Selenskyj erhält in Kanada Zuspruch und Millionenhilfen
23. September 2023Das Wichtigste in Kürze:
- Kanada hat der Ukraine weitere Unterstützung zugesagt
- Nach Presseberichten kann Kiew auf ATACMS-Raketen hoffen
- Ukraine vermeldet Durchbruch russischer Linien bei Saporischschja
- Diplomatische Verstimmung zwischen Polen und Ukraine hält an
- Russischer Angriff auf Krementschuk fordert Opfer
Der kanadische Premierminister Justin Trudeau hat der Ukraine bei einem Besuch von Präsident Wolodymyr Selenskyj finanzielle Hilfen in Höhe von 650 Millionen kanadische Dollar (rund 453 Millionen Euro) zugesagt. Das über drei Jahre angelegte Hilfspaket umfasse rund 50 gepanzerte Fahrzeuge und die Ausbildung ukrainischer Piloten an F-16-Kampfjets, sagte Trudeau vor dem kanadischen Parlament in Ottawa.
Er werde der Ukraine weiterhin "stark und unmissverständlich" zur Seite stehen. Die nun zugesagte Hilfe kommt zu rund 8,9 Milliarden kanadische Dollar hinzu, die Ottawa bereits geleistet hat.
Nach seinem Besuch in Kanadas Hauptstadt wollte Selenskyj nach Toronto weiterreisen. Dort waren Treffen mit Wirtschaftsvertretern und Mitgliedern der ukrainischen Gemeinschaft geplant.
Der ukrainische Präsident war am Donnerstagabend zu dem unangekündigten Besuch in Kanada eingetroffen. Es ist Selenskyjs erster Besuch in dem nordamerikanischen Land seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022.
Medien: USA wollen doch ATACMS-Raketen liefern
US-Präsident Joe Biden soll der Ukraine einem Medienbericht zufolge doch Raketen vom Typ ATACMS in Aussicht gestellt haben. Biden habe Selenskyj bei ihrem Treffen am Donnerstag im Weißen Haus eine kleine Zahl solcher Raketen mit großer Reichweite zugesagt, berichtete der US-Sender NBC am Freitag unter Berufung auf anonyme Regierungsvertreter. Ähnliches hatte zuvor auch die "Washington Post" geschrieben.
Demnach sei besprochen worden, dass die Vereinigten Staaten der Ukraine "in Kürze" ATACMS-Raketen mit höherer Reichweite zur Verfügung stellen könnten. Die US-Regierung bestätigte die Berichte nicht. Die Sprecherin des Weißen Hauses sagte aber, man habe immer deutlich gemacht, dass die ATACMS nicht vom Tisch seien.
Die Ukraine wünscht sich die ATACMS-Raketen des Herstellers Lockheed Martin mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern seit längerem von Washington. Sie werden vom Boden zu Zielen am Boden abgefeuert und treffen sehr präzise. Neuere Modelle sind lenkfähig, ältere nicht. Sie werden wegen ihrer Reichweite oft mit den deutschen Taurus-Marschkörpern verglichen, welche Kiew ebenfalls fordert. Sie sind für die Zerstörung von Bunkern und geschützten Gefechtsständen in bis zu 500 Kilometer Entfernung geeignet. Bei beiden Waffensystemen gibt es die Sorge, dass damit auch Ziele in Russland angegriffen werden könnten. Kiew weist diese aber als unbegründet zurück.
CDU-Verteidigungsexperte fordert Taurus-Lieferung
In der Diskussion um die Lieferung westlicher Raketen an die Ukraine hat sich der CDU-Verteidigungsexperte Kiesewetter die Bundesregierung kritisiert. Es sei ihm "unerklärlich", worauf Bundeskanzler Olaf Scholz warte, sagte er dem Nachrichtenportal t-online.
Eine Lieferung der Taurus-Marschflugkörper aus Deutschland bezeichnete Kiesewetter als "wichtiges Zeichen für transatlantische Lastenteilung". Dem CDU-Politiker zufolge würde es US-Präsident Biden "helfen, seiner eigenen Bevölkerung zu sagen: Die Europäer haben verstanden, sie leisten mehr für die eigene Sicherheit".
