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Konflikte

Aktuell: Russische Armee setzt Angriffe fort

12. März 2022

In vielen ukrainischen Städten waren Luftschutzsirenen zu hören. Für Zivilisten ist es oft nicht möglich, die umkämpften Gebiete zu verlassen. Sieben Menschen sterben in der Nähe von Kiew auf der Flucht. Ein Überblick.

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Ukraine | Krieg | Kiew
Ein durch Raketenbeschuss zerstörtes Gebäude in den Randbezirken von KiewBild: Dimitar Dilkoff/AFP/Getty Images

Das Wichtigste in Kürze:

  • Offensive rund um Kiew, Angriffe auch in anderen Städten
  • Scholz und Macron telefonieren mit Putin
  • Zivilisten sitzen weiter in Mariupol fest
  • Ukrainischer Präsident wendet sich an russische Mütter
  • Weitere US-Sanktionen gegen Russen


Auch am 17. Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine dauern die Kampfhandlungen unvermindert an. In Wassylkiw im Südwesten von Kiew wurde nach örtlichen Behördenangaben ein ukrainischer Luftwaffenstützpunkt durch russischen Raketenbeschuss zerstört. Auch ein Munitionslager sei getroffen worden, meldet der ukrainische Ableger der russischen Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf die Bürgermeisterin der Stadt.

Zuvor hatte das Verteidigungsministerium in Moskau mitgeteilt, die Luftwaffenbasis in Wassylkiw und das nachrichtendienstliche Aufklärungszentrum der ukrainischen Streitkräfte in Browary seien außer Gefecht gesetzt worden. Die Angaben beider Kriegsparteien lassen sich derzeit nicht überprüfen.

Tote bei russischem Angriff auf Fluchtkorridor

Die zwischen der Ukraine und Russland vereinbarten Fluchtkorridore scheinen weiterhin nicht zu funktionieren. Bei der Evakuierung eines Dorfes östlich von Kiew sind nach Darstellung des ukrainischen Militärgeheimdienstes sieben Bewohner getötet worden. Die Dorfbewohner hätten Peremoha verlassen wollen, als es zu einem Beschuss gekommen sei, teilte der Geheimdienst mit. Die Ukraine machte russische Truppen dafür verantwortlich. Überprüfen lassen sich auch diese Angaben nicht.

Scholz und Macron unternehmen einen neuen Vermittlungsversuch

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron haben den russischen Präsidenten Wladimir Putin in einer Telefonschalte zu einem sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine aufgefordert. Außerdem drangen beide auf einen Einstieg in eine diplomatische Lösung des Konflikts. Das teilte der Sprecher der Bundesregierung nach dem Telefonat mit. 

Das neuerliche Dreiergespräch sei Teil der andauernden internationalen Bemühungen, den Krieg in der Ukraine zu beenden, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Über weitere Inhalte des 75-minütigen Telefonats am Samstagmittag sei Stillschweigen vereinbart worden. 

Macron weist Putins Vorwürfe als Lügen zurück

Dennoch wurden einige Details bekannt. Laut Elysée-Palast forderten Macron und Scholz den russischen Präsidenten auch auf, der Belagerung der ukrainischen Hafenstadt Mariupol ein Ende zu machen. "Die Situation ist sehr schwierig und menschlich inakzeptabel", hieß es im Elysée-Palast. Das Telefonat mit Putin sei "sehr offen und schwierig" gewesen.

Der Kreml teilte mit, Putin habe Scholz und Macron über "die wahre Sachlage" in der Ukraine informiert. Demnach warf Putin der ukrainischen Armee "außergerichtliche Hinrichtungen von Dissidenten", "Geiselnahmen und die Nutzung von Zivilisten als Schutzschilde" vor. Scholz und Macron rief Putin demnach dazu auf, auf die Regierung in Kiew einzuwirken, um "diese kriminellen Aktivitäten" zu stoppen.

Macron warf Putin daraufhin nach Angaben des Präsidialamtes in Paris die Verbreitung von "Lügen" vor. Zugleich forderte Macron ein Ende der "Übergriffe" der russischen Armee. Deren schlimmste "Verstöße" könnten als "Kriegsverbrechen" eingestuft werden, warnte er demnach. Sowohl Scholz als auch Macron telefonierten zuvor mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und informierten sich über dessen Einschätzung der aktuellen Lage.

