Ukraine aktuell: Russland beschießt Charkiw und Cherson
30. Januar 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- Russische Raketen schlagen in Charkiw und Cherson ein
- Selenskyj will schnell weitere Waffenlieferungen
- Stoltenberg: Südkorea sollte Export von Waffen in Kriegsgebiete überdenken
- Frankreich und Australien liefern der Ukraine Artilleriemunition
- Polen will Verteidigungsausgaben massiv erhöhen
In der Großstadt Charkiw hat eine russische Rakete ein Apartmenthaus getroffen. Nach Angaben des Gouverneurs der Region, Oleg Synehubow, kam dabei mindestens ein Mensch ums Leben. Weitere Verletzte würden behandelt, schrieb Synehubow auf Telegram. Wie auf einem Reuters-Foto u sehen war, brach ein Brand in dem Wohngebäude aus.
Infolge von russischem Beschuss sind im südukrainischen Cherson laut lokalen Behördenangaben drei Menschen getötet worden. Sechs weitere wurden verletzt, wie die Chersoner Gebietsverwaltung mitteilte. Bei den Angriffen seien unter anderen ein Krankenhaus und eine Schule getroffen worden. Die Ukraine hatte Cherson am 11. November von den russischen Streitkräften zurückerobert. Seit die russischen Streitkräfte die Stadt verlassen und sich vom Westufer des Dnipro zurückgezogen haben, beschießen sie Cherson immer wieder von der gegenüberliegenden Seite des Flusses.
Selenskyj will schnell weitere Waffenlieferungen
Die Ukraine benötigt nach Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj schnellere Waffenlieferungen und neue Waffentypen, um russischen Angriffen standhalten zu können. Insbesondere die Geschwindigkeit bei der Lieferung ausländischer Militärhilfen sei ein Schlüsselfaktor in diesem Krieg, sagte Selenskyj in einer Videobotschaft.
In Donezk in der östlichen Ukraine sei die Lage sehr schwierig angesichts der anhaltenden Attacken. Russland wolle, dass sich der Krieg hinziehe und die ukrainischen Truppen erschöpften. Es gebe ständig Versuche der Russen, die ukrainische Verteidigungslinien zu durchbrechen. Selenskyj hatte am Vortag gesagt, dass die Ukraine Langstreckenraketen benötige. Kiew wolle damit russischen Angriffen auf ukrainische Siedlungen und Zivilisten zuvorkommen.
Selenskyj spricht mit dänischer Regierungschefin
Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen ist in die Ukraine gereist. In der Region Mykolajiw im Süden des Landes kam sie mit Präsident Selenskyj zusammen. Dabei besprachen die beiden die Auswirkungen der russischen Raketen- und Drohnenangriffe. Selenskyj begrüßte Frederiksen auf einer verschneiten Straße mit Handschlag, wie ein Video zeigt, das sein Büro veröffentlichte. Selenskyj und die Ministerpräsidentin besuchten danach ein Krankenhaus und sprachen mit verwundeten Soldaten. "Es ist wichtig, dass unsere Krieger nicht nur körperlich nicht nur physisch, sondern auch psychisch zu rehabilitieren", ließ der Präsident verlauten.
Frederiksen und Selenskyj besichtigten zudem den Seehafen der Stadt, die vor dem russischen Einmarsch rund 470.000 Einwohner hatte. Dort wurden ihnen Öltanks gezeigt, die durch russische Angriffe zerstört worden waren. Auch Dänemarks Außenminister Lars Løkke Rasmussen und Verteidigungsminister Jakob Ellemann-Jensen waren in Mykolajiw zugegen. Dänemark soll beim angestrebten Wiederaufbau die Schirmherrschaft in der südukrainischen Region übernehmen. Im November konnten ukrainische Truppen die russischen Kräfte aus der Region verdrängen. Russische Truppen befinden sich aktuell etwa 30 Kilometer südlich von Mykolajiw.
Das Verteidigungsministerium in Kopenhagen hatte Anfang Januar erklärt, dass das NATO-Mitgliedsland Dänemark der Ukraine 19 französische Haubitzen-Artilleriesysteme vom Typ Caesar überreichen werde.
Frankreich und Australien liefern der Ukraine Artilleriemunition
Frankreich und Australien wollen die Ukraine mit Artilleriegranaten versorgen. Es handele sich um dringend benötigte 155-Millimeter-Munition, teilte das Außenministerium in Paris nach Beratungen von Vertretern beider Länder mit. Die für Artilleriegeschütze bestimmte Munition kann unter anderem zum Kampf gegen Panzer eingesetzt werden. Bei der Vereinbarung gehe es um mehrere Tausend Geschosse, die beide Seiten gemeinsam fertigen würden, sagte der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu. Die ersten Granaten sollen noch im laufenden Quartal geliefert werden. Sein australischer Kollege Richard Marles sprach demnach von einem Millionenprojekt und einer neuen Kooperation zwischen den Rüstungsindustrien beider Länder.
