Putin demonstriert: Alles unter Kontrolle
29. Juni 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- Putins Besuch in Dagestan und was er vermittelt
- Weitere EU-Hilfen nach Staudamm-Katastrophe
- Pistorius betont enge Kooperation mit den USA
- Selenskyj meldet eine Festnahme nach Kramatorsk-Anschlag
In Russland sind Aufnahmen veröffentlicht worden, die offenbar den russischen Präsidenten Wladimir Putin bei einem Bad in der Menge zeigen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nannte die Aufnahmen am Donnerstag "ein unglaubliches Zeichen der Unterstützung" der Bevölkerung nach dem abgebrochenen Wagner-Aufstand. Die Echtheit der Video-Aufnahmen konnte allerdings nicht überprüft werden.
Dass der Kremlchef sich in eine Menschenmenge begibt, ist ungewöhnlich - in Moskau hält Putin selbst bei politischen Treffen meist Abstand. Putin unterliege zwar auf Empfehlung von Spezialisten besonderen Hygiene-Regeln, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag nach Angaben der Staatsagentur Tass. In Derbent aber sei "die ganze Stadt gekommen, um den Präsidenten zu treffen". Die Stadt Derbent liegt am südlichen Rand der russischen Teilrepublik Dagestan an der Küste des Kaspischen Meeres. Putin sei fest entschlossen gewesen, die Menschen nicht abzuweisen.
EU bietet Ukraine nach Staudamm-Zerstörung weitere Hilfe an
Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind nach der Sprengung des Kachowka-Staudamms bereit, zusätzlich zu der bereits laufenden Katastrophenschutzhilfe Unterstützung zu leisten. Das beschlossen die Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel in Brüssel. Die Staudamm-Zerstörung habe verheerende humanitäre, ökologische, landwirtschaftliche und wirtschaftliche Folgen und bedrohe auch die Sicherheit des Atomkraftwerks Saporischschja.
Der Staudamm in der von russischen Truppen besetzten Stadt Nowa Kachowka war am 6. Juni gebrochen. Daraufhin strömten riesige Wassermassen aus dem angrenzenden Stausee aus. Viele Orte wurden überschwemmt. Die Ukraine, die sich seit 16 Monaten gegen russische Angreifer verteidigt, ist überzeugt, dass Russland das Bauwerk absichtlich gesprengt hat. Auch viele internationale Experten halten das für wahrscheinlich. Moskau dementiert den Vorwurf.
Schwedische Aktivistin Greta Thunberg in Kiew
Die schwedische Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg ist mit einer internationalen Arbeitsgruppe in die Ukraine gereist. Dort will die Gruppe die Umweltschäden ermitteln, die durch den russischen Angriffskrieg verursacht wurden. "Wir brauchen Ihre professionelle Hilfe", sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj, der die Gruppe in Kiew empfing. Er wies vor allem auf die schlimmen Verwüstungen im südlichen Gebiet Cherson hin, die die Zerstörung des Kachowka-Staudamms und das folgende Hochwasser seit Anfang Juni angerichtet haben.
"Ich denke nicht, dass die Reaktion der Welt auf diesen Ökozid ausreichend war", sagte Thunberg. Es gebe "einfach keine Worte, um diese Brutalität zu beschreiben". Selenskyj berichtete zudem von Problemen bei der Trinkwasserversorgung in Cherson und im Gebiet Mykolajiw. Geschädigt seien zudem der Agrarsektor und die biologische Vielfalt der Region.
Pistorius betont enge Abstimmung mit USA
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat bei seinem Antrittsbesuch in den USA die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Berlin und Washington bei der Unterstützung der Ukraine hervorgehoben. Deutschland und die USA hätten bei dem Thema einen "sehr engen Austausch und sehr enge Beziehungen", sagte Pistorius während eines Treffens mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin im Pentagon in Washington. "Wir haben viel erreicht, um die Ukraine zu unterstützen." Das sei wichtig gewesen und werde "leider weiterhin wichtig sein", sagte Pistorius auf Englisch weiter.
Der Verteidigungsminister verwies auch auf das in Berlin kürzlich beschlossene neue Unterstützungspaket für Kiew im Umfang von 2,7 Milliarden Euro. Deutschland sei damit inzwischen der zweitgrößte Geber für die Ukraine nach den USA. Er würdigte zudem, die USA seien "unser wichtigster Verbündeter in der NATO".
Außenminister Kuleba dringt auf NATO-Beitritt
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba dringt derweil erneut auf einen baldigen Beitritt zum westlichen Verteidigungsbündnis. Nach einem Telefonat mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte Kuleba im Kurznachrichtendienst Twitter, nun sei der Moment für Klarheit hinsichtlich eines NATO-Beitritts gekommen. Sein Land arbeite aktiv daran, die NATO-Partner davon zu überzeugen.
