Ukraine-Krieg bremst Luftfahrt-Neustart aus
4. März 2022Die Luftfahrt-Sanktionen der EU gegen Russland wirbeln die Flugbranche kräftig durcheinander. Nicht nur die Verbindungen nach Russland fallen nach der Sperrung des russischen Luftraums für Airlines aus der EU weg. Vor allem die Flüge nach China und zu anderen Zielen in Fernost sind betroffen. Weil Russland nicht mehr überflogen werden darf, müssen Passagier- und Frachtflüge nach Asien auf südlichere Routen ausweichen.
Was das bedeutet, rechnet der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt im Interview mit der DW vor: "Die Strecke München - Seoul zum Beispiel verlängert sich auf der Südroute über Kasachstan, Armenien, Georgien und das südliche Schwarze Meer um rund 1200 km, die Flugzeit um eine Stunde und 20 Minuten. Das bedeutet Mehrkosten pro Flug von 10.000 Euro und mehr, die die Airlines aber nicht an die Passagiere überwälzen können."
Lufthansa und Co. leiden
Bis vor kurzem hatte die Lufthansa-Gruppe, zu der Fluglinien wie Eurowings oder Swiss gehören, "ein starkes Reisejahr" prognostiziert und mit einem Sommergeschäft in Europa fast auf Vorkrisenniveau gerechnet. "Wir sind sehr sicher, dass der Luftverkehr in diesem Jahr einen starken Aufschwung erleben wird", erklärte Vorstandschef Carsten Spohr bei der Vorstellung der aktuellen Konzernzahlen am 3. März.
Die von Analysten erhoffte Prognose, dass Lufthansa nach zwei Jahren Krise wieder schwarze Zahlen schreiben wird, blieb allerdings aus. Stattdessen kündigte der Konzern steigende Ticketpreise an. Die Unsicherheiten rund um den Ukraine-Krieg und der weitere Pandemieverlauf ließen "einen detaillierten Finanzausblick momentan nicht zu", erklärte der Konzern.
Schlechte Karten für Finnair
Die Lufthansa ist mit ihrem starkem Asiengeschäft von den Folgen des Ukraine-Kriegs ebenso stark betroffen wie British Airways und Air France/KLM, betont Großbongardt. "Sie leiden natürlich heftig, aber am stärksten betroffen ist die Finnair. Sie hat Helsinki sehr erfolgreich zum Sprungbrett nach Asien ausgebaut. Aus dem geografischen Vorteil ist jetzt ein ganz bitterer Nachteil geworden, denn Ziele wie Shanghai und Tokio sind jetzt selbst mit der A350 kaum noch erreichbar", erklärt Großbongardt.
Bereits am 28. Februar hatte Finnair als erste Fluglinie ihren Geschäftsausblick 2022 wegen der Sanktionen zurückgezogen. Mit dem Umfliegen des russischen Luftraums seien die meisten Passagier- und Frachtflüge nach Asien nicht mehr wirtschaftlich, sagte Finnair-Chef Topi Manner. Man bereite sich auf die Beurlaubung von Flugpersonal vor.
Der Luftfahrtexperte Gerald Wissel von der Beratungsgesellschaft Airborne sieht deswegen große Geschäfts-Chancen für arabische Fluglinien wie Emirates und Qatar, die bislang wie die Chinesen weiterhin den russischen Luftraum nutzen dürfen. Wegen der geografischen Lage ihrer Drehkreuze müssten sie ihre Verbindungen nach Fernost nicht ändern, während die US-Gesellschaften stärker auf die Pazifik-Routen umsteigen dürften. Wissel warnt vor steigenden Kerosin-Preisen und weniger Geschäftsreisen durch die Folgen der Invasion Putins. "Die Auswirkungen des Krieges auf den Luftverkehr sind gewaltig. Es wird sehr darauf ankommen, wie lange der Konflikt anhält."
Luftfracht wird noch teurer
Insgesamt ist der Luftfrachtverkehr zwischen Europa und Fernost am stärksten betroffen, unterstreicht Großbongardt, der seit vielen Jahren in der Branche tätig ist. "Die Luftfracht ist stärker betroffen als die Passagierflüge, weil Frachtflugzeuge nicht über die großen Reichweitenreserven moderner Langstreckenjets wie A350 und Boeing 777 verfügen. Sie können teilweise entweder nicht voll beladen werden oder sie müssen zum Beispiel in Kasachstan einen Tankstopp einlegen."
Weil davon vergleichsweise viele Flugzeuge betroffen sind, so Großbongardt, wie etwa die Verbindungen der Fracht-Unternehmen FedEx und UPS, die von Deutschland aus nach China und Ostasien fliegen, steige der Druck auf die weltweiten Logistikketten weiter. "Auch die Cargo-Airlines bleiben auf den Mehrkosten sitzen, aber immerhin sind die Frachtraten derzeit so hoch, dass sie dadurch nicht in die roten Zahlen rutschen", sagt Großbongardt.
Neuer Stress für Lieferketten
"Die Wege nach Asien werden länger, die Kerosinkosten steigen und die Kapazitäten sinken", bestätigt der Frankfurter Fracht-Experte Joachim von Winning. Die Zulademöglichkeiten in Passagierjets könnten jetzt - trotz abflauender Corona-Krise - nicht so schnell ausgeweitet werden wie zu Friedenszeiten. Die Folge: Die ohnehin schon sehr hohen Frachtkosten steigen auch wegen der anhaltenden Probleme bei der Seefracht weiter.
