Umstrittener Altphilologe wird Ungarns Akademienetz leiten
2. August 2019Ministerpräsident Viktor Orban hat Miklós Maróth, einen Orientalisten und Altphilologen, zum Leiter des neuen Forschungsnetzwerks der Ungarischen Akademie der Wissenschaften ernannt. Das teilte das Innovationsministerium am Donnerstag in Budapest mit. Der 76-Jährige ist in der Vergangenheit mehrfach mit fremden- und islamfeindlichen Äußerungen aufgefallen, berichtet die Deutsche Presseagentur.
2016 hatte er auf einer Tagung des Instituts für Migrationsforschung erklärt, dass sich muslimische Einwanderer nicht in europäische Gesellschaften integrieren ließen und auch deren Werteordnung nicht akzeptieren würden. "50 Prozent sind Analphabeten, die brauchen wir nicht, auch nicht ihre Kinder", sagte er.
Er fügte hinzu, dass Muslime nur nach Europa kommen, um dank ihrer größeren Fruchtbarkeit zur Bevölkerungsmehrheit zu werden. Über Muslime, die Probleme machten, sagte er: "Ich kann nichts anderes empfehlen als sie in Schweinehäute einzupacken". Möglicherweise nahm er dabei Bezug auf Vorfälle in Indien Mitte des 19. Jahrhunderts, als britische Soldaten aufständische Rebellen vor dem Erhängen in Schweinehäute eingepackt hatten, um diese zu demütigen.
Umstrittene Neuorganisation der Akademie
Die Ernennung ist Teil eines umfassenden Umbaus der Akademie der Wissenschaften, die nun stärker politisch kontrolliert wird. Mit der Regierungsmehrheit hatte das Ungarische Nationalparlament das Gesetz zum Umbau der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA) Anfang Juli verabschiedet, berichtete Human Rights Watch. 15 Akademie-Institute wurden aus der Akademie ausgelagert und einem gemischt besetzten Gremium unterstellt, in dem die Regierung die Mehrheit hält.
Die Fidesz-Partei des Premierministers Viktor Orban und ihr politisch nahestehende Parlamentarier halten die absolute Mehrheit im Parlament. Daher gab es schon vor der Abstimmung kaum Zweifel, dass die Parlamentarier den Gesetzesvorschlag annehmen werden.
Die bereits seit längerem bekannten Pläne hatten immer wieder Proteste von Forschern und Akademikern im In- und Ausland ausgelöst.
In Budapest waren mehrere tausend Menschen auf die Straße gegangen, um den Verbleib der Forschungsinstitute in der Wissenschaftsakademie zu fordern.
Ein Aufsichtsgremium für Institute und ein politischer Forschungsrat
Die Änderungen in der Wissenschaftslandschaft sollen bereits ab dem 1. September in Kraft treten. Das Aufsichtsgremium der Institute – genannt Eötvös Lóránd Forschungsnetzwerk (ELKH) - soll mit 13 Personen besetzt sein. Jeweils sechs werden von der Akademie der Wissenschaften und sechs vom Innovationsministerium entsendet.
Zünglein an der Waage wird bei Abstimmungen der Leiter des Gremiums spielen. Miklós Maróth wurde gemeinsam von der Regierung und vom Innovationsminister László Palkovics bestimmt.
Das ELKH könnte der Akademie wichtige finanzielle Ressourcen entziehen. Dabei geht es etwa um Stipendien für Wissenschaftler und die Finanzierung von Forschungsvorhaben.
Zudem könnte die Akademie die bisher per Gesetz garantierte Zuwendung zur Finanzierung laufender Kosten verlieren.
Parallel dazu etabliert das neue Gesetz einen "Nationalen Wissenschaftspolitischen Rat". Diesem steht der Innovationsminister persönlich vor. Dieses Gremium soll die Regierung bei Innovations- und Forschungsthemen beraten.
DW-Reporterin Lea Albrecht hat auf der Nobelpreisträgertagung in Lindau mit dem Nachwuchswissenschaftler Daniel Balazs darüber gesprochen:
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Widerstand der Akademiker stößt auf taube Ohren
Die Akademie der Wissenschaften hat sich geschlossen gegen die Gesetzesänderung ausgesprochen. Akademie-Präsident László Lovász erklärte in einer Stellungnahme, dass die Akademie "unermüdlich verhandelt" habe, aber die Regierung habe an Ihrer Position festgehalten.
"Die Akademie ist sehr erfolgreich beim Betrieb ihres Forschungsnetzwerkes" betont Lovász. Im Gegensatz dazu, habe die Regierung "es nicht geschafft, eine Strategie vorzulegen, die eine Abtrennung [der Institute] rechtfertigen würde." Er kommt zu dem Ergebnis, dass die zukünftige Wissenschaftslandschaft "ungeeignet für die Forschungsgemeinschaft" sei und das Gesetz "gegen Europäische Prinzipien" verstoße.
Schlechtes Beispiel: Deutschland
Innovationsminister Palkovics hält dagegen, dass die Regierung so Ungarn durch den Umbau "wettbewerbsfähiger" machen wolle. Er begründete den Schritt auch unter Verweis auf die deutschen Forschungsinstitutionen, etwa die Leibniz-Gemeinschaft oder die Max-Planck Gesellschaft, die aus seiner Sicht eine ähnliche Aufgabe erfüllen wie die ELKH.
Allerdings sehen das Vertreter der deutschen Wissenschaftsorganisationen ganz anders. Sie betonten ihre Unabhängigkeit von der Politik und unterzeichneten einen Brief unter Federführung der deutschen Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina an Palkovics.
In dem Schreiben kritisieren die deutschen Forschungsorganisationen den Gesetzentwurf und solidarisieren sich mit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften.
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Europapolitiker: Verstoß gegen demokratische Prinzipien
Auch aus der Politik äußerten sich zahlreiche Kritiker zu Wort. Udo Bullmann, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, wirft Premierminister Viktor Orban vor, er wolle kritische Wissenschaftler zum Schweigen zu bringen, etwa durch die Abschaffung bestimmter umstrittener Forschungsbereiche wie die Gender Studies. "Wir sind entsetzt zu sehen, dass Orban zu einem neuen Schlag gegen die Wissenschaftsfreiheit und damit gegen die Demokratie in seinem Land ausholt," sagte Bullmann. Er sei "offensichtlich darauf aus, eine lupenreine Autokratie in Ungarn zu installieren."
Bereits seit 2017 hat die ungarische Regierung Schritte zur Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit unternommen. So beschränkte sie die Arbeit der vom US-Milliardär und Philanthropen George Soros finanzierten Zentraleuropäischen Universität (CEU) massiv. Sie erließ ein Hochschulunterrichtsgesetz, das Bedingungen für den Fortbetrieb der Universität setzt, die für die CEU-Leitung nicht akzeptabel sind.
Ab Herbst 2019 wird die CEU nun schrittweise nach Wien umziehen und den Lehrbetrieb dort aufnehmen. Bis 2023 soll die gesamte Universität nach Österreich umgezogen sein.
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