Ukraine vermeldet Durchbruch russischer Linien bei Saporischschja
Bei ihrer Gegenoffensive hat die ukrainische Armee nach Angaben des verantwortlichen Generals die russischen Verteidigungslinien im Süden des Landes überwunden. In der Nähe des Dorfes Werbowe in der Region Saporischschja "haben wir einen Durchbruch und wir rücken weiter vor", sagte Oleksandr Tarnawskiji dem US-Fernsehsender CNN. Zugleich räumte er ein, dass die Offensiver langsamer Fortschritte mache als erhofft. "Nicht so schnell wie erwartet, nicht wie in den Filmen über den Zweiten Weltkrieg", sagte Tarnawskiji nach einer Meldung der Nachrichtenagentur afp. "Nicht so schnell wie erwartet, nicht wie in den Filmen über den Zweiten Weltkrieg", sagte Tarnawskiji. Es sei aber wichtig, "diese Initiative nicht zu verlieren".
Die Ukraine hatte ihre Gegenoffensive zur Rückeroberung von Gebieten unter russischer Kontrolle im Juni begonnen. Nur langsam kamen erste Erfolgsmeldungen, doch in jüngster Zeit vermeldete Kiew strategische Fortschritte vor allem in der Region Saporischschja. Den nahenden Winter sieht Tarnawskiji nicht als zusätzlichen Faktor, der die ukrainische Gegenoffensive verlangsamen könnte. "Das Wetter kann ein ernsthaftes Hindernis während des Vormarsches sein, aber angesichts der Art und Weise, wie wir uns vorwärtsbewegen, meist ohne Fahrzeuge, glaube ich nicht, dass es die Gegenoffensive stark beeinflussen wird."
Erneut Explosionen aus der Krim-Hafenstadt Sewastopol gemeldet
Einen Tag nach dem folgenreichen Angriff der Ukrainer auf das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte wird die annektierte Halbinsel Krim erneut von Explosionen erschüttert. "Vorläufigen Informationen zufolge war in Sewastopol die Luftverteidigung im Einsatz", schrieb der russische Besatzungschef des Gebiets, Michail Raswoschajew, auf Telegram. In einem Bezirk nördlich der Stadt, in der die Schwarzmeerflotte ihren Hauptstützpunkt hat, seien Raketentrümmer herabgefallen, fügte er hinzu. In sozialen Netzwerken wurden Fotos von einer Rauchwolke am Himmel geteilt und darauf hingewiesen, dass es in dem betroffenen Bereich ein russisches Munitionslager geben soll.
Auch am Freitag hatte die russische Seite zunächst nur von herabfallenden Raketentrümmern gesprochen. Später stellte sich die ukrainische Attacke als erfolgreich heraus: Die Geschosse beschädigten das wichtige und symbolträchtige russische Flottengebäude schwer. Nach Angaben örtlicher Behörden brach ein Feuer aus. Wie viele Militärangehörige bei dem Angriff am Freitag getötet oder verletzt wurden, ist unklar. Die russische Seite sprach nur von einem Vermissten.
Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, sagte dem US-Auslandssender Voice of America, es seien mindestens neun Russen getötet und 16 verletzt worden, darunter auch Generäle. Später hieß es vom ukrainischen Militär, der Angriff sei erfolgt, während die russische Flottenführung in ihrem Hauptquartier ein Treffen abgehalten habe. Die russische Schwarzmeerflotte ist im Hafen von Sewastopol stationiert. Dort befindet sich eines der russischen Kommandozentren für Moskaus Krieg gegen die Ukraine.
