Aktuell: Hartes Gespräch mit Putin in Moskau
11. April 2022Das Wichtigste in Kürze:
- Österreichs Kanzler Nehammer sprach mit Putin in Moskau
- Baerbock will schwere Waffen für die Ukraine
- EU-Außenminister stocken Militärhilfe auf
- Bundeswehr fliegt verletzte Ukrainer aus
- Bombardements und Evakuierungen gehen weiter
"Das war kein Freundschaftsbesuch", sagte der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer nach seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Gut sechs Wochen nach Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine hatte Nehammer als erster Regierungschef eines EU-Landes persönlich mit dem russischen Staatschef gesprochen. Das Treffen fand in Putins Moskauer Vorstadtresidenz in Nowo-Ogarjowo hinter verschlossenen Türen statt und dauerte gut eine Stunde.
Russisches Misstrauen
Die Unterredung sei "sehr direkt, offen und hart" gewesen, führte Nehammer vor Journalisten in Moskau aus. Er habe die schweren Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Orten angesprochen und erklärt, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Putin habe ein Misstrauen an den Tag gelegt, was die unabhängige Verfolgung dieser Verbrechen angehe, so Nehammer. Österreich habe aber angeboten, sich für eine Aufarbeitung durch die internationale Strafjustiz einzusetzen.
"Meine wichtigste Botschaft an Putin war aber, dass dieser Krieg endlich enden muss, denn in einem Krieg gibt es auf beiden Seiten nur Verlierer." Nehammer nannte seine Reise, die mit den Spitzen der EU und mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj abgesprochen gewesen war, eine Pflicht, um nichts unversucht zu lassen. "Denn es ist für mich alternativlos, auch mit Russland trotz aller sehr großen Differenzen das direkte Gespräch zu suchen." Gleichwohl habe er "keinen optimistischen Eindruck": Die russische Armee bereite eine Offensive in der Ostukraine vor, kündigte Nehammer an. "Diese Schlacht wird mit Vehemenz geführt werden." Deshalb müssten Zivilisten aus den umkämpften Gebieten in Sicherheit gebracht werden.
Baerbock will schwere Waffen in die Ukraine liefern
Schnelle Hilfe für Kiew will die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock leisten. "Was klar ist: Die Ukraine braucht weiteres militärisches Material, vor allem schwere Waffen", sagte die Grünen-Politikerin anlässlich eines Treffens der EU-Außenminister in Luxemburg. "Jetzt ist keine Zeit für Ausreden."
Man müsse zusammen mit der Ukraine schnellstmöglich Ersatzausrüstung und Ausbildung organisieren. Welche schwere Waffen genau aus Deutschland an die Ukraine geliefert werden könnten, sagte Baerbock nicht.
Deutschland hat bisher unter anderem Luftabwehrraketen, Panzerfäuste und Maschinengewehre in die Ukraine geliefert. Unter schweren Waffen versteht man aber Kampfpanzer, Kampfflugzeuge, Kriegsschiffe oder Artilleriegeschütze. Solche Waffen sind bisher nicht geliefert worden, obwohl die Ukraine sie seit Februar von Deutschland fordert.
EU stellt mehr Geld für Militärhilfe bereit
Angesichts der befürchteten russischen Offensive im Osten der Ukraine will die gesamte Europäische Union der Regierung in Kiew mehr Waffen liefern. Die EU-Außenminister stimmten einer Aufstockung der gemeinsamen Militärhilfe um 500 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro zu, wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach dem Treffen mitteilte.
Nach Einschätzung vieler EU-Staaten drängt die Zeit: Beobachter gehen davon aus, dass der russische Präsident Wladimir Putin bei der jährlichen Moskauer Siegesfeier über Nazi-Deutschland am 9. Mai einen militärischen Triumph zelebrieren will. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sagte, Putin brauche "eine Trophäe" und werde alles für einen Sieg in den pro-russischen Gebieten der Ostukraine tun.
Finanzmittel für Ermittlungen
Für Ermittlungen im Ukraine-Krieg haben Deutschland und die Niederlande jeweils eine Million Euro zusätzlich für den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag angekündigt. Mit dem Geld sollten die Untersuchungen über Kriegsverbrechen vorangetrieben werden, sagte Baerbock in Luxemburg. Dort hatten die EU-Außenminister am Morgen mit dem Haager Chefankläger Karim Khan beraten.
"Alle Beweise müssen gesichert werden, um die unmenschlichen Verbrechen zur Strafe zu bringen", ließ Baerbock verlauten. Insbesondere die Geschehnisse an "Orten des Schreckens" wie Mariupol im Südosten der Ukraine und Butscha bei Kiew müssten untersucht werden, sagte sie in Luxemburg. Der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra erklärte, es gehe um "Gerechtigkeit für die Menschen in der Ukraine".
