Ukraine aktuell: Russischer Jet fängt polnisches Flugzeug ab
7. Mai 2023Das Wichtigste in Kürze:
- Russischer Kampfjet fängt polnisches Frontex-Flugzeug ab
- Russland meldet Abwehr eines nächtlichen Drohnenangriffs auf Sewastopol
- Wagner-Söldner sollen in Bachmut mehr Munition und Waffen bekommen
- Großbritannien erwartet russische Wirtschaftskrise wegen Ukraine-Krieg
- IAEA hält Atomunfall in Kernkraftwerk für reale Gefahr
Die polnische Maschine vom Typ Let L-410 sei am Freitag auf einem Patrouillenflug für die EU-Grenzschutzbehörde Frontex unterwegs gewesen, als sie von einer russischen Suchoi Su-35 abgefangen worden sei, teilte die polnische Grenzwacht mit. Das russische Jagdflugzeug vom Typ Su-35 habe keinen Funkkontakt aufgenommen, bevor er "aggressive und gefährliche Manöver" ausgeführt habe. Es sei dreimal auf das Grenzschutzflugzeug zugeflogen, ohne den erforderlichen Sicherheitsabstand einzuhalten, und habe sich auf nur rund fünf Meter genähert, erklärte Frontex. Die Besatzung der polnischen Maschine habe durch die ausgelösten Turbulenzen vorübergehend die Kontrolle über das Turboprop-Flugzeug verloren, das in der Höhe abgesunken sei, hieß es in Warschau. Nur aufgrund ihrer hervorragenden Fähigkeiten hätten die Piloten sicher in Rumänien landen können. An Bord waren fünf Personen - die beiden Piloten und drei Grenzschutzbeamte.
Der Vorfall ereignete sich "in internationalem Luftraum über dem Schwarzen Meer", etwa 60 Kilometer östlich des rumänischen Luftraums, teilte das Verteidigungsministerium in Bukarest mit. Rumänische und spanische Flugzeuge seien daraufhin von der NATO in "Voralarm" versetzt worden.
Die Regierungen der NATO-Mitgliedsländer Polen und Rumänien sprachen von einer "Provokation" durch Russland. In den vergangenen Jahren haben sich Zwischenfälle mit Flugzeugen von Russland und NATO-Ländern gehäuft, auch schon vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Oft ereigneten sich die Vorfälle über der Ostsee, aber auch über dem Schwarzen Meer. In der Vergangenheit kam es dabei mehrmals zu brenzligen Situationen.
Nächtlicher ukrainischer Drohnenangriff auf Sewastopol abgewehrt
Das russische Militär hat nach eigenen Angaben über der annektierten ukrainischen Halbinsel Krim einen Drohnenangriff vereitelt. "Flugabwehreinheiten und Einheiten der elektronischen Kriegsführung haben einen weiteren Angriff auf die Stadt abgewehrt", erklärte der von Russland eingesetzte Gouverneur von Sewastopol, Michail Raswoschajew, auf Telegram. Die Ukraine habe mehr als zehn Drohnen auf die Stadt abgefeuert. Zwei Drohnen seien über dem Meer abgeschossen worden, eine weitere sei in einen Wald gestürzt, nachdem sie die Kontrolle verloren hatte. "Es wurde keine Infrastruktur in der Stadt beschädigt", sagte Raswoschajew. In der Hafenstadt Sewastopol ist die russische Schwarzmeerflotte stationiert. Später erklärte das Verteidigungsministerium in Moskau, die russischen Streitkräfte hätten haben nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau in der Nacht zu Sonntag 22 ukrainische Drohnen über dem Schwarzen Meer entdeckt und zerstört.
Der jüngste Vorfall ereignete sich vor dem Hintergrund sich häufender Drohnenangriffe, Sabotageakte und mutmaßlicher Anschläge auf russischem Gebiet, teilweise weit von der Ukraine entfernt. Die Aktivitäten könnten im Zusammenhang mit der erwarteten ukrainische Frühjahrsoffensive stehen. Russland bereitet sich derzeit auf die Feierlichkeiten zum Jahrestag des Sieges der Sowjetunion gegen Nazi-Deutschland am 9. Mai vor.
