Aktuell: Macron plädiert für Garantien an Russland
3. Dezember 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Frankreichs Präsident wirbt für eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa
- G7-Gruppe und Australien schließen sich Ölpreisdeckel an
- Spanien liefert Flugabwehrraketen an die Ukraine
- Estland kauft Mehrfachraketenwerfer in den USA
- Ukrainische Polizei vereitelt Diebstahl von Banksy-Werk
Der Westen muss nach Ansicht des französischen Präsidenten Emmanuel Macron bei Friedensverhandlungen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs auch auf Sicherheitsbedürfnisse Russlands eingehen. Europa müsse eine neue Sicherheitsarchitektur vorbereiten, sagte Macron, der sich zu einem Staatsbesuch in den USA aufhält, in einem Interview des französischen Fernsehens. Er bezog sich dabei auf wiederholte Kritik des russischen Staatschefs Wladimir Putin an den geplanten NATO-Erweiterungen um Schweden und Finnland.
"Einer der wesentlichen Punkte, auf die wir eingehen müssen, ist - wie Präsident Putin immer gesagt hat - die Furcht, dass die NATO an die Türen Russlands heranrückt, und die Stationierung von Waffen, die Russland bedrohen könnten", sagte Macron. Dieses Thema werde Teil der Gespräche für einen Frieden sein müssen. "Deswegen müssen wir ausarbeiten, wozu wir bereit sind, wie wir unsere Partner und Mitgliedsstaaten schützen, und wie wir Russland Garantien geben, sobald Moskau an den Verhandlungstisch zurückkehrt", erklärte Macron.
Russland und die USA signalisierten in dieser Woche ihre Bereitschaft zu Gesprächen. US-Präsident Joe Biden machte jedoch zur Bedingung, dass Putin den Krieg beenden wolle. Die Ukraine betonte mehrfach, Verhandlungen seien erst möglich, wenn Russland sich vollständig aus dem Land zurückziehe.
G7 schließt sich dem Ölpreisdeckel an
Die sieben führenden Industriestaaten des Westens (G7) und Australien schließen sich dem Preisdeckel für russisches Öl an, den die EU beschlossen hat. Die Absprache sieht eine Obergrenze von 60 US-Dollar (57 Euro) pro Barrel vor, die voraussichtlich am Montag in Kraft tritt. Mit der Entscheidung setze man das Versprechen um, "Russland daran zu hindern, von seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine zu profitieren", teilten die G7 mit, zu denen die USA, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Kanada gehören; Deutschland hat derzeit den Vorsitz der Gruppe inne.
Kiew will noch niedrigeren Preis
Die Ukraine bewertete die vom Westen beschlossene Preisobergrenze für russisches Öl von 60 US-Dollar je Barrel als zu hoch angesetzt. Um die Wirtschaft des russischen Feindes schneller zu "zerstören", sei es notwendig, den Preis auf 30 Dollar zu reduzieren, erklärte der Chef des ukrainischen Präsidentenbüros, Andrij Jermak, in seinem Kanal des Nachrichtendienstes Telegram.
Ebenso wie die Vereinigten Staaten hatte die Europäische Union bereits ein Ölembargo gegen Russland verhängt. Es soll für Rohöl ab kommender Woche und für Ölprodukte im Februar greifen. Großbritannien will bis Ende des Jahres komplett ohne russisches Öl auskommen. Die Preisobergrenze zielt daher auch auf Dienstleister, etwa westliche Reedereien, wenn diese russisches Öl in Drittstaaten wie Indien transportieren. Nur wenn der Preis für die Ladung unterhalb des Deckels liegt, dürfen sie künftig tätig werden.
Madrid schickt Hawk-Flugabwehrraketen
Die Ukraine hat eine erste Lieferung von Hawk-Flugabwehrsystemen aus Spanien erhalten. Das teilte Verteidigungsminister Olexij Resnikow nach einem Treffen mit seiner spanischen Kollegin Margarita Robles in Odessa mit. Weitere Hawk-Flugabwehrraketen aus spanischen Beständen sollen folgen.
