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PolitikUkraine

Ukraine: Präsident Selenskyj baut seine Regierung um

6. September 2024

In der Ukraine ist es zu einem umfassenden Umbau der Regierung gekommen. Das ukrainische Parlament hat die Hälfte der Ministerien neu besetzt. Was bedeuten solche raschen Änderungen in der heißen Phase des Krieges?

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Amtssitz des Ministerpräsidenten der Ukraine (Archiv)
Warum wurde die ukrainische Regierung in der heißen Phase des Krieges umgebaut?Bild: Thomas Imo/photothek/picture alliance

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zu Beginn dieses Jahres einen umfassenden Umbau der Regierung angekündigt. Erst Anfang September wurde das umgesetzt. Genau in der Zeit begannen die Minister und Vize-Ministerpräsidentinnen plötzlich, einer nach dem anderen ihren Rücktritt einzureichen. Am nächsten Tag wurden die meisten von ihnen vom ukrainischen Parlament - Werchowna Rada - entlassen. Am 5. September entließen die Abgeordneten auch den Außenminister Dmytro Kuleba und die Vize-Ministerpräsidentin und Ministerin für Wiedereingliederung besetzter Gebiete Iryna Wereschtschuk. Im Anschluss stimmten sie über die Ernennung neuer Ministerinnen und Minister ab.

"Wir werden Dutzende von sehr konkreten Aufgaben umsetzen müssen. Jeder in seiner Position muss im Herbst bestimmte Ergebnisse liefern", sagte Wolodymyr Selenskyj in seiner Videoansprache am 5. September. Er setzt unter anderem auf verstärkte Investitionen von Partnern in der ukrainischen Rüstungsindustrie und eine aktivere Vorbereitung des künftigen EU-Beitrittsabkommens.

Neue Positionen für alte Gesichter

Bei der Neubesetzung des ukrainischen Kabinetts sind jedoch kaum neue Gesichter zu finden. Es sieht eher nach einer Art Personalaustausch zwischen Präsidialamt und Ministerkabinett aus. So erhält Iryna Wereschtschuk beispielsweise jetzt die Position der Vize-Leiterin des Präsidialamtes. Der ehemalige Vize-Leiter des Präsidialamtes, Andrij Sybiha, wurde zum Leiter des Außenministeriums ernannt. Zwei weitere Vize-Leiter des Präsidialamtes - Oleksij Kuleba und Mykola Totschyzkyj - traten ebenfalls in die Regierung ein. Der erste wurde zum Vize-Ministerpräsident für Wiederaufbau der Ukraine und zum Minister für die Entwicklung von Gemeinden und Territorien ernannt. Totschyzkyj bekommt das Ministerium für Kultur und strategische Kommunikation.

Experten sehen in dieser Personalrotation den Versuch, Spannungen in der Gesellschaft abzubauen. "Das ist eine Strategie von Selenskyj. Er wechselt ständig die Gesichter, so dass die Personen, die entlassen wurden, die angesammelte mediale Negativität mitnehmen, und die Nachfolger die Arbeit ihrer Vorgänger schnell fortsetzen können. Oft sind diese 'Neuen' entweder aus dem Umfeld der vorherigen Minister oder stehen dem Präsidenten nah. Für die Gesellschaft sind solche Rotationen aber auch ein Ventil, Unzufriedenheit abzubauen. Gleichzeitig gibt es der Führung des Landes das Gefühl, die Situation unter Kontrolle zu haben", so der Experte des nichtstaatlichen Forschungszentrums Foreign Policy Council "Ukrainian Prism" Oleksandr Krajew gegenüber der DW.