Wagner-Söldner sollen in Bachmut mehr Munition und Waffen bekommen
Der Chef der Wagner-Söldner, Jewgeni Prigoschin, zieht seine Einheiten wohl doch nicht aus der erbittert umkämpften ostukrainischen Stadt Bachmut ab. Ihm seien die notwendigen Waffen und Munition für eine Fortsetzung des Kampfes versprochen worden, teilte er auf Telegram mit. In der Nacht sei ihm so viel Ausrüstung zugesichert worden, wie erforderlich sei, um die Stadt einzunehmen. Zudem sei ihm Flankenschutz zugesichert worden, damit seine Einheiten nicht Gefahr liefen, eingekesselt werden.
Erst am Freitag hatte Prigoschin mit dem Abzug seiner Söldner aus Bachmut gedroht und dies mit mangelndem Nachschub seitens der Militärführung begründet. Seine Söldner würden sich deswegen am 10. Mai in Nachschublager zurückziehen und ihre Stellungen an die russische Armee übergeben müssen. Damit verschärfte er den seit langem schwelenden Streit mit der Militärführung und Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Der Rückzug wäre einen Tag nach der Militärparade in Moskau erfolgt, mit dem der Sieg der Roten Armee über Nazi-Deutschland gefeiert wird. Zwischenzeitlich hatte der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow verkündet, dass seine Kämpfer die Wagner-Positionen in Bachmut übernehmen würden.
Die Wagner-Truppe führt die für beide Kriegsseiten verlustreichen Angriffe auf Bachmut an, das für die russische Führung nach mehreren Rückschlägen ein strategisch wichtiges Ziel ist. So geht die Ukraine davon aus, dass Russland Bachmut bis zum 9. Mai einnehmen will - dem Tag der traditionellen Siegesparade. In den vergangenen Wochen wurden ukrainische Truppen im Kampf um Bachmut erheblich zurückgedrängt. Sie harren aber weiter in der Stadt aus, um dem Gegner vor der geplanten eigenen Gegenoffensive so viele Verluste wie möglich entlang der 1000 Kilometer langen Frontlinie zuzufügen.
London erwartet russische Wirtschaftskrise wegen Ukraine-Krieg
Auch wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine droht der russischen Wirtschaft nach britischer Einschätzung eine heftige Krise. Dem Land stehe die schwerste Arbeitskräfteknappheit seit Jahrzehnten bevor, teilte das Verteidigungsministerium in London mit, wobei es auch Angaben der russischen Zentralbank zitierte. "In den vergangenen drei Jahren ist die Bevölkerung Russlands Berichten zufolge wegen der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine um bis zu zwei Millionen Menschen mehr geschrumpft als erwartet", hieß es in London. Allein 2022 hätten bis zu 1,3 Millionen Menschen das Land verlassen, darunter viele junge und gut ausgebildete Menschen aus hochwertigen Bereichen wie der IT-Branche.
"Mobilmachung, eine historische hohe Auswanderung sowie eine alternde und sinkende Bevölkerung begrenzen das Angebot an Arbeitskräften", erklärte das Ministerium. "Dies wird wahrscheinlich zu einer Reduzierung des potenziellen Wachstums der russischen Wirtschaft führen und die Inflation anheizen." Das Verteidigungsministerium in London veröffentlicht seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Moskau wirft London eine Desinformationskampagne vor.
IAEA-Chef Grossi "extrem besorgt" wegen Saporischschja
Die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) ist angesichts der angespannten Lage um das frontnahe ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja alarmiert. Die Situation werde immer unberechenbarer, das Gefahrenrisiko in dem russisch besetzten AKW steige, erklärte IAEA-Chef Rafael Grossi. "Ich bin extrem besorgt über die sehr realen Sicherheitsrisiken", warnte er in einem Lagebericht. "Wir müssen jetzt handeln, um einen drohenden schweren Atomunfall zu verhindern."
Am Freitag hatte der von Moskau eingesetzte Verwaltungschef der Region Saporischschja die Teil-Evakuierung von Russland besetzter Orte angeordnet, darunter auch Enerhodar, wo der Großteil des AKW-Personals lebt. Betroffen seien Familien mit Kindern, ältere Menschen, Behinderte und Patienten von Krankenhäusern. Begründet wurde dies damit, dass es in der Region in den vergangenen Tagen vermehrt ukrainische Bombenangriffe gegeben habe.
