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Generalstaatsanwalt im Eilverfahren

Azad Safarov (mo)12. Mai 2016

Monatelang hatte die Ukraine keinen Generalstaatsanwalt. Nun machte das Parlament eilig den Weg frei für Jurij Luzenko, einen engen Vertrauten des Präsidenten Petro Poroschenko. Wie unabhängig kann er sein?

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Jurij Luzenko (Foto: EPA/SERGEY DOLZHENKO)
Jurij Luzenko ist der neue Generalstaatsanwalt der UkraineBild: picture-alliance/dpa

Lange wurde um das Amt des Generalstaatsanwalts gerungen, doch plötzlich ging alles ganz schnell. Mit einer deutlichen Mehrheit von 264 Stimmen bestätigte am Donnerstag das ukrainische Parlament auf Vorschlag von Präsident Petro Poroschenko die Ernennung von Jurij Luzenko zum neuen Generalstaatsanwalt. Der legte daraufhin sein Abgeordnetenmandat nieder.

Zuvor hatten die Abgeordneten Änderungen zum Gesetz über die Staatsanwaltschaft verabschiedet: Von nun an muss ein Generalstaatsanwalt nicht zwingend über eine juristische Ausbildung und Arbeitserfahrung in der Staatsanwaltschaft verfügen. So wurde das Gesetz gezielt auf Jurij Luzenko zugeschnitten, den bisherigen Fraktions-Chef der Präsidenten-Partei "Block Petro Poroschenko". Unterstützt wurde seine Kandidatur auch vom Koalitionspartner "Volksfront", der Partei des ehemaligen Premiers Arseni Jazenjuk.

Die Verfassung "mit Füssen getreten"

Doch nicht alle Abgeordneten des "Blocks Petro Poroschenko" unterstützten die Gesetzesänderung, darunter Serhij Leschtschenko. Auf seiner Seite bei Facebook schrieb er unmittelbar nach der Abstimmung über das "Luzenko-Gesetz": "Ich glaube nicht, dass ein Generalstaatsanwalt unabhängig ist, für den man Entscheidungen des Parlaments übers Knie bricht sowie die Verfassung und internationale Verpflichtungen mit Füßen tritt." Die entscheidenden Stimmen, so Leschtschenko, seien von Vertretern zweier oligarchischer Clans im Parlament gekommen.

Im Gespräch mit der Deutschen Welle betonte er: "Es ist mir ein Rätsel, in welchem Bezug das Amt des Generalstaatsanwalts zur Arbeit des Parlaments steht. Erstens verfügt der Generalstaatsanwalt nicht über das Recht der Gesetzesinitiative. Zweitens ist das Amt des Generalstaatsanwalts per Gesetz apolitisch. Er darf nicht Mitglied einer Partei sein."

Petro Poroschenko im Parlament (Foto: Mikhail Palinchak/Ukrainian presidential press service/TASS)
Präsident Petro Poroschenko setzt seinen Kandidaten im Parlament durchBild: picture-alliance/dpa/TASS/M. Palinchak

Vergebliche Appelle der EU

Als bisheriges Mitglied der Partei "Block Petro Poroschenko" gilt Luzenko eben nicht als politisch unabhängig. Doch gerade einen solchen unabhängigen Generalstaatsanwalt hatte sich die EU nach dem Rücktritt von Wiktor Schokin im Februar dieses Jahres erhofft. Ende März machte dies der EU-Botschafter in der Ukraine, Jan Tombinski, deutlich. Doch Poroschenkos Präsidialamt beharrte weiter auf Luzenko.

Erst vor zwei Wochen gab EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn während seines Besuchs in der Ukraine zu verstehen: Der neue Generalstaatsanwalt sollte über eine juristische Ausbildung und juristische Berufserfahrung verfügen. Aber weder das eine noch das andere hat Luzenko, der Poroschenko nahesteht.

"Weit von europäischen Standards entfernt"

Auch Oleksandr Bantschuk, Experte am Kiewer Zentrum für politische und rechtliche Reformen, sieht Luzenko kritisch. Zwar verfüge er über Erfahrungen als Innenminister, doch er sei kein Jurist, sondern Elektroingenieur. "In keinem europäischen Land steht eine Person ohne juristische Ausbildung einer Staatsanwaltschaft vor", sagte Bantschuk der DW.

Ferner verlange die Venedig-Kommission des Europarates von jedem Mitgliedsland, politische Einflussnahme auf die Strafverfolgungsbehörden zu verhindern. "Wenn man im Gesetz vom Generalstaatsanwalt jetzt auch noch Arbeitserfahrungen in der Legislative verlangt, ist es klar, dass damit ein Abgeordneter gemeint ist. Das steht im Widerspruch zum Prinzip, wonach der Generalstaatsanwalt apolitisch sein muss", sagte Bantschuk. Das alles zeige, wie weit die Ukraine noch von europäischen Standards entfernt sei.

Andere Kandidaten

Als mögliche Nachfolger waren gleich nach Schokins Rücktritt vom Amt des Generalstaatsanwalts dessen Stellvertreter genannt worden. Doch auf Druck der Öffentlichkeit wurden sie nicht weiter als Kandidaten gehandelt. Als Gerüchte über Jurij Luzenko aufkamen, erschien auf der Internetseite der Generalstaatsanwaltschaft ein Appell an den Präsidenten, eine Person zu ernennen, die bereits in der Behörde tätig war.

Die Anwälte der Angehörigen der "Himmlischen Hundertschaft", jener Menschen, die im Februar 2014 auf dem Kiewer Maidan erschossen wurden, hatten sich Serhij Horbatjuk, den Leiter der Abteilung für Sonderermittlungen bei der Generalstaatsanwalt, als neuen Chef der Behörde gewünscht. Dadurch erhofften sie sich endlich Fortschritte bei den Ermittlungen zu den Ereignissen auf dem Maidan.