Zum NATO-Gipfel am 11. und 12. Juli in der litauischen Hauptstadt Vilnius ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zumindest schon einmal eingeladen worden. Während Polen und die Baltenstaaten einen baldigen Beitritt der Ukraine begrüßen würden, haben Brüsseler Diplomaten zufolge vor allem die USA und Deutschland Vorbehalte gegen eine rasche Aufnahme ins Bündnis.
Festnahme nach Kramatorsk-Anschlag
Nach dem russischen Raketenangriff auf die ostukrainische Stadt Kramatorsk ist nach den Worten von Präsident Selenskyj ein mutmaßlicher Hintermann festgenommen worden. "Heute hat der ukrainische Geheimdienst zusammen mit Spezialeinheiten der Polizei die Person festgenommen, die den Terrorakt koordiniert hat", sagte Selenskyj in seiner allabendlichen Videoansprache. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft soll der Verdächtige auf dem Parkplatz des von Raketen getroffenen Restaurants Filmaufnahmen gemacht und sie russischen Spezialkräften zur Verfügung gestellt haben. Auf der Aufnahme sollen demnach Militärfahrzeuge zu sehen sein.
Bei dem Angriff auf Kramatorsk im Donezker Gebiet war am Dienstag eine gut besuchte Pizzeria getroffen worden. Dabei wurden zwölf Menschen getötet und mehr als 60 verletzt. Unter den Toten sind ukrainischen Berichten zufolge auch drei Kinder. Nach Angaben des Zivilschutzes wurden die Bergungsarbeiten inzwischen eingestellt. Die Behörde veröffentlichte auch ein Video, auf dem die Arbeiten sowie Drohnenaufnahmen vom Ausmaß der Zerstörung zu sehen waren.
Langsamer Vormarsch der ukrainischen Truppen
Die ukrainische Armee hat nach eigenen Angaben den russischen Gegner an mehreren Frontabschnitten um über einen Kilometer zurückgedrängt. Insbesondere im Umland der russisch kontrollierten Stadt Bachmut im ostukrainischen Gebiet Donezk liege die Initiative derzeit auf ukrainischer Seite, teilte Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar bei Telegram mit.
Die Ukrainer setzten sich demnach derzeit auf neu errichteten Positionen fest. "Der Feind zieht seine Reserven heran und klammert sich an Bachmut mit allen seinen Kräften", unterstrich sie. Die Angaben der Kriegsparteien lassen sich nicht unmittelbar unabhängig überprüfen. Die Stadt Bachmut war von den Russen im Mai unter hohen Verlusten nach monatelangen schweren Kämpfen erobert worden.
Kolumbien kündigt Protestnote an Moskau an
Kolumbiens Präsident Gustavo Petro hat nach dem russischen Raketenangriff auf Kramatorsk eine offizielle Protestnote seines Landes an Russland angekündigt. Russland habe "drei wehrlose kolumbianische Zivilisten angegriffen", schrieb Petro im Onlinedienst Twitter. Damit habe es gegen die international verbindlichen Regeln im Krieg verstoßen.
Unter den Verletzten von Kramatorsk sind drei kolumbianische Prominente - der populäre Autor Héctor Abad, der Politiker Sergio Jaramillo und die Journalistin Catalina Gómez. Sie hatten sich mit der ukrainischen Schriftstellerin Victoria Amelima in dem Restaurant zum Essen getroffen.
Die 37-jährige Amelima, deren Werke unter anderem ins Deutsche und Englische übersetzt wurden, schwebe nach einer Kopfverletzung in Lebensgefahr, hieß es.
Polen kauft Patriot-Luftabwehrsysteme
Polen kauft von den USA nach Angaben des Pentagons moderne US-Luftabwehrsysteme vom Typ Patriot für bis zu 15 Milliarden Dollar (13,7 Milliarden Euro). Die für Rüstungsexporte zuständige US-Behörde DSCA teilte mit, das Geschäft umfasse bis zu 48 Raketenwerfer und bis zu 644 Raketen sowie Radar und Kontrollkomponenten des Systems. Das US-Außenministerium, das die Aufsicht über Rüstungsexportverträge hat, habe das Geschäft gebilligt.
Die Patriots sollen zur Abwehr von Hochgeschwindigkeitsraketen und Flugzeugen eingesetzt werden. Osteuropäische NATO-Mitglieder wie Polen bemühen sich seit der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 darum, ihre Verteidigungsfähigkeit zu verstärken.
