Sir Simon Rattle in Bonn umjubelt
23. Februar 2020Im Programmheft zum Konzertabend am 22. Februar in der Bonner Oper steht ein Zitat von Richard Wagner: "Aller Ungestüm, alles Sehnen und Toben des Herzens wird hier zum wonnigen Übermute der Freude." Damit beschrieb Wagner die Sinfonie Nr. 7 seines Komponisten-Kollegen Ludwig van Beethoven. Angesichts dieser Worte könnte man sich eine passendere Interpretation als die durch das London Symphony Orchestra (LSO) und Sir Simon Rattle nur schwerlich vorstellen.
Der ehemalige Chefdirigent der Berliner Philharmoniker ist bekannt für seine Vorliebe, in Konzertprogrammen klassische mit moderner Musik zu verbinden. Dementsprechend gab es nicht nur Beethoven, sondern auch ein Werk aus dem Jahr 1935: Das Violinkonzert "Dem Andenken eines Engels" von Alban Berg mit der Solistin Lisa Batiashvili.
"Mit dem vollen Spektrum von 500 Jahren Musik hatte das LSO schon immer ein ungeheuer breites Repertoire", sagte Kathryn McDowell, Geschäftsführerin des Orchesters. "Nun finden wir es sehr aufregend, dass Simon als Musikdirektor Altes mit Neuem sinngebend verbindet."
Vom London Symphony Orchestra, 1904 als selbstverwalteter Klangkörper gegründet, gibt es mehr Tonaufnahmen als von irgendeinem anderen Orchester der Welt. Zudem haben die Londoner die Musik zu Hunderten von Filmen eingespielt, darunter die Star Wars- und Indiana Jones-Reihen. Mit 70 Auftritten in London pro Jahr und weiteren 50 bis 60 weltweit sind sie überaus aktiv.
Wie deutsch ist Sir Simon geworden?
Eine starke Beethoven-Begeisterung ist im Vereinigten Königreich auch historisch begründet: Schließlich hat die Londoner Philharmonische Gesellschaft 1817 dessen Neunte Sinfonie in Auftrag gegeben.
Ob Sir Simon Rattle, der 16 Jahre lang den Chefposten bei den Berliner Philharmonikern innehatte und auch zwei Jahre nach seinem Wechsel nach London seinen Wohnsitz in Berlin beibehält, inzwischen etwas Deutsches an sich hat? "Wir waren schon immer in deutsche Musik verliebt", antwortet Kathryn McDowell lachend. "Nun entwickelt er unseren Sound weiter: Er gibt ihm mehr Tiefgang."
Bei allem Tiefgang im Berg-Violinkonzert legten die Londoner Musiker mit äußerster Klarheit und Transparenz ganze Schichten des schwierigen Werks frei. Noch nie hat es der Hörer leidenschaftlicher oder bewegender erlebt, auch dank der Klanggestaltung der Solistin Lisa Batiashvili. Man kann nur der Londoner Zeitung "The Guardian" zustimmen: "Batiashvilis furchtloses Spielen ist klangreich und technisch makellos."
Der "Engel" im Titel des Violinkonzerts von Alban Berg war Manon Gropius, die Tochter von Alma Mahler und ihrem zweiten Ehemann, dem Architekten Walter Gropius. Mit gerade einmal 18 Jahren starb sie an Kinderlähmung. Manons Anmut und Schönheit, das Bild des Mädchens im Sterbebett, ihr vergebliches Aufbäumen gegen den unausweichlichen Tod – diese Tragik konnte man in der Bonner Aufführung deutlich nachempfinden.
Berg, Beethoven, Trauer und Freude
Welche Gemeinsamkeit gibt es zwischen Bergs Violinkonzert und Beethovens Sinfonie aus dem Jahr 1813? Eine thematische Brücke schlägt ihr zweiter Satz, der von den ersten Hörern zwei Monate nach der Völkerschlacht in Leipzig als Trauermarsch für die dort Gefallenen aufgenommen wurde. Doch nicht nur im frühen 19. Jahrhundert, auch heute wird das Stück noch bei Trauerfeiern gespielt.
Ganz anders die anderen drei Sätze der Sinfonie. Es ist ein rhythmisches Fest übersprudelnder Freude, das Kenner wie Nichtkenner gleichermaßen mitreißen kann.
Was kommt dabei heraus, wenn der Dirigent Sir Simon Rattle, der seine musikalische Laufbahn als Schlagzeuger begann und für seine rhythmisch packende Interpretationen bekannt ist, zusammen mit dem für ihre Brillanz und Virtuosität gerühmten LSO musiziert? Eine von Energie überschäumende Darbietung, der im dritten und vierten Satz selten unter Forte oder Mezzoforte geriet. Der Klang ist vielleicht weniger feinziseliert als bei manchem deutschen Orchester – namentlich den Berliner Philharmonikern – dafür hat er eine Brillanz und Lebendigkeit, die man selten hört.
Nach Ende des Werks konnte es nur ein Ergebnis geben: Das Publikum in der Bonner Oper musste seine eigene aufgestaute Energie loswerden, sprang sofort auf und schrie: Bravo!