Ukraine: F-16 Kampfjets rücken näher ans Kriegsgebiet
8. November 2023Wenn die Ukraine den Kampf gegen die russischen Angreifer gewinnen will, muss sie die Lufthoheit haben - so analysierte vor kurzem der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte Walerij Saluschnyj. Diese Woche ist die Ukraine diesem Ziel einen kleinen Schritt nähergekommen. Fünf F-16-Kampfjets sind jetzt auf der Luftwaffenbasis Baza Aeriană 86 Borcea stationiert. Der Militärflugplatz nördlich der Stadt Borcea im Südosten Rumäniens liegt zweieinhalb Autostunden von der ukrainischen Grenze entfernt. Dort würden in Kürze ukrainische Piloten von rumänischen und anderen NATO-Ausbildern trainiert, sagt der rumänische Militärexperte Catalin Pitu im DW-Interview. Pitu schätzt die Ausbildungszeit "zwischen fünf und neun Monaten, je nach den individuellen Fähigkeiten der einzelnen Piloten".
Ukrainische Piloten trainieren in den USA und Rumänien
Zuvor waren die künftigen ukrainischen F-16-Piloten bereits in den USA zur Ausbildung, so der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, Yurii Ihnat im DW-Gespräch. Jetzt geht das Training also in unmittelbarer Nachbarschaft zur Ukraine weiter. Gemeinsam mit dem US-amerikanischen F-16-Hersteller Lockheed habe die rumänische Luftwaffe in Borcea ein "Ausbildungszentrum nicht nur für ukrainische, sondern auch für rumänische Piloten und solche aus anderen Ländern" eingerichtet, erklärt der rumänische Militärfachmann Catalin Pitu.
Pitu war bis März Militär-Generalstaatsanwalt seines Landes. Der hochrangige Militär will Optimismus verbreiten vor dem zweiten harten Kriegswinter, der den Menschen in der Ukraine jetzt bevorsteht. "Im besten Fall wird die Ukraine mit dieser Luftflotte aus zunächst 42 Jets vom Typ F-16 und mit der Flugabwehrbewaffnung am Boden, die ebenfalls von der NATO kommt, aus diesem Krieg als Sieger hervorgehen können", betont Pitu selbstbewusst. Die F-16-Kampfjets könne die Ukraine mit "einer breiten Palette von Raketen" aus dem NATO-Arsenal bestücken.
Kiews Ziel: Lufthoheit im Frühjahr
So könne manim Krieg gegen Russland jene Lufthoheit zurückgewinnen, die der ukrainische Oberbefehlshaber Saluschnyj in seiner neunseitigen Analyse im britischen Magazin "The Economist" jüngst angemahnt hat: "Um einen Ausweg aus dem Stellungskrieg zu finden, ist es notwendig Luftüberlegenheit zu erlangen", schreibt Saluschnyj. "Der Feind verfügt auch heute noch über eine erhebliche Luftüberlegenheit, die den Vormarsch unserer Truppen erschwert" - und das sei "einer der Schlüsselfaktoren" für das Erstarren der Front. Schon zu Beginn der Gegenoffensive im Mai wurden ukrainische Soldatinnen und Soldaten von russischen Helikoptern unter heftigen Beschuss genommen. Russische Kampfjets beschießen ukrainische Städte und Stellungen von sicherer Entfernung aus mit Raketen.
Hinzu kommen die Minensperren, mit denen Russland die Front blockiert: Die ukrainische Armee hat bislang kein Gegenmittel gefunden. Mehr als acht Millionen Minen sollen die russischen Streitkräfte vor allem in der Südukraine verlegt haben. Es ist ein Minenfeld von historischen Ausmaßen: Es entspräche fast der Hälfte der Sprengkörper, die die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg unter Führung des deutschen Generalfeldmarschalls Erwin Rommel in Nordafrika verlegt hatte. Im Nordwesten Ägyptens leiden die Menschen noch heute unter dem Erbe des Nazi-Generals: Dort sind noch immer geschätzt 17,5 Millionen Minen im Boden vergraben.
Das Problem für die Ukraine: Bleibt die Front statisch, ist das für Russland von Vorteil, denn der Kreml verfüge trotz hoher Verluste weiterhin über große Munitionsreserven, schreibt Saluschnyj. Vor allem der Nachschub an Granaten für die russischen Streitkräfte liege weit über dem, was der Ukraine zur Verfügung steht. "Der Übergang des Krieges zu einem Stellungskrieg führt zu seiner Verlängerung und birgt erhebliche Risiken sowohl für die Streitkräfte der Ukraine als auch für den Staat insgesamt."
Der deutsche Sicherheitsexperte Nico Lange interpretiert die Analyse des ukrainischen Generals vor allem als Weckruf an die gut 50 westlichen Unterstützernationen der Ukraine, darunter Deutschland. Das Land "braucht Kampfflugzeuge und Drohnen, Werkzeuge zur Bekämpfung der russischen Artilleriesysteme und bessere elektronische Kampfführung", sagt der Russland- und Ukrainekenner. "Ob es zu einem langanhaltenden Stellungskrieg kommt, hängt auch davon ab, was und wie schnell wir liefern."
Allerdings gelängen der ukrainischen Armee immer wieder auch Erfolge. Jüngst konnte sie offenbar ein russisches Kriegsschiff östlich der von Russland besetzten Halbinsel Krim ausschalten. Von dem Kreuzer aus waren mutmaßlich auch Raketen auf ukrainische Städte abgeschossen worden.
Erfolge für die Ukraine am Fluss Dnjepr
Zudem meldet die US-amerikanische Denkfabrik ISW (Institute for the Study of War), die ukrainischen Streitkräfte hätten bereits im Oktober erfolgreiche Angriffe "in Kompaniegröße über den Fluss Dnjepr auf das östliche (linke) Ufer der Oblast Cherson durchgeführt".
Offenbar ist es den russischen Streitkräften an diesem südwestlichen Abschnitt der Front nicht gelungen, die Ukrainer zurückzuschlagen. Mehr noch: Die ukrainische Armee konnte offenbar "zusätzliches Personal und Material in Stellungen am Ostufer" verlegen. Die russischen Linien sind an dieser Stelle weniger stark ausgebaut. Russland hatte nach der Sprengung des Dnjepr-Staudamms bei der Stadt Kachowka Einheiten von dort abgezogen, um den mittleren und östlichen Teil der Front zu verstärken. Ob die Ukraine entlang des südlichen Teils des Flusses Dnjepr einen dauerhaften Vorteil erreichen kann, ist für die ISW-Analysten unklar. Viele der Informationen des ISW stammen von russischen Militärbloggern, Aussagen über das unmittelbare Kriegsgeschehen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
In Rumänien will Militärexperte Catalin Pitu dem Nachbarland Mut machen: Er sei überzeugt, die "Ukraine werde ihr gesamtes Territorium befreien, das vom Aggressor Russland illegal besetzt ist". Die rumänischen Streitkräfte täten zudem alles, damit die F-16-Jets in einigen Monaten auch sicher in die Ukraine weitertransportiert werden könnten. Das werde mit "höchster Geheimhaltung" geschehen. Russland werde die Jets natürlich angreifen wollen, denn sie seien "eine echte Bedrohung".