Scholz erinnert an globale Dimension des Ukraine-Kriegs
Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem chilenischen Präsidenten Gabriel Boric in Santiago de Chile daran erinnert, dass der russische Angriffskrieg "keine rein europäische Angelegenheit ist, sondern eine Herausforderung für die internationale Ordnung insgesamt". Der Krieg habe weitreichende Folgen etwa mit Blick auf die Rohstoffpreise und die Ernährungssicherheit.
Es dürfe nicht akzeptiert werden, "dass ein großes Land seinem kleineren Nachbarn mitteilt, dass es einen Teil seines Territoriums sich aneignen will", betonte Scholz. "Als Demokratien müssen wir deshalb weltweit zusammenstehen und eine Rückkehr zum Recht des Stärkeren verhindern." Er lobte in diesem Zusammenhang "Chiles sehr klare Haltung bei der Verurteilung der russischen Aggression".
Der Kanzler äußerte zudem sein Unverständnis über die anhaltende Diskussion über die von der Ukraine gewünschte Lieferung von Kampfflugzeugen. "Es ist dazu jetzt alles gesagt, auch von mir", erklärte er bei seinem Besuch in Chile. Scholz und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) lehnen die Lieferung von Kampfflugzeugen ab. SPD-Parteichefin Saskia Esken wollte sich in dieser Frage bei einem Interview hingegen nicht festlegen.
Botschafter Makeiev setzt vier Prioritäten
Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Oleskii Makeiev, hat Forderungen nach deutschen Kampfjets für sein Land relativiert. Er priorisiere die Lieferung von gepanzerten Fahrzeugen, Kampfpanzern, Luftabwehrsystemen und Artillerieeinheiten. Die Ukraine werde mit ihren deutschen Partnern weiterhin hauptsächlich darüber sprechen, sagte Makeiev der DW. "Wir kommen bei allen vier Prioritäten sehr gut voran." Eine Anfrage bezüglich Kampfjets habe die Ukraine noch nicht gestellt.
In einem offensichtlichen Seitenhieb auf seinen Vorgänger Andrij Melnyk fügte Makeiev hinzu: "Wir brauchen keine U-Boote und Kreuzer und andere Ufos aus Deutschland." Melnyk hatte kürzlich vorgeschlagen, dass Deutschland ein U-Boot in die Ukraine schicken könnte.
Allerdings bekräftigte Makeiev, dass der Westen seine Entscheidungen zur Unterstützung der Ukraine beschleunigen müsse: "Jeden Tag, an dem wir hier intern diskutieren und debattieren oder mit Partnern die Einsatzregeln aushandeln, sterben ukrainische Soldaten und Zivilisten", so der Botschafter.
Südkorea soll mehr militärische Unterstützung leisten
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat Südkorea aufgefordert, die Ukraine militärisch stärker zu unterstützen. Es bestehe "ein dringender Bedarf an mehr Munition" sagte er nach einem Treffen mit hochrangigen südkoreanischen Beamten in Seoul. Südkorea solle sein Exportverbot von Waffen in Konfliktgebiete überdenken. Auch Deutschland und Norwegen hätten ihre langjährigen Grundsätze, keine Waffen in Konfliktgebiete zu liefern, nach Russlands Angriffskrieg geändert. "Wenn wir an Freiheit, an Demokratie glauben, wenn wir nicht wollen, dass Autokratie und Tyrannei gewinnen, dann brauchen sie Waffen."
Südkorea spielt global als Waffenexporteur eine immer größere Rolle und hat kürzlich Verträge mit europäischen NATO-Mitgliedsstaaten wie Polen über die Lieferung von hunderten Panzern unterschrieben. Bislang unterstützt Südkorea die Ukraine nur humanitär. Waffenlieferungen hat Seoul mit Hinblick auf die eigenen Gesetze bislang abgelehnt.
Stoltenberg sagte, Putin kaufe aktuell Waffen von Ländern wie Nordkorea und bereite sich auf noch mehr Krieg vor. Es sei extrem wichtig, dass Putin diesen Krieg nicht gewinne. Sonst laute die Botschaft an autoritäre Führer auch in Peking, "dass man durch Gewaltanwendung bekommt, was man will".
Östliche EU-Staaten beklagen günstiges Getreide aus der Ukraine
Günstiges Getreide aus der Ukraine bereitet laut östlichen EU-Staaten den heimischen Landwirten zunehmend Probleme. Denn durch den im Zuge des russischen Angriffskriegs erleichterten Handel mit der Ukraine gelangten deutlich mehr Futter- und Lebensmittel nach Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien und in die Slowakei. Das geht aus einem gemeinsamen Papier dieser EU-Länder hervor. "Gegenwärtig mehren sich die Anzeichen dafür, dass dieser Anstieg, wenn er nicht begrenzt wird, die EU-Erzeuger im Agrarsektor in ernste Schwierigkeiten bringen kann", heißt es darin.
Besonders gravierend seien die Auswirkungen im Getreidesektor. Demnach sind zwischen Januar und November 2022 beispielsweise die Maisimporte im Vergleich zu den Vorjahren von einigen Tausend Tonnen auf mehrere Millionen Tonnen gestiegen. Über diese Kriegsfolge und mögliche Lösungen beraten die Agrarministerinnen und Agrarminister der EU-Staaten am Montag bei einem Treffen in Brüssel.