Selenskyi spricht von "kolossalen" Verlusten der russischen Armee

Die Ukraine, die sich bislang bei Angaben zu Verlusten in den Reihen ihrer Streitkräfte bedeckt gehalten hat, beziffert die Zahl der im bisherigen Kriegsverlauf umgekommenen eigenen Soldaten mit rund 1300. Das sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj vor internationalen Journalisten. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen, gleiches gilt für ukrainische Angaben zur Zahl angeblich getöteter russischer Soldaten und dem Verlust von russischem Kriegsgerät sowie die entsprechenden Angaben hierzu aus Moskau.

Ukraine Wassylkiw Air Base
In Wassylkiw, etwa 30 Kilometer südwestlich von Kiew, wurde unter anderem ein Munitionsdepot getroffen, mutmaßlich durch russische ArtillerieBild: Thomas Peter/REUTERS

Die russischen Streitkräfte hätten erhebliche Verluste erlitten, sagte Selenskyj in einer Videobotschaft: "Dies ist der größte Schlag für die russische Armee seit Jahrzehnten." Die Verluste seien "kolossal". Die meisten Armeen auf der Welt besäßen nicht das, was die russischen Truppen bereits jetzt in ihrer Invasion verloren hätten. Nach ukrainischen Angaben wurden bisher mehr als 360 russische Panzer sowie mehr als 1200 weitere gepanzerte Fahrzeuge zerstört, außerdem etwa 60 Kampfflugzeuge und 80 Hubschrauber. Die russische Armee habe mehr als 12.000 Soldaten verloren.

Ukraine | Krieg | Irpin
Ein ukrainischer Soldat in Irpin (nördlich von Kiew) neben einem zerstörten russischen MilitärtransporterBild: Sergei Supinsky/AFP/Getty Images

Auch in westlichen Geheimdienstkreisen ist die Rede von erheblichen russischen Verlusten. Die russische Armee selbst hält sich bedeckt. Russland hatte bei seiner bisher einzigen Angabe zur Zahl der Opfer in den eigenen Reihen am 2. März eine Zahl von knapp 500 getöteten Soldaten genannt. Das russische Verteidigungsministerium spricht an diesem Samstag, dem 17. Tag des Krieges, wenig konkret von Angriffen auf die Ukraine auf "breiter Front".

Russische Offensive nahe Kiew geht weiter

Der ukrainische Generalstab warnte, die russische Armee versuche, die Verteidigung in den Regionen nahe Kiew auszuschalten, um die Hauptstadt zu "blockieren". Es gebe russische Offensiven an der nördlichen Stadtgrenze bei Sasymja und in südlicher Richtung bei Wyschenky, heißt es in einem in der Nacht zu Samstag veröffentlichten Bericht. Diese Offensiven seien teils erfolgreich.

Infografik Karte Ukraine mit größeren Städten

Auch aus anderen Regionen des Landes werden Angriffe gemeldet. Nach ukrainischen Angaben beschoss die russische Luftwaffe die Städte Dnipro, Luzk und Iwano-Frankiwsk. Entsprechende Informationen liegen auch dem britischen Verteidigungsministerium vor. Demnach setzten Kampfflugzeuge sogenannte ungelenkte Munition in Luzk und Iwano-Frankiwsk ein. Die beiden Städte liegen nahe der Metropole Lwiw im äußersten Westen der Ukraine, also unweit der polnischen Grenze.

Kliniken in Mykolajiw angegriffen

In Mykolajiw in der Südukraine attackierte die russische Armee auch mehrere Krankenhäuser. Wie eine Reporterin der Nachrichtenagentur AFP berichtete, wurde die Hafenstadt in der Nacht zu Samstag nahezu ununterbrochen beschossen. Getroffen wurden unter anderem eine Tagesklinik für Krebspatienten und eine Augenklinik. Die Bewohner von Mykolajiw, das rund 100 Kilometer von Odessa entfernt ist, können größtenteils ihre Wohnungen nicht mehr heizen, viele versuchen die Stadt zu verlassen.