Ukrainische Soldaten werden bereits in Spanien ausgebildet. Das aus den USA stammende System zur Flugabwehr auf mittlerer Reichweite wurde in den frühen 1960er Jahren in Dienst gestellt und immer wieder modernisiert. In den meisten NATO-Staaten wurde Hawk inzwischen ausgemustert.
Estland kauft Mehrfachraketenwerfer in den USA
Das baltische NATO-Mitglied Estland erwirbt im bislang größten Rüstungsgeschäft seiner Geschichte sechs US-Mehrfachraketenwerfer vom Typ HIMARS. Der Kaufvertrag im Wert von mehr als 200 Millionen US-Dollar (etwa 190 Millionen Euro) sei bereits unterzeichnet worden, teilte das Estnische Zentrum für Verteidigungsinvestitionen in Tallinn mit. Die Auslieferung der ersten Raketensysteme soll 2024 erfolgen.
Der Krieg in der Ukraine wird in dem an Russland grenzenden Estland als direkte Gefahr für die nationale Sicherheit gesehen. Der kleine Ostseestaat im Nordosten Europas hat daher seine Militärausgaben erhöht und rüstet seine Streitkräfte auf. Neben Estland beabsichtigen auch die beiden anderen Baltenstaaten Lettland und Litauen HIMARS-Raketensysteme zu kaufen.
Selenskyj will alle Kriegsgefangenen zurückholen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Rückkehr weiterer Soldaten aus russischer Gefangenschaft gefeiert. "Es war ein besonderer Tag in einer besonderen Woche", sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. Zugleich kündigte er an, auch die verbliebenen Soldaten zurückzuholen. "Wir werden keinen einzigen Ukrainer in russischen Gefängnissen, Lagern und 'Isolationen' (Haftanstalten) zurücklassen. Wir denken an alle."
Selenskyj hatte in Kiew zahlreiche ehemalige Kriegsgefangene getroffen und ihnen Medaillen verliehen. In den vergangenen Tagen hatten Russland und die Ukraine mehrfach Kämpfer ausgetauscht. Nach Selenskyjs Angaben kamen auf diese Art seit Kriegsbeginn im Februar insgesamt 1331 ukrainische Soldaten aus russischer Gefangenschaft frei.
Ringen um Sondertribunal geht weiter
Die Bemühungen der ukrainischen Führung, mit westlicher Unterstützung ein Sondertribunal zur Verfolgung russischer Kriegsverbrechen zu bilden, dauern nach Selenskyjs Worten an. Es werde weiter daran gearbeitet, eine "kritische Masse" an Unterstützern zu gewinnen.
Kiew orientiert sich dabei am Vorbild des Nürnberger Tribunals, vor dem nach dem Zweiten Weltkrieg Verbrechen des Nationalsozialismus zur Anklage kamen. Ziel sei es, die politische und militärische Führung Russlands für den Angriffskrieg gegen sein Land zur Rechenschaft zu ziehen. "Ich bin sicher, dass es ein Tribunal geben wird - es wird Gerechtigkeit geben", sagte Selenskyj.
Polizei verhindert Diebstahl von Banksy-Kunstwerk
Die ukrainische Polizei hat den Diebstahl eines Kunstwerks vereitelt, das dem britischen Künstler Banksy zugeschrieben wird. In Hostomel bei Kiew habe eine Gruppe das Werk von der Mauer eines von Russen zerstörten Hauses entfernt, erklärte der Gouverneur der Region Kiew, Oleksij Kuleba, im Onlinedienst Telegram. Dazu veröffentlichte er ein Foto, das eine Mauer zeigt, von der ein Teil der Wandverkleidung entfernt wurde.
Auf der Wand prangte zuvor ein Schablonen-Graffiti, das eine auf einem Stuhl stehende Frau im Bademantel mit Gasmaske und einem Feuerlöscher zeigt.
