase mehr produziert, wurde offenbar abgeschwächt.
Der Chef des Kanzleramtes, der CDU-Politiker Helge Braun, hat dem in einem Fernsehinterview widersprochen. "Dieses Programm ist weit besser als das, was heute bekannt ist", äussert er im ZDF. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ist solchen Berichten entgegen getreten. Sie versprach auf einer Veranstaltung in Sinsheim, dass die Überwachung aller Klimaziele "glasklar in dem Klimaschutzgesetz verankert" sein werde.
Für Protestler Adriene war das Klimapaket der Bundesregierung von Anfang an eine "Mogelpackung". "Tell the truth", also sagt endlich die Wahrheit, fordert er die Politiker in Deutschland und weltweit auf. "Der Klimawandel ist keine Sache, die uns in 100 Jahren einholt, sondern wir stecken schon mittendrin."