Ukraine-Krieg überschattet Münchner Sicherheitskonferenz
13. Februar 2023Die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) hat nach eigenen Angaben ein schwieriges Jahr hinter sich. Der Einmarsch Russlands in der Ukraine ist ein Rückschlag für die hochrangige Veranstaltung, deren Ziel es ist, "zur friedlichen Lösung von Konflikten beizutragen".
Im vergangenen Jahr waren die hochkarätigen und einflussreichen Teilnehmer der jährlichen Konferenz kaum von ihrem luxuriösen Tagungsort in München nach Hause zurückgekehrt, als der russische Präsident Wladimir Putin den Angriff auf das Nachbarland befahl - ein Krieg, den man mitten in Europa nicht mehr für möglich gehalten hatte.
Er hat nicht nur ukrainische Städte zerstört und zigtausende Tote gefordert, sondern auch bisherige Sicherheitsvorstellungen zunichte gemacht. Die Orientierung in einer neuen Realität steht deswegen im Mittelpunkt der diesjährigen MSC.
China und Russland: Rütteln am Status quo
Diese Erkenntnis spiegelt sich im jährlichen Münchner Sicherheitsbericht, dem "Munich Security Report", den die Organisation am Montag veröffentlicht hat und der den Ton der Konferenz bestimmen soll. "Der russische Krieg gegen die Ukraine ist nur der dreisteste Angriff auf die regelbasierte Ordnung", eröffnet MSC-Vorsitzender Christoph Heusgen den Bericht. "Revisionistische Akteure versuchen, den Status quo zu untergraben und die internationale Ordnung auf vielerlei Weise zu verändern."
"Revisionistisch" ist ein Seitenhieb auf Länder wie China und Russland, die verstärkt gegen die von den USA dominierte Weltordnung vorgehen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die globale Wirtschaft, Politik und Sicherheit bestimmt. Die russische Aggression wird jedoch nicht isoliert betrachtet, sondern als Anlass, um umfassendere Fragen zur Machtdynamik in der internationalen Gemeinschaft zu stellen.
Ressentiments aus Afrika, Lateinamerika und Asien
Für die Autorinnen und Autoren des 176 Seiten langen Berichts ist die globale Sicherheit untrennbar mit wirtschaftlichem Wohlstand, Klimawandel, widerstreitenden nationalen Interessen und dem Gefühl verbunden, dass die Weltordnung ungerecht sei und deren Regeln nicht immer für alle gleichermaßen gelten.
"Wenn wir uns nicht mit den Ressentiments auseinandersetzen, die Länder in Afrika, Lateinamerika und Asien gegenüber der internationalen Ordnung empfinden, die nicht immer ihren Interessen gedient hat", fährt Heusgen in dem Bericht fort, "wird es uns schwer fallen, die Unentschlossenen als Verbündete bei der Verteidigung der wichtigsten Regeln und Prinzipien zu gewinnen."
Die deutschen Gastgeber und internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden sich auf der Konferenz deshalb viele Fragen stellen: Was hat zur russischen Invasion der Ukraine geführt? Warum zögern viele Staaten außerhalb der reichen und eurozentrischen Gemeinschaft, die Ukraine zu unterstützen und Russland zu verurteilen? Und welche Lehren lassen sich aus den wachsenden Spannungen mit China in der indopazifischen Region ziehen?
Vertrauensdefizit des Globalen Südens gegenüber den USA
Was die Ukraine betrifft, haben die meisten reichen Länder der Welt - gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) - Russlands Vorgehen verurteilt, so die vom britischen Wochenmagazin "The Economist" ausgewerteten Daten. Allerdings lebt der größte Teil der Weltbevölkerung in den Staaten, die sich neutral verhalten oder Russland zugeneigt sind. Diese Diskrepanz spricht für eine Wohlstandskonzentration, die laut dem "Munich Security Report" ein Auslöser für unterschiedliche öffentliche Meinungen und politische Entscheidungen ist.
"Wir unterstützen vielleicht nicht wirklich die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, aber das bedeutet nicht, dass wir Russland unterstützen", sagt der indische Sicherheitsanalyst Gaurav Sharma von der Academy of International Affairs NRW in Bonn im DW-Gespräch. "Wenn man sich der Stimme enthält, wird das als indirekte Unterstützung angesehen. Das ist es aber nicht wirklich."
