Ukraine-Krieg: Russlands Wirtschaft hält sich gut
23. Februar 2024Zwei Jahre sind vergangen, seit Russland in der Ukraine einmarschiert ist, und in einem Punkt sind sich die Ökonomen einig: Zusammengebrochen ist Russlands Wirtschaft bisher nicht.
Das hatten viele vorhergesagt, als die EU, die USA und andere Länder nach Kriegsbeginn im Februar 2022 beispiellose Sanktionen verhängten.
Inzwischen ist die Debatte über die russische Wirtschaft in den westlichen Hauptstädten von Ernüchterung geprägt. Nur wenige zweifeln noch an der Widerstandsfähigkeit des Landes. Uneinigkeit herrscht jedoch darüber, wie solide die Grundlagen für die derzeit guten Wirtschaftszahlen sind.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet, dass das russische Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr um 2,6 Prozent steigen wird - deutlich mehr als in der letzten IWF-Prognose im Herbst. Inzwischen ziehen auch die Öl-Einnahmen wieder an. Im Jahr 2023 war die russische Wirtschaft um mehr als drei Prozent gewachsen.
Doch die Zweifel bleiben. Der Kreml hat die Verteidigungsausgaben so stark erhöht, dass im laufenden Jahr 40 Prozent der gesamten Budgets auf Verteidigung und Sicherheit entfallen. Das ist eine Kriegswirtschaft - noch dazu eine gefährlich überhitzte, sagen Experten.
Der Mangel an Arbeitskräften wächst, die Inflation bleibt hoch. Auch die Sanktionen richten weiterhin Schaden an, zumal die westlichen Staats- und Regierungschefs nach neuen Wegen suchen, um Moskaus Kaufkraft zu bremsen.
Warum der Kollaps ausblieb
Elina Ribakova, Ökonomin am Peterson Institute for International Economics, einer Denkfabrik in der US-Hauptstadt Washington D.C., verweist gegenüber DW auf drei Hauptgründe, warum sich die russische Wirtschaft so gut gehalten hat.
Erstens sei das russische Finanzsystem auf die westlichen Sanktionen vorbereitet gewesen. Schon seit der Krim-Invasion 2014 sei der Sektor daran gewöhnt gewesen, schnell auf Krisen zu reagieren.
Zweitens habe Russland im Jahr 2022 hohe Einnahmen aus Öl- und Gasexporten erzielen können, weil die westlichen Länder zu langsam waren, diese Exporte zu erschweren.
Drittens, sagt Ribakova, hätten die westlichen Exportkontrollen nicht ausreichend funktioniert. So konnte sich Russland über Drittländer Waren beschaffen, die es für seinen militärisch-industriellen Komplex benötigt.
Benjamin Hilgenstock von der Wirtschaftshochschule im ukrainischen Kiew betont allerdings, dass die Sanktionen durchaus ihre Wirkung hatten.
"Die Schlussfolgerung ist nach wie vor, dass sich das makroökonomische Umfeld für Russland erheblich verschlechtert hat und dass dies zu einem großen Teil auf die Sanktionen zurückzuführen ist", so Hilgenstock zur DW.
Er verweist auf die russischen Einnahmen aus dem Export von Öl und Gas, die 2023 gegenüber dem Vorjahr gesunken sind. Auch musste die russische Zentralbank wegen der hohen Inflation den Leitzins auf 16 Prozent anheben.
Sanktionen umgehen
Als wichtigen Grund für die trotzdem relativ gute Entwicklung der russischen Wirtschaft sieht auch Hilgenstock, dass es Moskau gelungen ist, die Sanktionen zu umgehen. Zwei Beispiele sind das Unterlaufen der westlichen Exportkontrollen und der fortgesetzte Verkauf von Öl in die ganze Welt, obwohl die westliche Allianz im Dezember 2022 eine Obergrenze für den Ölpreis eingeführt hatte.
Damit sollten westliche Dienstleistungen für den Transport von russischem Öl eingeschränkt werden, wenn das Öl für mehr als 60 Dollar (56 Euro) pro Barrel verkauft wurde. Doch seit fast einem Jahr gelingt es Russland trotzdem, sein Öl zu marktnahen Preisen zu verkaufen.
Dies ist vor allem einer Schattenflotte von Schiffen zu verdanken, die russisches Öl in Länder wie China, Indien und Pakistan bringen und so die Preisobergrenze umgehen.