Die Lufthansa-Tochter Lufthansa Cargo hatte schon am ersten Wochenende nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Frachtflüge von Frankfurt nach Asien gestrichen. Air France-KLM hatte am vergangenen Wochenende nicht nur Flüge nach Russland, sondern auch nach China, Südkorea und Japan abgesagt. Flüge aus Mitteleuropa nach Japan, Korea und China verlängern sich teils um mehrere Stunden und können bis zu 20 Prozent weniger Fracht mitnehmen, gab Lufthansa Cargo bekannt.
Allein durch den Wegfall des russischen Anbieters Volga-Dnepr-Group, der im vergangenen Jahr 110.000 Tonnen Fracht zwischen Russland, Europa und den USA umgeschlagen hatte, entstehen gewaltige Lücken im internationalen Frachtgeschäft. Am Flughafen Leipzig/Halle waren nach der Luftraum-Sperrung gleich drei Riesenfrachter vom Typ Antonov 124 der Volga-Dnepr-Gruppe gestrandet.
Vor allem Air China Cargo dürfte davon profitieren, ihre gewohnten - kürzeren und billigeren - Flugrouten weiter bedienen zu können, glauben Branchen-Experten.
Folgen für russische Luftverkehrsbranche
Konsequenzen haben die Sanktionen gegen Russland auch auf einen großen Teil der Flotten russischer Fluggesellschaften. Alle Leasingverträge mit Airlines dort müssten bis 28. März beendet werden, erklärte der asiatische Flugzeugverleiher BOC Aviation. Dies betreffe 18 Flugzeuge oder 4,5 Prozent der Flotte von BOC.
Von den insgesamt 980 aktiven Passagierjets in Russland sind 777 geleast, wie der Branchendatenspezialist Cirium angab. Von diesen gehören 515 Maschinen im Wert von rund zehn Milliarden Dollar Leasinggesellschaften, die vor allem in Irland sitzen.
Der Weltmarktführer AerCap Holdings in Dublin hat mit 152 vermieteten Fliegern in Russland und der Ukraine den größten Geschäftsanteil. Die Verträge werden jetzt nach Firmenangaben den Sanktionen entsprechend beendet. ACC Aviation erklärte, es werde nicht einfach, die Flugzeuge in Besitz zu nehmen, wenn die russischen Behörden nicht mit den Verleihern kooperierten.
Keine britischen Versicherungen für russische Flugzeuge
Am Donnerstag wurde bekannt, dass Großbritannien seine Sanktionen gegen Russland ausweiten und russische Unternehmen aus der Luft- und Raumfahrtindustrie vom Londoner Versicherungsmarkt ausschließen will.
Den Unternehmen wird nach Informationen des britischen Finanzministeriums der direkte und indirekte Zugang zu Versicherungs- oder Rückversicherungsdienstleistungen mit Sitz in Großbritannien verwehrt. London ist der weltgrößte Versicherungsmarkt für große Risiken und Rückversicherungen.
Keine Ersatzteile, keine technische Wartung
Bereits am Mittwoch hatten Airbus und Boeing erklärt, wegen des Ukraine-Kriegs und der westlichen Sanktionen keine Ersatzteile mehr an russische Fluggesellschaften zu liefern und sie auch nicht mehr bei Wartungsarbeiten zu unterstützen. Das dauerhafte Wegbrechen des Russland-Geschäfts wäre etwa für Airbus äußerst schmerzhaft, ist Experte Großbongardt überzeugt.
"Egal wie der Krieg ausgeht. Seine Kosten und die Folgen der Wirtschaftssanktionen werden langfristige Folgen für die russische Wirtschaft haben. Das drückt den Bedarf für Verkehrsflugzeuge, den Airbus in der jüngsten Marktprognose auf 1440 Flugzeuge bis 2040 geschätzt hatte, zumal auch Russland als Ziel von Geschäfts- und Urlaubsreisen für Jahre hinaus unattraktiv sein wird."
Am härtesten treffen die Sanktionen aber die Branche in Russland. Für russische Fluglinien sei die Entwicklung "desaströs", betont Großbongardt, auch weil fast die Hälfte der Flotte geleast sei und damit unter das Embargo falle. "Die Leasinggeber müssen die Verträge kündigen, mal abgesehen davon, dass es für Aeroflot, S7 und andere Airlines schwierig sein dürfte, die Leasingraten termingerecht zu bezahlen. Ich erwarte auch, dass die Auswirkungen auf die Mobilität innerhalb dieses riesigen Landes dramatisch sein werden."
Druck auf russische Airlines nimmt zu
Mittlerweile haben zwei der größten Buchungssystemanbieter für Flugtickets, das US-Unternehmen Sabre und die spanische Amadeus IT Group, die Geschäftsbeziehungen zu Aeroflot gekappt. Sabre und Amadeus sammeln Informationen zu Flugplänen, Sitzplatzverfügbarkeiten und Ticketpreisen. Sie ermöglichen es Reisevermittlern Flugangebote zu vergleichen und für Kunden Tickets zu reservieren. Für Airlines sind sie äußerst wichtig.
Auch die russische Fluglinie S7 spürt den Druck der internationalen Sanktionen. Offenbar aus Angst vor einer Beschlagnahmung ihrer Maschinen stellt sie ab Samstag ihre internationalen Verbindungen ein. Zuvor waren schon S7-Verbindungen nach Ägypten, in den Kaukasus sowie nach Zentral- und Ostasien gestrichen worden - obwohl dort anders als in der EU und Nordamerika - kein Flugverbot für russische Flugzeuge wegen des Ukraine-Kriegs gilt. Zuvor waren mindestens zwei Fälle bekannt geworden, in denen russische Passagiermaschinen festgehalten wurden: eine Boeing 737 der Billig-Airline Pobeda in Istanbul sowie eine Boeing 777 von Nordwind in Mexiko.
Der Artikel wurde am 4.3.2022 um die Informationen zu den Buchungsanbietern und die Fluglinie S7 aktualisiert.