1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Aktuell: Ukraine verdrängt russische Kämpfer aus Lyman

1. Oktober 2022

Die ukrainische Armee hatte Tausende russische Soldaten bei Lyman umzingelt - jetzt gibt der Kreml die Stadt auf. Überraschend ist Verteidigungsministerin Lambrecht in der Ukraine eingetroffen. Ein Überblick.

https://p.dw.com/p/4HcDg
Ukraine I Beschuss in der Nähe des Bahnhofs in Lyman
Ukrainischer Panzer in der Nähe von Lyman - hier eine Aufnahme vom FrühjahrBild: Yashuyoshi Chiba/AFP/Getty Images

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Russland gibt strategisch wichtige Stadt Lyman auf
  • Verteidigungsministerin Lambrecht überraschend in der Ukraine
  • Moskau legt Veto gegen Resolutionsentwurf zu Annexionen ein
  • Außenministerin Baerbock rügt Annexionen als Landraub
  • Leiter von AKW Saporischschja in russischer Gewalt

 

Russland hat in einer weiteren Niederlage gegen die ukrainische Armee die strategisch wichtige Stadt Lyman im Gebiet Donezk aufgegeben. Die Streitkräfte seien wegen der Gefahr einer Einkesselung abgezogen worden, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, in Moskau. Unklar ist unter diesen Umständen, wie viele russische Soldaten gefallen oder in Gefangenschaft gekommen sind. Denn: Die ukrainischen Truppen hatten nach eigenen Angaben zeitweise etwa 5000 russische Soldaten eingekesselt.

Russland hatte Lyman, wo vor Kriegsausbruch 20.000 Menschen lebten, im Mai eingenommen. Seitdem hat Russland den Ort zu einem militärischen Logistik- und Transportzentrum ausgebaut. Nach dem Abzug der russischen Truppen aus der Stadt wäre der Weg frei bis tief in die übrigen Teile von Donezk. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben aus dem umkämpften Gebiet nicht.

Ukraine I Beschuss in der Nähe des Bahnhofs in Lyman
Lyman wurde immer wieder heftig attackiert - hier die Spuren eines Angriffs nahe dem Bahnhof der Stadt im AprilBild: Yashuyoshi Chiba/AFP/Getty Images

Lambrecht: Luftabwehrsystem Iris-T kommt bald

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht ist zum ersten Mal seit Kriegsbeginn in die Ukraine gereist. In der Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer wurde die SPD-Politikerin von ihrem ukrainischen Amtskollegen Olexij Resnikow empfangen. Lambrecht kündigte die rasche Lieferung einer ersten Einheit des bodengestützten Luftabwehrsystems Iris-T SLM an. Diese solle in den kommenden Tagen eintreffen. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte der Ukraine das System Anfang Juni zugesagt. 

ILA - Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin
Das IRIS-T SLM Abwehrsystem auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin (Archivbild)Bild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Deutschland will der Ukraine zunächst vier der jeweils 140 Millionen Euro teuren Iris-T SLM zur Verfügung stellen. Die Finanzierung von drei weiteren Systemen ist gesichert. Eine Einheit besteht aus vier Fahrzeugen - einem Feuerleitgerät und drei Raketenwerfern. Sie sollen eine mittlere Großstadt vor Angriffen aus der Luft schützen können. Dem deutschen Hersteller Diehl Defence zufolge können Attacken von Flugzeugen, Hubschraubern, Marschflugkörpern und ballistischen Kurzstreckenraketen abgewehrt werden.

Lambrecht: "Von Putins Atomdrohungen nicht lähmen lassen"

Zuvor hatte Lambrecht der kleinen ukrainischen Nachbarrepublik Moldau weitere Unterstützung bei der Ausrüstung und Ausbildung der Armee zugesagt. Unter anderem geht es dabei um die Beschaffung von Drohnen. Angesichts der Drohungen Putins mit dem Einsatz von Atomwaffen warnte die Ministerin vor einer Lähmung des Westens.