Kuleba zufolge nahm die Polizei mehrere Menschen vor Ort fest. Die "Zeichnung ist in gutem Zustand und befindet sich in den Händen der Sicherheitskräfte", erklärte er. "Die Werke von Banksy in der Region Kiew stehen unter polizeilichem Schutz."
In der Hauptstadt Kiew und der umliegenden Gegend waren Anfang November Schablonen-Graffiti im Stile Banksys aufgetaucht. Mitte November veröffentlichte der Künstler auf seinem Account im Online-Dienst Instagram Fotos von einem Werk auf einem bombardierten Gebäude in Borodjanka, ebenfalls ein Vorort Kiews, und bestätigte so seine Urheberschaft. Später postete er weitere Fotos von seinen Schablonen-Graffiti in der Ukraine sowie ein Video.
Ukrainische Getreideexporte brechen ein
Die Ukraine hat nach Daten des Landwirtschaftsministeriums in der Saison 2022/2023 bisher 29,6 Prozent weniger Getreide ausgeführt als in der vergangenen Saison. Insgesamt exportierte die Ukraine 18,1 Millionen Tonnen Weizen, Mais und Gerste. Zuvor waren es noch 25,8 Millionen Tonnen. Wegen der russischen Invasion waren drei ukrainische Schwarzmeerhäfen fast sechs Monate lang blockiert.
Nach Angaben der Regierung könnte die Ukraine in diesem Jahr etwa 51 Millionen Tonnen Getreide ernten. Im Jahr 2021 hatte die Ernte noch einen Rekord von 86 Millionen Tonnen erreicht. Seitdem hat die Ukraine jedoch wegen des Krieges Agrarland verloren und geringere Erträge erzielt.
CSU-Politiker Weber befürchtet "dramatischen Fluchtwinter"
Der Partei- und Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, rechnet damit, dass in den kommenden Monaten erheblich mehr Menschen aus der Ukraine in EU-Staaten fliehen. Er fürchte, dass Deutschland einen "dramatischen Fluchtwinter" erleben werde, sagte Weber der "Welt am Sonntag".
Angesichts der anhaltenden Zerstörung von Energie-Infrastruktur in der Ukraine "durch Putins Terrorregime" müsse man sich darauf einstellen, dass weitere Turnhallen öffnen und den Schul- und Sportbetrieb einschränken müssten, weil andere Aufnahmekapazitäten ausgelastet seien. Die Bundesrepublik sei auf diese Situation nicht vorbereitet und "schlafwandelt gerade in eine neue Migrationskrise", erklärte der CSU-Vizechef.
Wirbel um russischen Oppositionssender
In Lettland ist der unabhängige russische Fernsehsender Doschd wegen seiner Berichterstattung über den Ukraine-Krieg ins Visier der Behörden geraten. Der Nationale Rat für elektronische Massenmedien (NEPLP) belegte den TV-Kanal mit einer Geldstrafe von 10.000 Euro, weil er eine Karte gezeigt habe, auf der die annektierte ukrainische Halbinsel Krim als Teil Russlands zu sehen war. Die russischen Streitkräfte seien als "unsere Armee" bezeichnet worden, teilte der NEPLP auf Twitter mit.
Weiter leitete die Medienaufsicht ein Verfahren gegen Doschd wegen der Ausstrahlung von Appellen zur Unterstützung der russischen Armee ein. Chefredakteur Tichon Dsjadko beteuerte, der oppositionelle Kanal leiste keine Hilfe für Russland. Er bat auf Twitter um Entschuldigung für den "fehlinterpretierbar formulierten" Aufruf eines Moderators, der nach Senderangaben inzwischen entlassen wurde. Lettland hatte Doschd im Juni eine Sendelizenz erteilt, nachdem der Fernsehsender wegen des harten Vorgehens der russischen Behörden Anfang März seinen Betrieb in Russland eingestellt hatte.
se/uh/jj/kle (dpa, afp, rtr, ap)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.