Bidny: Athleten bekunden stille Solidarität mit den Mördern
15. Dezember 2023Wladislaw Larin sollte nicht bei den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris starten dürfen, meint der ukrainische Sportminister Matwij Bidny. "Larin ist ein Beispiel für die Komplizenschaft zwischen russischen Sportlern und russischen Besatzern", sagte Sportminister Bidny in einem Exklusivinterview der DW. "Auch wenn die Athleten nicht dezidiert ihre Meinung zum Krieg äußern, bekunden sie ihre stille Solidarität mit den Mördern."
Der russische Taekwondo-Star Larin, Olympiasieger 2021 in Tokio, hatte in einem Video die Bewohner seiner Heimatregion aufgefordert, Geld für Medikamente und Munition zu spenden. "Freunde, lasst uns zusammenhalten und denen helfen, die unser Vaterland verteidigen", hatte Larin in dem Video gesagt. Der Taekwondo-Weltverband hatte den 28-Jährigen daraufhin für drei Monate suspendiert. Nach Ablauf der Sperre hatte Larin ein Grand-Prix-Turnier in China gewonnen. Beim europäischen Qualifikationsturnier im kommenden März in Bulgarien wird sich der Russe voraussichtlich sein Ticket für die olympischen Spiele 2024 in Paris sichern.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) will Einzelsportlerinnen und -sportler aus Russland und Belarus erlauben, als neutrale Aktive - ohne Nationalflagge und Hymne - an den Sommerspielen in Paris teilzunehmen, solange sie den Krieg nicht aktiv unterstützt haben oder beim Militär unter Vertrag stehen. Nach Ansicht des ukrainischen Sportministers wird jeder "neutrale" russische Startende jedoch zum "Werkzeug für die Propaganda" Russlands: "Wenn eine Nation den größten Angriffskrieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg entfesselt hat und versucht, eine andere Nation zu zerstören, bedeutet es, den Mord zu unterstützen, wenn man diese Leute [Anmerkung der Redaktion: die Sportler] neutral nennt", sagte Bidny.
"Starker Riss" in den olympischen Werten
In all seinen jüngsten Mitteilungen hat das IOC versucht, die "Friedensmission" der Spiele herauszustellen. Zu Beginn dieses Monats hielt das IOC eine Reihe von Sitzungen und Konsultationen ab, um seine Entscheidung vorzubereiten. Cheick Cissé, Athletensprecher des Taekwondo-Weltverbands, begrüßte in einer Telefonkonferenz mit anderen Athleten-Vertretern die Rückkehr Wladislaw Larins in den Wettkampf. Dies entspreche „dem Geist der Olympischen Spiele", sagte der Ivorer nach Angaben von Teilnehmern der Telefonschalte.
Für Wladislaw Heraskewitsch, einen ukrainischen Skeleton-Rennfahrer, der sich für den vollständigen Ausschluss russischer und belarussischer Aktiver aus dem internationalen Sport einsetzt, sind solche Äußerungen nur noch lächerlich. "Wenn diese Athleten an den Olympischen Spielen teilnehmen dürfen, wird es dann einen Geist des Friedens und der Freundschaft bei den Wettkämpfen geben?", schrieb er an die DW. "Oder werden die Olympischen Spiele und alle Athleten in die Kriegspropaganda verwickelt sein? Wollen wir als olympische Bewegung mit dem Terrorismus in Verbindung gebracht werden? Die Zulassung dieser Athleten wird einen starken Riss in den Werten erzeugen, für die wir stehen."
IOC kündigt doppelte Überprüfung an
Fälle wie der Larins unterstreichen die Probleme, mit denen das IOC im Vorfeld der Spiele in Paris konfrontiert werden dürfte. Selbst wenn russische und belarussische Aktive von den Verbänden ihrer Sportarten zugelassen werden, steht die Frage im Raum, ob sie Verbindungen zum andauernden Angriffskrieg Russlands in der Ukraine haben. Um sicherzustellen, dass diese Athletinnen und Athleten die Zulassungskriterien erfüllen, will das IOC nach eigenen Angaben nicht nur auf Informationen der jeweiligen Sportverbände zurückgreifen, sondern auch eine "unabhängige Bewertung" jedes qualifizierten neutralen Aktiven einholen.
Auf Nachfrage der DW sagte ein IOC-Sprecher, dass der eigene Überprüfungsprozess "zusätzlich" zu den Maßnahmen der internationalen Verbände durchgeführt werde. Auf konkrete Fälle wollte der Sprecher nicht eingehen: "Wir werden uns darum kümmern, wenn es auf uns zukommt."
Russland hat die IOC-Kriterien als "inakzeptabel" bezeichnet. Der ukrainische Sportminister Bidny will einen Olympia-Boykott seines Landes nicht ausschließen. Die Ukraine werde "alles tun, damit das Internationale Olympische Komitee auf den gesunden Menschenverstand hört", sagte Bidny der DW. "Wir werden beweisen, dass die große Mehrheit der russischen Athleten mit dem blutigen Regime in Verbindung steht. Sie haben die gleichen Pässe wie die russischen Besatzer, die die Ukrainer umbringen."
Begrenzte Zahl neutraler Athleten
Nach Angaben des IOC haben sich bisher nur sechs russische Aktive für die Olympischen Spiele qualifiziert. Darunter sind vier Ringer, von denen zwei - die Olympiasieger Saurbek Sidakow und Saur Ugujew - ebenfalls beschuldigt werden, die russische Invasion unterstützt zu haben, indem sie 2022 an einer im Fernsehen übertragenen Pro-Kriegskundgebung in Moskau teilnahmen.
Der Ringer-Weltverband United World Wrestling erklärte im September gegenüber Associated Press, dass die Teilnahme des Trios an Veranstaltungen wie der in Moskau "nicht auf den eigenen Willen" der Sportler zurückzuführen sei. Der ukrainische Skeleton-Rennfahrer Heraskewitsch bezeichnet dies als ein weiteres Beispiel dafür, dass ein Dachverband sich nicht an die "schwachen IOC-Richtlinien" halte.
Da nur Einzelsportler und keine Mannschaften aus Russland und Belarus für die Spiele 2024 zugelassen sind, geht das IOC von einer „sehr begrenzten Anzahl" neutraler Aktiver in Paris aus. Nach Schätzungen soll sich die endgültige Zahl auf einige Dutzend belaufen, bei weitem nicht so viele wie die über 300 "neutralen" Sportlerinnen und Sportler aus Russland, die 2021 in Tokio dabei waren.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.