Die USA haben daraufhin zunehmend Sanktionen gegen einzelne Schiffe und Unternehmen verhängt, denen sie einen Verstoß gegen die Preisobergrenze vorwerfen. Hilgenstock sieht darin einen entscheidenden Faktor, um die russischen Öl-Einnahmen zu beschränken. "Diese Maßnahmen können Schiffe für eine beträchtliche Zeitspanne aus der Schattenflotte herausnehmen", sagt er.
Russlands kann viele westliche Produkte und Komponenten trotz Sanktionen über Drittländer importieren. Um das zu unterbinden, komme den Banken eine entscheidende Rolle zu, sagt Hilgenstock.
Er verweist auf die Verfügung von US-Präsident Joe Biden im Dezember. Sie ermöglicht Sanktionen gegen ausländische Banken, die Überweisungen zulassen, von denen Russlands militärisch oder industriell profitiert.
"Finanzinstitute spielen eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung von Exportkontrollen", so Hilgenstock. "Sie können die finanziellen Spuren von Geschäften sehen, die physisch nur sehr schwer zu verfolgen sind."
Risiken der Kriegswirtschaft
Ein weiterer wichtiger Faktor für Russlands Wirtschaftsleistung sind die Verteidigungsausgaben. Sie haben sich seit 2021 verdreifacht.
"Wir haben jetzt hauptsächlich eine Kriegswirtschaft", sagt Elina Ribakova. Das treibe die Wirtschaftsleistung in die Höhe, da der Staat viel Geld für die Produktion von Raketen, Artillerie und Drohnen ausgebe.
"Das bringt zwar eine Menge Leistung, ist aber mittelfristig keine produktive Leistung", sagt sie. "Es ist nicht gut für die Wirtschaft. Im Grunde ist es Verschwendung."
Ähnlich sieht das Chris Weafer, ein Investitionsberater, der seit mehr als 25 Jahren in Russland tätig ist. Langfristig sieht er negative Folgen, wenn der Staat viel Geld für "Verbrauchsgüter" ausgibt statt für Investitionen in die industrielle Basis.
"Das Land braucht seine Reserven auf. Wenn der Krieg dann vorbei ist, ist die Wirtschaft stark geschädigt. Und dann wird man sich den Kopf darüber zerbrechen, wie es weitergehen soll", so Weafer zur DW.
Als weiteres Schlüsselelement der russischen Kriegswirtschaft sieht er die Veränderungen am Arbeitsmarkt. Seit 2022 haben rund eine Million hochqualifizierte Arbeitskräfte Russland verlassen haben. Das und die Wehrpflicht für den aktuellen Krieg bedeuten, dass jetzt in vielen Bereichen die Arbeitskräfte fehlen.
Es gibt so gut wie keine Arbeitslosigkeit und die Löhne sind im Laufe des Jahres 2023 deutlich gestiegen. "Die höheren Einkommen haben die Inflation zusätzlich angeheizt", so Weafer.
Wie lange noch?
Wie lange das gut gehen kann, ist fraglich. Doch Russland hat düsteren Prognosen schon früher getrotzt. Die enormen Rohstoffe-Reserven des Landes seien bei der Verhängung von Sanktionen stets unterschätzt worden, sagt Weafer. Er verweist auf die ungebrochene Bedeutung von Öl und Gas für die Weltmärkte und auf Rohstoffe wie Uran, das die USA noch immer in großen Mengen abnehmen.
Weafer sagt, insbesondere die Europäische Union (EU) betreibe "ökonomisches Wunschdenken". "Dort sagt man: Ok, die russische Wirtschaft ist 2022 und 2023 nicht zusammengebrochen. Aber jetzt werden die hohen Militärausgaben die Wirtschaft sicher zum Einsturz bringen", so Weafer. "Aber das ist reines Wunschdenken."
Für Elina Ribakova vom Peterson Institute for International Economics hängt das Schicksal der Ukraine auch von der wirtschaftlichen Entwicklung in Russland ab. Sanktionen allein könnten die russische Aggression zwar nicht beenden. Doch das westliche Bündnis müsse mehr tun, um die Kriegsfähigkeit Russlands einzuschränken.
"Mit der einen Hand unterstützen wir die Ukraine finanziell, aber mit der anderen Hand unterstützen wir Russland. Wir kaufen immer noch russische Energie. Wir setzen die Ölpreisobergrenze und das Embargo nicht durch. Und auch die Exportkontrollen werden immer noch nicht vollständig eingehalten", sagt sie. "Das ist ein riesiges Problem."
Der Artikel wurde aus dem Englischen adpaptiert.