Andrij Sybiha, Außenminister der Ukraine
Andrij Sybiha, neuer Außenminister der UkraineBild: REUTERS

Mit der schnellen Entlassung von Kuleba hat niemand gerechnet

Dass Außenminister Dmytro Kuleba ebenfalls seinen Rücktritt einreichen und ausgetauscht werden würde, kam für viele überraschend. Laut Experten könnte die Welle der Empörung, die Kuleba Ende August in Polen ausgelöst hatte, von Selenskyj als "toxisches" politisches Verhalten gesehen worden sein. Bei einer Podiumsdiskussion in Olsztyn sprach der ehemalige Minister unter anderem über die Aktion Weichsel, bei der "Tausende von Ukrainern aus ukrainischen Gebieten an verschiedene Orte in Polen umgesiedelt wurden".

Die Worte des Diplomaten wurden als territorialer Anspruch Kiews auf polnische Gebiete interpretiert. Das ukrainische Außenministerium wies diese Interpretation zurück und betonte, dass sich Kuleba in erster Linie auf ein Verbrechen der Sowjetunion und nicht auf territoriale Ansprüche bezogen habe. Der Kiewer Politologe Petro Olischjuk ist jedoch der Meinung, dass diese Situation das Vertrauen des Präsidenten in Kuleba erschüttert haben könnte. Deshalb habe dieser beschlossen, sich schnell von ihm zu trennen, so der Experte.

"Niemand hat erwartet, dass Kuleba so schnell entlassen wird. In letzter Zeit gab es eine gewisse Anspannung in den Beziehungen zu Polen. Aber vielleicht wurde diese Entscheidung doch unter einem kumulativen Effekt getroffen", sagt Olischjuk. Er schließt nicht aus, dass Kuleba wegen seiner übermäßigen Unabhängigkeit im Umgang mit westlichen Partnern entlassen wurde. Das stieß im Präsidialamt auf Kritik. Nach Meinung von Analytikern ist das auch ein wahrscheinlicher Grund für die Entlassung von Oleksandr Kubrakow, der als Vize-Ministerpräsident für den Wiederaufbau der Ukraine und der Minister für die Entwicklung von Gemeinden, Territorien und Infrastruktur tätig war. Aus dem gleichen Grund könnte auch Wolodymyr Kudryzkyj, der Vorstandsvorsitzende von staatlichem Konzern "Ukrenergo", entlassen worden sein.

Dmytro Kuleba, ehemaliger Außenminister der Ukraine
Dmytro Kuleba, ehemaliger Außenminister der UkraineBild: Virginia Mayo/File/AP/picture alliance

Ist der Ministerpräsident Schmyhal der Nächste?

Aber warum wurde die Hälfte und nicht die gesamte Regierung, die Ministerpräsident Denys Schmyhal leitet, entlassen? Experten sind sich einig, dass Selenskyj zwar mit der Leistung des Ministerpräsidenten unzufrieden ist, diesen aber in naher Zukunft nicht entlassen wird. Dazu müssten alle Minister zusammen mit Denys Schmyhal zurücktreten. Das Genehmigungsverfahren für einen neuen Ministerpräsidenten sei zudem ein langwieriger Prozess .

"Der Fraktion "Sluha narodu" (auf Deutsch: Diener des Volkes; die Partei, der Selenskyj früher angehörte - Anmerkung d. Red.) gelingt es im Parlament immer schwerer, Stimmen für die Initiativen und Gesetze zu akkumulieren. Und der Präsident braucht diese Stimmen. Deshalb haben sie sich geweigert, den Regierungschef auszuwechseln und haben dann die 50 Prozent der Regierung ersetzt. So geht es sicherer und schneller", meint der politische Analyst Ihor Reiterowytsch. Seiner Meinung nach will Selenskyj mit der Entlassung des Ministerpräsidenten die Heizperiode abwarten. Aufgrund der erheblichen Schäden am ukrainischen Energiesystem durch russische Raketen- und Drohnenangriffe verspricht die kalte Jahreszeit äußerst schwierig zu werden. Deswegen ist der Experte überzeugt, dass im Frühjahr die Regierung von Schmyhal komplett entlassen werden könnte. Genau nachdem sie "die Unzufriedenheit der Menschen nach einem schwierigen Winter auf sich gezogen hat".

Adaption aus dem Ukrainischen: Lena Crohmal