Die von russischer Seite wiederholt angekündigten "humanitären Korridore" kommen allerdings Regionen nicht zustande, da kein sicheres Geleit möglich ist. So erklärte die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk, der Beschuss von Mariupol durch russische Truppen am Freitag habe erneut verhindert, Bewohner der Hafenstadt in Sicherheit zu bringen.

Das ukrainische Außenministerium teilte mit, dort sei auch eine Moschee getroffen worden, in der mehr als 80 Kinder und Erwachsene - unter anderem aus der Türkei - Zuflucht gesucht hätten. Angaben zu möglichen Opfern liegen bisher nicht vor. Ukrainischen Angaben zufolge sollen in der strategisch wichtigen Metropole am Asowschen Meer seit Ausbruch der Kämpfe mehr als 1500 Zivilisten getötet worden sein. 

Ukraine | Wohnhaus in Mariupol unter Beschuss durch einen russischen Panzer
"Von russischen Truppen eingekesselt": Wohnhaus in Mariupol unter BeschussBild: Evgeniy Maloletka/AP/picture alliance

Appell an Soldatenmütter

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj richtete einen Appell an die Mütter russischer Soldaten. "Schicken Sie Ihre Kinder nicht in den Krieg in einem fremden Land", sagte Selenskyj in seinem aktuellen Internetvideo. Seine Botschaft richte sich vor allem an die Mütter von Wehrpflichtigen.

"Überprüfen Sie, wo Ihr Sohn ist. Und wenn Sie auch nur den geringsten Verdacht haben, dass Ihr Sohn in den Krieg gegen die Ukraine geschickt werden könnte, handeln Sie sofort", um zu verhindern, dass er getötet oder gefangen genommen wird, sagte der ukrainische Präsident. "Die Ukraine hat diesen schrecklichen Krieg nie gewollt", fügte er hinzu. Sein Land werde sich aber gegen den russischen Angriff verteidigen.

Selenskyj verlangte zudem die Freilassung des Bürgermeisters der von russischen Truppen besetzten Stadt Melitopol. Druck auf Bürgermeister oder deren "physische Eliminierung" werde Russland nicht dabei helfen, ukrainische Städte zu übernehmen. Ein derartiges Vorgehen sei ein "Zeichen der Schwäche". Kiew hatte am Freitag erklärt, der Bürgermeister der südostukrainischen Großstadt, Iwan Fedorow, sei entführt worden. Auch dies ließ sich nicht verifizieren. In einem Videofragment war zu sehen, wie Vermummte einen Mann aus einem zentralen Gebäude mitnehmen. 

Sanktionen ausgeweitet

Die USA erhöhen derweil den Druck auf das Umfeld des russischen Präsidenten. Die Regierung in Washington beschloss weitere Sanktionen gegen russische Oligarchen und Mitglieder des engeren Kreises um Wladimir Putin. Dazu gehörten zehn Mitglieder des Vorstands der VTB-Bank, zwölf Abgeordnete der Duma und Mitglieder der Familie von Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, teilte das US-Finanzministerium mit.

"Das Finanzministerium wird weiterhin russische Funktionäre dafür zur Rechenschaft ziehen, dass sie Putins ungerechtfertigten und grundlosen Krieg unterstützt haben", erklärte Ressortchefin Janet Yellen. Ihr Vermögen in den USA werde eingefroren und ihnen würden jegliche Geschäfte mit US-Bürgern und -Organisationen verboten.

Dmitri Peskow
Kreml-Sprecher Peskow: Nun auch Familienmitglieder auf der US-SanktionslisteBild: Sergey Gunee/Sputnik/REUTERS

Italienische Behörden setzten unterdessen eine weitere Megajacht fest, die einem russischen Milliardär zugerechnet wird. Die "Sailing Yacht A" liegt im Hafen von Triest. Sie gilt als größte Segeljacht der Welt. Das von der deutschen Werft Nobiskrug gebaute Schiff wird auf einen Wert von rund 530 Millionen Euro geschätzt. Es gehört laut Medienberichten dem russischen Kohlemilliardär Andrej Melnitschenko, der nach Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine auf eine EU-Sanktionsliste kam. Die italienische Finanzpolizei hatte bereits vergangene Woche eine mutmaßliche russische Oligarchenjacht festgesetzt.