Um zu verhindern, dass große Getreidemengen aus der Ukraine wegen des Krieges für den Weltmarkt wegfallen, erleichterte die EU die Transportwege und Grenzkontrollen für Produkte aus dem Land. Wie sich aber nun herausstelle, gelangten Teile des ukrainischen Getreides nicht auf den Weltmarkt, sondern verdrängten etwa als günstiges Futtermittel heimische Produkte von nationalen Märkten, beklagen die Länder in Osteuropa. Die sechs EU-Staaten unterstreichen in ihrem Papier aber, dass sie bereit seien, die Ukraine im Agrarsektor weiter zu unterstützen - wenn dies keine negativen Auswirkungen auf die eigenen Märkte habe.
Polen kündigt deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben an
Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki hat angesichts des Kriegs im Nachbarland Ukraine eine starke Erhöhung des Verteidigungsetats angekündigt. In einem "nie dagewesenen" Schritt werde Warschau 2023 vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) "für die polnische Armee" ausgeben. Der Krieg in der Ukraine lasse Polens Bewaffnung "noch schneller" voranschreiten. Es handele sich "wahrscheinlich um die größte Erhöhung der Militärausgaben aller NATO-Staaten", fügte Morawiecki hinzu, ohne die Finanzierung der zusätzlichen Mittel zu thematisieren.
Laut NATO-Angaben hat Polen im vergangenen Jahr mehr als 2,4 Prozent seines BIP für die Verteidigung ausgegeben. Damit lag das Land innerhalb des Verteidigungsbündnisses an dritter Stelle nach Griechenland (3,76 Prozent) und den USA (3,47 Prozent), die in absoluten Zahlen aber mit 822 Milliarden US-Dollar (753 Milliarden Euro) mehr als doppelt so viel Geld für Verteidigung ausgaben wie alle anderen Bündnisstaaten zusammen.
Das an die Ukraine grenzende EU- und NATO-Land Polen rüstet massiv gegen eine Bedrohung durch Moskau auf. So orderte Warschau im vergangenen Jahr in den USA 250 Kampfpanzer vom Typ Abrams und schloss mit Südkorea ein milliardenschweres Geschäft über die Lieferung von 400 Kampfpanzern und 212 Panzerhaubitzen ab. Die polnischen Streitkräfte zählen gegenwärtig 164.000 Soldatinnen und Soldaten, darunter 36.000 Mitglieder der freiwilligen Heimatschutzverbände. In den kommenden Jahren soll die Armee auf 250.000 Berufssoldaten und 50.000 Angehörige des Heimatschutzes wachsen.
Türkei könnte nur Finnlands NATO-Beitritt zustimmen
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht Schweden, nur Finnland den Beitritt in die NATO zu erlauben. "Wir könnten Finnland eine andere Botschaft übermitteln. Schweden wird schockiert sein, wenn es unsere Antwort sieht", sagte Erdogan in einer Fernseh-Rede. Es ist das erste Mal, dass die Türkei die Bereitschaft andeutet, die finnische Kandidatur getrennt von der schwedischen zu behandeln.
Das NATO-Mitglied Türkei blockiert seit Monaten die Aufnahme der beiden Länder in das westliche Militärbündnis. Als Voraussetzung für seine Zustimmung zum schwedischen NATO-Beitrittsantrag verlangt Ankara von Stockholm unter anderem eine härtere Gangart gegen kurdische Aktivisten, die von der türkischen Regierung als "Terroristen" betrachtet werden. Finnland und Schweden hatten nach Beginn des russischen Angriffskriegs gemeinsam die Aufnahme in die Militärallianz beantragt. Für den Beitritt ist die Zustimmung aller Mitgliedsländer erforderlich.
Nordkorea dementiert Waffenlieferungen an Söldnergruppe Wagner
Nordkorea hat Vorwürfe aus den USA über Waffenlieferungen an die russische Söldnergruppe Wagner zurückgewiesen. Die Vereinigten Staaten müssten mit einem "wirklich unerwünschten Ergebnis" rechnen, wenn sie das "Gerücht" weiter verbreiteten, zitierte die staatliche Nachrichtenagentur KCNA einen hochrangigen nordkoreanischen Beamten.
Das Weiße Haus hatte vergangene Woche Fotos öffentlich gemacht, die nach Angaben des Sprechers des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, zeigen, wie russische Eisenbahnwaggons auf nordkoreanisches Gebiet fahren, dort Infanterieraketen und andere Geschosse einladen und nach Russland zurückkehren.
Die von Jewgeni Prigoschin, einem langjährigen Vertrauten des russischen Staatschefs Wladimir Putin, angeführte Gruppe Wagner ist nach US-Angaben mit rund 50.000 Kämpfern in der Ukraine im Einsatz. Moskau gehört wie Peking zu den wenigen Unterstützern Pjöngjangs.
kle/AR/qu/wa/cwo/sti (rtr, dpa, afp)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.