US-Analyst: Russen nehmen militärische Fähigkeiten der Ukraine nicht ernst genug
Der US-amerikanische Forscher Stephen Blank sieht im jüngsten ukrainischen Angriff auf den russischen Marinestützpunkt in Sewastopol auf der annektierten Krim einen schwerwiegenden Rückschlag für das russische Militär. "Es ist eine Niederlage, um es ganz unverblümt zu sagen", sagte der Senior Fellow am Eurasia Program des Foreign Policy Research Institute in Washington, DC. "Es zeigt, dass die Russen keine ausreichende Verteidigung gegen die ukrainische Anti-Schiffs- und Drohnen-Artillerie haben. Außerdem scheinen sie nicht in der Lage zu sein, mit der Bedrohung, die die Ukraine für sie darstellt, fertig zu werden.“
Blank sagte, dass die Schwarzmeerflotte eigentlich die ukrainischen Schiffe blockieren und auch Ziele an Land bombardieren sollte. Er stellte jedoch fest, dass Russland seine Schiffe zunehmend weiter wegbewegen musste, um sie aus der Reichweite der ukrainischen Raketen und Drohnen herauszuhalten. Das wiederum mache sie offensiv weniger effektiv, sagte er DW.
"Moskau bewegt sich bereits und versucht, die Flotte aus der Reichweite der ukrainischen Raketen und Drohnen zu bringen", so Blank. Das mache es schwieriger, die Ukraine mit Raketen anzugreifen, weil diese Schiffe jetzt weiter weg sind. "Es macht es auch viel schwieriger, die Blockade des ukrainischen Getreidehandels durchzusetzen." Auf die Frage, warum die russische Marinestrategie für den Krieg zu scheitern scheint, antwortete der Analyst: "Offensichtlich nehmen sie die ukrainischen Fähigkeiten nicht ernst genug - noch. Sie haben keine richtige Luftabwehr, das ist ganz offensichtlich. Und sie lassen diese Gebäude im Grunde genommen ungeschützt."
Polen warnt Selenskyj
Polen hat scharf auf die jüngsten Äußerungen des ukrainischen Präsidenten Selenskyj reagiert, der dem Nachbarn "politisches Theater" im Zusammenhang mit dem Verbot von Getreideexporten vorgeworfen hatte. "Ich möchte Präsident Selenskyj sagen, dass er die Polen nie wieder beleidigen soll, wie er es kürzlich in seiner Rede vor den Vereinten Nationen getan hat", zitierte die Nachrichtenagentur PAP am Freitagabend den polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki.
Polen hatte ebenso wie die Slowakei und Ungarn nationale Beschränkungen für ukrainische Getreideimporte verhängt, nachdem die EU-Kommission ein entsprechendes Verbot nicht verlängert hatte. Sie argumentierten, dass billige ukrainische Agrarerzeugnisse, die hauptsächlich für den Transit nach Westen und zu den Häfen bestimmt sind, vor Ort verkauft werden und damit den eigenen Landwirten schadet.
Opfer durch russischen Luftangriff
Durch einen russischen Luftangriff ist in der zentralukrainischen Stadt Krementschuk offiziellen Angaben zufolge mindestens ein Mensch getötet worden. Weitere 31 Menschen seien verletzt worden, darunter drei Kinder, teilte der Militärgouverneur der Region Poltawa, Dmytro Lunin, am Freitag auf Telegram mit. Nach seinen Angaben feuerten die Russen mehrere Raketen auf das südöstlich von Kiew gelegene Krementschuk ab. Eines der Geschosse habe von der Luftverteidigung abgewehrt werden können, ein anderes jedoch habe ein ziviles Gebäude getroffen.
Krementschuk war bereits einige Monate nach Kriegsbeginn, im Juni 2022, zum Ziel eines verheerenden Angriffs geworden. Damals schlugen russische Raketen in einem Einkaufszentrum ein und töteten mindestens 20 Menschen.
Asyl für 90 russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 haben laut Medienberichten rund 3.500 russische Männer im wehrfähigen Alter einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Das geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Linken-Abgeordneten Clara Bünger hervor, die dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vorliegt.
Demnach entschied das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bisher über mehr als 1.500 der Anträge. Rund 90 Personen erhielten einen Schutzstatus. Bei rund 1.100 Anträgen sei aufgrund der Dublin-Regelung ein anderer EU-Mitgliedsstaat für das Asylverfahren zuständig.
mak/cw/se/sti/kle/qu (dpa, afp, rtr, kna, epd)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.