Deutsche Bank und Commerzbank bewegen sich

Nach heftiger Kritik lässt nun auch die Deutsche Bank wegen des Ukraine-Kriegs ihr Russland-Geschäft auslaufen. Die Deutsche Bank habe ihr Engagement und ihre Präsenz in Russland seit 2014 substanziell verkleinert, teilte das Geldhaus mit. "Wie einige unserer internationalen Wettbewerber sind wir dabei, unser verbleibendes Geschäft in Übereinstimmung mit den gesetzlichen und regulatorischen Vorgaben herunterzufahren". Gleichzeitig helfe das Finanzinstitut seinen bestehenden nichtrussischen, internationalen Kunden dabei, ihren Geschäftsbetrieb im Land zu verringern. "Wir machen in Russland kein Neugeschäft mehr", fügte die Bank hinzu.

Deutschland | Deutsche-Bank-Zentrale in Frankfurt am Main
Deutsche Bank in Frankfurt am Main: Änderung des Geschäftsgebarens nach heftiger KritikBild: Jan Huebner/IMAGO

Die Commerzbank teilte kurz darauf ebenfalls mit, ihr Neugeschäft in Russland zu stoppen. "Wir haben das Neugeschäft in Russland eingestellt, nur bestehende Transaktionen wickeln wir noch ab", teilte eine Sprecherin mit.

Die Deutsche Bank war vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs in die Kritik geraten. Der amerikanische Investor Bill Browder, der sich seit Jahren für die Aufdeckung von Korruption in Russland einsetzt, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, das Verbleiben der Deutschen Bank in Russland stehe im Widerspruch zur internationalen Geschäftswelt und werde zu Gegenreaktionen, Ansehensverlust und geschäftlichen Belastungen im Westen führen.

Die Deutsche Bank hatte ihr Engagement in Russland zuletzt als sehr begrenzt bezeichnet. In einer früheren Erklärung hatte das Kreditinstitut ihr Bruttokreditengagement in Russland auf 1,4 Milliarden Euro beziffert. Die Bank betreibt zudem ein Technologiezentrum in Russland, in dem 1500 Computerspezialisten beschäftigt sind.

Berlin plant Luftbrücke nach Moldau

Die Bundesregierung will ukrainische Geflüchtete aus dem Kriegs-Anrainerland Moldau direkt nach Deutschland bringen. In einem ersten Schritt werde Deutschland 2500 Geflüchtete aufnehmen, die in der kleinen Republik Moldau Schutz gesucht haben, sagte Außenministerin Annalena Baerbock bei einem Besuch in der Hauptstadt Chisinau. Sie fügte hinzu: "Es ist klar, dass dies nur ein Anfang sein kann."

Baerbock sprach sich für die Errichtung einer internationalen Luftbrücke aus, um Geflüchtete aus den Nachbarländern der Ukraine auszufliegen. Dabei gehe es nicht nur um die Verteilung der Flüchtlinge auf EU-Staaten. Die Geflohenen könnten "zum Beispiel auch über den Atlantik" ausgeflogen werden. Entsprechende Vorbereitungen seien angelaufen.

Baerbock rief die internationale Gemeinschaft zur stärkeren Unterstützung der ukrainischen Nachbarländer beim Umgang mit den Kriegs-Flüchtlingen auf. Dies gelte besonders für Moldau, sagte die Grünen-Politikerin. Seit der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar kamen nach offiziellen Angaben fast 300.000 Flüchtlinge über die moldauische Grenze. Mehr als 100.000 von ihnen befinden sich noch in der ehemaligen Sowjetrepublik. Diese hat insgesamt nur etwa 2,5 Millionen Einwohner. Am Grenzübergang Palanca kommen derzeit täglich nach Angaben eines Grenzbeamten 4000 bis 5000 Menschen an, die vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine fliehen - zumeist Frauen und Kinder.

qu/kle/jj/ehl/AR/ack (dpa, rtr, afp)