Warschau plant wegen Wagner-Soldaten Grenzverstärkung
Auch auf die geplante Verlegung russischer Wagner-Söldner ins Nachbarland Belarus will Polen reagieren und seine Ostgrenze noch stärker sichern. Vorgesehen sei sowohl eine Aufstockung der dort stationierten uniformierten Kräfte als auch eine Erhöhung der Anzahl "verschiedener Arten von Hindernissen und Befestigungen zum Schutz unserer Grenze im Falle eines Angriffs", sagte Vize-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski nach der Sondersitzung eines Komitees der Regierung für Sicherheits- und Verteidigungsfragen. Nach Angaben Kaczynskis hat Polen Erkenntnisse, wonach bis zu 8000 Wagner-Kämpfer in Belarus unterkommen könnten. Polen hat eine 418 Kilometer lange Grenze zu dem Moskau-freundlichen Nachbarstaat.
24.000 ukrainische Soldaten in der EU ausgebildet
In Staaten der Europäischen Union haben bislang 24.000 ukrainische Soldaten eine westliche Kampfausbildung erhalten. Das geht aus einer Mitteilung des Verteidigungsministeriums in Kiew hervor. Tausende weitere Ukrainer sind demnach in den USA, Kanada, Großbritannien und Norwegen auf Kampfeinsätze vorbereitet worden. Mit der Ausbildung an westlichen Waffensystemen und in moderner Taktik soll die ukrainische Armee befähigt werden, die russischen Besatzer vom eigenen Staatsgebiet zu vertreiben.
Tichanowskaja: Wagner-Chef Prigoschin in Belarus nicht sicher
Die im Exil lebende belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja glaubt nicht, dass Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin nach seinem gescheiterten Aufstand in Russland nun eine sichere Zuflucht in ihrer Heimat gefunden hat. Prigoschin habe Kremlchef Wladimir Putin "gedemütigt", und dieser habe anschließend klargestellt, dass er Verrätern nicht vergebe, sagte Tichanowskaja der Deutschen Welle. Wenn Putin dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko die Order gebe, Prigoschin loszuwerden, dann werde er dies tun.
Die Präsenz Prigoschins in Belarus stufte Tichanowskaja als Sicherheitsrisiko für ihr Land ein, ebenso wie die Stationierung russischer Atomwaffen in Belarus. Dies sollte dem Westen Sorgen bereiten und breiter debattiert werden, sagte sie.
Dem Chef der russischen Privatarmee Wagner war nach seiner gescheiterten Revolte vom Freitag und Samstag zugestanden worden, straffrei nach Belarus zu gehen. Der belarussische Staatschef hatte nach eigenen Angaben als Unterhändler die Wagner-Meuterei gegen die russische Militär- und Staatsführung gestoppt.
Lawrow: Scholz und Macron nicht am Dialog interessiert
Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat Deutschland und Frankreich vorgeworfen, nicht ernsthaft an einem Dialog mit Moskau über die Ukraine interessiert zu sein. Der Westen habe bisher "überhaupt keine ernsthaften Vorschläge" gemacht, sagte Lawrow laut der Staatsagentur Tass im russischen Fernsehen.
Seit Monaten schon kündigten Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an, Präsident Wladimir Putin anzurufen, sagte Lawrow. "Aber wenn du anrufen willst, ruf einfach an - warum das am Mikrofon verkünden?" Zugleich betonte der russische Außenamtschef, Moskau werde die Ziele der "militärischen Spezialoperation" in der Ukraine nicht aufgeben. Mit diesem Begriff umschreibt die russische Führung nach wie vor ihren seit 16 Monaten andauernden Angriffskrieg gegen das Nachbarland.
Mehrheit der Russen soll Ukraine-Einsatz befürworten
Mit Vehemenz tritt die Führung in Moskau zudem einer Umfrage entgegen, die auf eine abgeschwächte Unterstützung der Bevölkerung für den Krieg gegen die Ukraine hinweist. "Die Daten, die uns vorliegen, zeigen etwas ganz anderes - eine überwiegende Unterstützung für die spezielle Militäroperation und für den Präsidenten", sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow. Der Kreml-Sprecher antwortete damit auf einer Pressekonferenz auf eine Frage zu einer Umfrage, die nahelegen soll, dass die russische Bevölkerung zunehmend Verhandlungen zur Beendigung des Krieges befürwortet.
Peskow war zudem bemüht, eine Rückkehr zur Normalität nach dem gescheiterten Söldner-Aufstand darzustellen. Präsident Putin werde am Donnerstag eine Ausstellung besuchen und auf einem Forum sprechen, teilte der Sprecher mit.
se/rb/djo/sti (dpa, rtr, afp, ap)
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