Republik Moldau | Verteidigungsministerin Lambrecht in Chisinau
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht wird in Chisinau mit militärischen Ehren empfangenBild: Jörg Blank/dpa/picture alliance

Russland legt Veto gegen Resolutionsentwurf zu Annexionen ein

Im UN-Sicherheitsrat hat die russische Regierung wie erwartet mit einem Veto die Verabschiedung eines Resolutionsentwurfs verhindert, mit dem die russische Annexion von ukrainischen Gebieten als Völkerrechtsbruch verurteilt werden sollte. Zehn Länder stimmten in New York für das Dokument, das die USA und Albanien eingebracht hatten. Darin wird Russland zudem zum sofortigen militärischen Rückzug aus der Ukraine aufgefordert. Vier Länder im höchsten UN-Gremium enthielten sich: China, Indien, Brasilien und Gabun. Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja kritisierte die Abstimmung als "Provokation" und "offen feindlichen Akt". Es wird erwartet, dass der Resolutionsentwurf in dieser oder ähnlicher Form nun in den kommenden Tagen der UN-Vollversammlung zur Abstimmung vorgelegt wird.

Die völkerrechtswidrige Annexion folgte auf die vom Westen und der Regierung in Kiew als Scheinreferenden verurteilten Abstimmungen in den vier ukrainischen Gebieten, in denen sich nach russischen Angaben eine überwiegende Mehrheit der Menschen für einen Beitritt zu Russland ausgesprochen hatte. Berichten zufolge gab es bei diesen Referenden Gewaltandrohungen, eine geheime und freie Wahl fand nicht statt.

USA, New York | Sitzung des UN-Sicherheitsrats
Blick in den UN-Sicherheitsrat in New York (Archivbild)Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Baerbock: "Landraub mit brutalster Gewalt"

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat die Einverleibung von vier ukrainischen Gebieten durch Russland als "schwersten Bruch der UN-Charta" verurteilt. Das "Annexionstheater und die Scheinreferenden" seien halbherzige Versuche, über das hinwegzutäuschen, "was wir seit einem halben Jahr erleben - ein Landraub mit brutalster Gewalt, mit Methoden, die man sich kaum vorstellen kann", sagt die Ministerin. Dies könne von keinem Land der Welt akzeptiert werden.

Es gehe dem russischen Präsenten Wladimir Putin darum, die gesamte Ukraine einzunehmen. Zudem habe er immer wieder deutlich gemacht, dass er nicht zurückschrecken werde, andere Länder anzugreifen. Zu Russlands Drohungen mit einer nuklearen Eskalation sagte Baerbock, der Westen müsse diese Worte ernst nehmen, dürfe sich aber nicht "erpressen" lassen.

Leiter von AKW Saporischschja in russischer Gewalt

Der Chef des von russischen Truppen besetzten ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja, Ihor Muraschow, ist verschleppt worden. Russische Behörden informierten die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA), der Generaldirektor des größten europäischen Kernkraftwerks sei "vorübergehend festgenommen" worden, um Fragen zu beantworten, wie ein IAEA-Sprecher in Wien  sagte. Nach ukrainischen Angaben wurde Muraschow von Moskauer Truppen entführt.

Der Präsident der ukrainischen Betreibergesellschaft Enerhoatom, Petro Kotin, teilte mit, dass der Kraftwerks-Chef am Vortag von einer russischen Patrouille am AKW-Standort Enerhodar auf der Straße gestoppt, aus dem Auto gezerrt und mit verbundenen Augen an einen unbekannten Ort gebracht worden sei. Russland hält das AKW seit Anfang März besetzt, technisch wird es weiter von ukrainischen Fachleuten betreut. 

Gazprom setzt Lieferungen nach Italien und Österreich aus

Der russische Energiekonzern Gazprom hat seine Gaslieferungen nach Italien über Österreich ausgesetzt. Grund sei eine "Ablehnung des österreichischen Betreibers, die Transportnominierungen zu bestätigen", erklärte das Unternehmen. Zuvor hatte das italienische Energieunternehmens ENI mitgeteilt, über den Tarvisio-Knotenpunkt fließe an diesem Samstag kein Erdgas aus Russland. Mit Gazprom werde an einer Lösung gearbeitet,

Österreich selbst erhielt zunächst weiterhin russisches Gas. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur von der Austrian Gas Grid Management AG, die die Gasflüsse in Österreich steuert. Italien arbeitet daran, seine Erdgasimporte aus Russland zu drosseln. Sie machen einem Insider zufolge gegenwärtig etwa ein Zehntel der Gesamteinfuhren aus, während der Anteil vor dem Krieg noch bei 40 Prozent lag.