Indien, das stolz auf seine Geschichte der Blockfreiheit ist und sich selbst als die größte Demokratie der Welt bezeichnet, sieht das autokratische Russland weniger als Verbündeten denn als "strategischen Partner", so Sharma. Die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich und der Technologietransfer reichen Jahrzehnte zurück. Gleichzeitig unterstützen die USA seit langem Indiens Erzfeind Pakistan.
"Wir haben den Vereinigten Staaten von Amerika nie vertraut - und ich denke, das sollte auch noch heute niemand tun. Und das ist das größte Problem", sagt Sharma. "Wir haben ein riesiges Vertrauensdefizit, das sich in der Geopolitik nicht in einem Jahrzehnt lösen lässt." Der Report zählt eine Reihe an Problemen auf, über die die Länder des Globalen Südens seit längerem klagen: Sie reichen von Landwirtschafts-, Energie- und Handelsvorschriften über gebrochene Investitionsversprechen bis hin zur ungerecht verteilten Belastung durch die Folgen des Klimawandels.
Völkerrechtswidrige Invasion der USA im Irak wirkt nach
Vor 20 Jahren sagte der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer auf der Münchner Sicherheitskonferenz zur Begründung der USA für die Invasion im Irak: "Ich bin nicht überzeugt." Die Entscheidung für diese völkerrechtswidrige Invasion hatte Skeptikern der US-Vormachtstellung Rückenwind gegeben. Sie ziehen nun eine Parallele zur russischen Invasion in der Ukraine. Der Bericht kontert solche Relativierungen, indem er festhält, dass Russlands Krieg ein Versuch "einer autoritären Macht ist, eine Demokratie als souveränen Nationalstaat zu beseitigen". In vielen Teilen der Welt wird dies jedoch durchaus anders gesehen.
"Es war ein ziemlicher Weckruf für die westliche Gemeinschaft, als sie nach Russlands Einmarsch in der Ukraine feststellte, dass nicht alle Länder Russland sofort verurteilten", sagt Liana Fix vom Council on Foreign Relations in Washington, D.C., gegenüber der DW. "Dies ist nicht auf eine prorussische Stimmung zurückzuführen. Es handelt sich auch nicht um eine Art russlandfreundliche Neutralität, wie sie China betreibt, sondern eher um eine Art antiwestlicher Mentalität."
Von Jemen und Syrien über Äthiopien und Mali bis hin nach Indien, Pakistan und China kann der Krieg in der Ukraine wie ein weiterer brutaler, aber weit entfernter Konflikt aussehen. Länder aus diesen Regionen fragen sich allerdings, warum sie den Westen in einem Krieg vor dessen Haustür unterstützen sollen, wenn dieser gleichzeitig kaum hilft, die Konflikte in ihrer Region zu befrieden, oder sie sogar aktiv angeheizt hat.
Länder des Globalen Südens werden wichtig
"Die unmittelbare Reaktion des Westens auf den Krieg in der Ukraine war sicherlich nicht hilfreich", stellt der "Munich Security Report" fest. "Anstatt die Länder bei der Bewältigung der steigenden Lebensmittel- und Energiepreise zu unterstützen, tadelte der Westen sie dafür, dass sie nicht genug Solidarität mit Kiew zeigten." Expertin Fix sagt dazu: "Diese Art der Neugewichtung der Wirtschaftsbeziehungen ist wahrscheinlich etwas, das mehr Substanz erfordert als nur diplomatische Initiativen und Reisen."
Das gilt nicht nur für das Bestreben des Westens, einen Sieg Russlands in der Ukraine zu verhindern, sondern auch für seine Bemühungen, die aufstrebende Weltmacht China einzudämmen. Die USA werden Länder auf ihrer Seite brauchen, die sie lange vernachlässigt haben, wie beispielsweise die winzigen über den Pazifik verstreuten Inselstaaten. "Zum ersten Mal zählt der Westen auf die Länder des Globalen Südens", sagt Fix. "Zum ersten Mal können diese Länder wiederum ihre Einflussmöglichkeiten gegenüber dem Westen nutzen."
Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.