Grossi forderte erneut eine Vereinbarung zwischen Russland und der Ukraine, um das Atomkraftwerk zu schützen. Es wird seit März 2022 von der russischen Armee kontrolliert. Das AKW wurde bereits wiederholt beschossen, was Angst vor einer atomaren Katastrophe schürte.
Luftalarm in großen Teilen der Ukraine
Die ukrainischen Behörden haben am Samstagabend Luftalarm für etwa zwei Drittel des Landes ausgelöst. Die Warnungen erstrecken sich von der Hauptstadt Kiew über zahlreiche Regionen der Ukraine.
Die russische Armee wehrte nach eigenen Angaben eine ukrainische Rakete über der seit 2014 annektierten Halbinsel Krim ab. "Die Luftabwehr hat eine ballistische Rakete über der Republik Krim abgeschossen", erklärte der von Moskau eingesetzte Gouverneur Sergej Aksjonow. Die Rakete sei mit dem ukrainischen Hrim-2-System abgefeuert worden. Es gebe keine Schäden oder Opfer, fügte Aksjonow hinzu.
Moskau wirft Kiew "Terroranschlag" vor
Russland hat die Ukraine für den Anschlag auf den kremlnahen Schriftsteller Sachar Prilepin verantwortlich gemacht. Die Ermittlungen seien zwar noch gar nicht abgeschlossen, erklärte das Außenministerium in Moskau. "Doch schon jetzt geht aus den Materialien (...) klar hervor, dass von einem erneuten Terroranschlag die Rede ist, der vom Kiewer Regime organisiert und ausgeführt wurde und hinter dem westliche Kuratoren stehen."
Ein Vertreter des ukrainischen Geheimdienstes SBU sagte auf Anfrage der Internetzeitung Ukrajinska Prawda, man werde eine Beteiligung an solchen Attentaten "weder bestätigen noch dementieren".
Der 47 Jahre alte Prilepin war am Samstagvormittag schwer verletzt worden, als ein an seinem Auto angebrachter Sprengsatz detonierte. Sein Fahrer starb. Kurz nach der Explosion, die sich in der russischen Region Nischni Nowgorod östlich von Moskau ereignete, nahm die Polizei einen 1993 geborenen Mann als Tatverdächtigen fest. Dieser habe gestanden, auf Anweisung der Ukraine gehandelt zu haben, hieß es.
Prilepin ist ein überzeugter Anhänger des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Er hat auch schon dort gekämpft. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Kriegsunterstützer in Russland Ziel eines Attentats wurde: Erst vor einigen Wochen starb der prominente Militärblogger Wladlen Tatarski durch eine Explosion in einem St. Petersburger Café. Im vergangenen August kam zudem Darja Dugina - Tochter des rechtsnationalistischen Ideologen Alexander Dugin - nahe Moskau durch eine Autobombe ums Leben.
Selenskyj gibt Kriegsgefangenen Versprechen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Befreiung aller von Russland gefangen genommener Landsleute als Ziel formuliert. "Wir müssen und wir werden alle unsere Leute aus russischer Gefangenschaft zurückholen", sagte Selenskyj in einer neuen Videoansprache. Wie viele Ukrainer und wie viele Russen mehr als 14 Monate nach Kriegsbeginn auf der jeweils anderen Seite festgehalten werden, ist unklar.
Wenige Stunden vor Selenskyjs Ansprache war ein weiterer Gefangenenaustausch zwischen den Kriegsparteien bekannt geworden. Übereinstimmenden Angaben zufolge kamen dabei drei Piloten der russischen Luftwaffe sowie 45 ukrainische Kämpfer frei. Es soll sich um Angehörige des Asow-Regiments handeln, die an der Schlacht um Mariupol teilgenommen hatten.
Sechs Ukrainer beim Minenräumen getötet
Bei Minenräumarbeiten in der südlichen Region Cherson sind nach ukrainischen Angaben mehrere Menschen durch russischen Beschuss umgekommen. "Sechs unserer Spezialisten wurden getötet", teilte der staatliche ukrainische Rettungsdienst über den Onlinedienst Telegram mit.
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte Ende September die Annexion von Cherson und drei weiteren ukrainischen Regionen verkündet. Im November eroberten ukrainische Truppen die Regionalhauptstadt zurück. Damals betonte Putin, Cherson bleibe trotz des russischen Truppenabzugs Teil des russischen Staatsgebiets.
sti/fab/wa/fw (dpa, afp, rtr)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.