Weniger Gas auch für Moldau

Auch Moldau ist von den sinkenden russischen Gaslieferungen betroffen. Die Zufuhr in die zwischen Rumänien und der Ukraine liegende ehemalige Sowjetrepublik wurde gedrosselt. Der russische Energiekonzern Gazprom drohte mit der völligen Einstellung des Gasflusses. Das Staatsunternehmen machte für die Absenkung die Ukraine verantwortlich, die sich weigere, russisches Gas über die Verteilerstation Sochranowka zu leiten.

Nach Gazprom-Angaben liegt die tägliche Liefermenge nun bei 5,7 Millionen Kubikmeter. Die einen EU-Beitritt anstrebende Republik Moldau hat 8,1 Millionen Kubikmeter täglich geordert. Neben dem Ausfall eines Leitungsstrangs in der Ukraine, der allerdings schon seit Monaten bekannt ist, beruft sich Gazprom in seiner Begründung auf offene Gasschulden Chisinaus. Diese beliefen sich samt Strafen auf insgesamt 709 Millionen US-Dollar (umgerechnet 723 Millionen Euro). Chisinau bestreitet die Höhe der Summe und besteht auf einer Überprüfung.

Bulgarien Sofia |  Eröffnung des Gas-Interconnetor zwischen Bulgarien und Griechenland
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen spricht bei der Eröffnung einer neuen Pipeline in SofiaBild: BGNES

Gaspipeline zwischen Bulgarien und Griechenland eingeweiht

Eine für die Unabhängigkeit der EU von Russlands Erdgas wichtige Pipeline zwischen Bulgarien und Griechenland hat derweil den Betrieb aufgenommen. Die Gasleitung wurde im Beisein von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der bulgarischen Hauptstadt Sofia in Dienst gestellt. Die 182 Kilometer lange Röhre zwischen der nordgriechischen Stadt Komotini und dem mittelbulgarischen Stara Sagora bindet Bulgarien an die Trans Adria Pipeline (TAP) an. Diese leitet Erdgas von Aserbaidschan über die Türkei nach Griechenland und weiter nach Italien.

Zur Inbetriebnahme in Sofia kamen auch die Präsidenten von Aserbaidschan, Nordmazedonien und Serbien - Ilham Aliyev, Stevo Pendarovski und Aleksandar Vucic - sowie die Regierungschefs von Griechenland und Rumänien, Kyriakos Mitsotakis und Nicolae Ciuca.

Ukraine Kiew | Wolodymyr Selenskyj, Präsident
Der ukrainische Präsident Wolodymyr SelenskyjBild: Ukrainian Presidential Press Office/AP Photo/picture alliance

Weißes Haus sieht keine Eile bei NATO-Beitritt der Ukraine

Die Vereinigten Staaten sehen aktuell keinen Bedarf für ein beschleunigtes Verfahren für einen Beitritt der Ukraine zur NATO. "Unsere Ansicht ist, dass wir der Ukraine am besten durch praktische Unterstützung vor Ort helfen können und dass das Verfahren in Brüssel zu einer anderen Zeit aufgegriffen werden sollte", sagte der Nationale Sicherheitsberater im Weißen Haus, Jake Sullivan. Zugleich betonte er, dass alle Entscheidungen zu einer NATO-Mitgliedschaft Sache der Beitrittskandidaten und der Mitglieder der Allianz seien. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte am Freitag nach der formellen Annexion von vier ukrainischen Regionen durch Russland einen Antrag auf einen beschleunigten NATO-Beitritt gestellt.

USA nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan
Der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan (Archivbild)Bild: Manuel Balce Ceneta/AP Photo/picture alliance

Biden: Westen lässt sich durch Putin nicht "einschüchtern"

US-Präsident Joe Biden hat angesichts der jüngsten Eskalation im Ukraine-Krieg betont, dass die USA und ihre NATO-Partner gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin standhaft bleiben werden. "Amerika und unsere Verbündeten werden sich nicht einschüchtern lassen", sagte Biden im Weißen Haus in Washington. Putin werde dem Westen "keine Angst machen". Biden warnte den russischen Präsidenten zugleich vor jeglichem Angriff auf einen NATO-Staat. "Die USA sind mit ihren Partnern vollständig bereit, jeden Zentimeter NATO-Territorium zu verteidigen", unterstrich der US-Präsident.

US-Zwischenhaushalt beinhaltet Milliardenhilfen für Ukraine

Die USA haben einen Zwischenhaushalt mit weiteren Milliardenhilfen für die Ukraine beschlossen. Präsident Biden setzte den wenige Stunden zuvor vom Repräsentantenhaus beschlossenen Etat mit seiner Unterschrift in Kraft. Der bis Mitte Dezember angelegte Zwischenhaushalt sieht militärische und wirtschaftliche Unterstützung für die Ukraine in Höhe von rund 12,3 Milliarden Dollar (12,5 Milliarden Euro) vor. Der Etat ermächtigt Biden auch, bis zu 3,7 Milliarden Dollar für den Transfer überschüssiger Waffen aus US-Beständen in die Ukraine bereitzustellen.

Mit dem Budget wird auch ein neuerlicher sogenannter Shutdown abgewendet. Darunter ist eine zwangsweise Drosselung der Staatsausgaben zu verstehen, zu der es in den USA immer wieder kommt, wenn sich Demokraten und Republikaner nicht rechtzeitig auf einen Haushalt einigen können. Die Frist wäre um Mitternacht Ortszeit abgelaufen, jetzt ist die Finanzierung zunächst bis zum 16. Dezember gesichert. Der Senat hatte den Zwischenhaushalt am Donnerstag auf den Weg gebracht, das Repräsentantenhaus billigte ihn am Freitag.

Gazprom beziffert Gasverlust in Nord Stream-Pipelines

Aus der beschädigten Pipeline Nord Stream 2 tritt nach dänischen Angaben wohl kein Gas mehr aus. Wie die Energiebehörde unter Berufung auf den Betreiber mitteilte, ist der Druck innerhalb der Röhre in der Ostsee mittlerweile auf das gleiche Niveau wie der Wasserdruck gefallen. Ein Sprecher des Unternehmens sagte der Nachrichtenagentur AFP, dies führe dazu, dass kein weiteres Gas mehr aus dem Inneren entweiche. Zur Lage an der anderen beschädigten Pipeline Nord Stream 1 gibt es noch keine neuen Informationen.

Nach mehreren Explosionen, deren Ursache bislang unklar ist und die von westlichen Regierungen auf gezielte Sabotage zurückgeführt werden, traten rund 800 Millionen Kubikmeter Gas aus den Leitungen aus, wie der russische Energiekonzern Gazprom mitteilte. Das Volumen entspreche drei Monatslieferungen für Dänemark, heißt es in einer Meldung der russischen Nachrichtenagentur TASS.

Für die Reparatur der insgesamt vier Lecks an Nord Stream 1 und 2 nahe der dänischen Insel Bornholm gibt es laut Gazprom noch keinen Zeitplan. Auch die Dauer der nötigen Arbeiten könne nicht abgeschätzt werden. Die Aufgabe sei aus technischer Hinsicht "überwältigend". Solche Lecks habe es zuvor nie gegeben, sagte ein Sprecher.

IWF warnt vor schwerer globaler Nahrungskrise

Der russische Einmarsch in die Ukraine führt nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur schlimmsten globalen Nahrungskrise seit mindestens 2008. Etwa 345 Millionen Menschen seien derzeit von lebensgefährdenden Lebensmittel-Engpässen bedroht, schreibt der IWF.

48 Länder, die von der Lebensmittel-Knappheit am stärksten betroffen seien, müssten in diesem und im nächsten Jahr eine um neun Milliarden Dollar höhere Rechnung für die Einfuhr der Güter stemmen. Der Fonds fordert deshalb eine sofortige Erhöhung der Unterstützung über das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen und andere Organisationen. 2008 war es zu einer Nahrungsmittelpreiskrise gekommen, in deren Folge Millionen Menschen hungern mussten.

kle/wa/qu/bri/nob/jj (dpa, afp, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.