Luftwaffe bringt verletzte Ukrainer nach Deutschland
Mit einem Spezialflugzeug hat die Luftwaffe kriegsverletzte Ukrainer zur Behandlung nach Deutschland geflogen. Die Bundeswehrsoldaten holten die Patienten mit dem für medizinische Evakuierungsflüge ausgerüsteten Airbus A310 MedEvac im südostpolnischen Rzeszow ab, wie Luftwaffe und Sanitätsdienst mitteilten. Auf der Liste der Patienten standen zwölf Zivilisten, darunter verletzte Kinder. Einige Patienten wurden von Angehörigen begleitet.
Der Flug ist der erste dieser Art seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine vor gut sechs Wochen. Die Stadt Rzeszow liegt im Südosten Polens, rund 90 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt.
Selenskyj begrüßt deutsche Position
Nach einem Telefonat mit Bundeskanzler Olaf Scholz sieht der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine positive Änderung der deutschen Position gegenüber Kiew. "Ich habe heute mit Bundeskanzler Olaf Scholz darüber gesprochen, wie man alle Kriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehen kann. Und darüber, wie man die Sanktionen gegen Russland verschärft und Moskau dazu bringt, Friedensverhandlungen zu führen", sagte Selenskyj in seiner nächtlichen Videoansprache.
Er stelle fest, "dass sich die Position Deutschlands in letzter Zeit zugunsten der Ukraine ändert. Und ich halte das für absolut logisch, da eine Mehrheit der Deutschen diese Politik unterstützt. Ich bin ihnen dankbar. Und ich erwarte, dass alles, was wir vereinbart haben, umgesetzt wird."
Deutschland, das in der Anfangsphase der russischen Invasion zögerte, der Ukraine Waffen zu liefern, hat nun zugestimmt, Panzerabwehrwaffen und Raketen zu liefern. Scholz hatte bereits am Freitag erklärt, dass Deutschland die russischen Ölimporte in diesem Jahr beenden könnte. Ein Gasimport-Stopp wäre schwieriger, da das Land erst Möglichkeiten schaffen müsste, um die Gaslieferungen aus Russland zu kompensieren.
Selenskyj: Zehntausende Tote in Mariupol
In der Hafenstadt Mariupol sind nach Angaben Selenskyjs vermutlich Zehntausende Menschen getötet worden. "Mariupol wurde zerstört. Es gibt Zehntausende Tote. Und trotzdem hören die Russen mit ihrer Offensive nicht auf", sagte er in einer Videobotschaft an das südkoreanische Parlament. Russland ziehe Zehntausende Soldaten für seine nächste Offensive zusammen. Wenn die Ukraine diesen Krieg überleben solle, benötige sie mehr Hilfe.
Neue Fluchtkorridore eingerichtet
Für die Zivilbevölkerung in umkämpften Städten im Osten der Ukraine sind nach Angaben der Regierung neun Fluchtkorridore eingerichtet worden. Aus der besonders schwer von russischen Angriffen betroffenen Hafenstadt Mariupol im Süden soll ein Weg für Privatfahrzeuge in Richtung der Stadt Saporischschja führen, wie Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk auf Telegram mitteilte.
Auch aus der Stadt Berdjansk sowie zwei weiteren Orten in der Region sollten Fluchtrouten für Privatautos eingerichtet werden. Aus umkämpften Gebieten in der Region Luhansk führten fünf Korridore in die Stadt Bachmut, schrieb Wereschtschuk. Die Routen werden jeden Tag neu angekündigt. Wereschtschuks Angaben nach konnten am Sonntag rund 2800 Zivilisten aus umkämpften Regionen flüchten.
Düstere Wirtschaftsaussichten
Die Weltbank hat mit dem Fortschreiten des russischen Angriffskriegs ihre Wirtschaftsprognose für die Ukraine deutlich nach unten korrigiert. Die Ökonomen sagten am Sonntag voraus, dass das ukrainische Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 45,1 Prozent einbrechen werde - nachdem sie vor einem Monat noch von einem Minus zwischen zehn und 35 Prozent ausgegangen war. Die Wirtschaft des mit internationalen Sanktionen belegten Russland werde um 11,2 Prozent schrumpfen.
Die Prognosen der Bank gingen davon aus, dass der Krieg noch einige Monate andauern wird. Im Falle einer deutlichen Eskalation könnte die Wirtschaft der Ukraine gar um 75 Prozent, die Russlands um 20 Prozent einbrechen.
Einbruch bei der ukrainischen Getreideernte
Durch den Krieg wird sich der Weltbank zufolge auch die Armut in der Ukraine vervielfachen. Der Anteil der Bevölkerung, der mit 5,50 Dollar (5,05 Euro) pro Tag auskommen muss, wird nach Angaben der Weltbank in diesem Jahr auf 19,8 Prozent steigen, während es 2021 nur 1,8 Prozent waren.
Die ukrainische Handelsgewerkschaft UGA rechnet in diesem Jahr wegen der Krieges mit einem drastischen Einbruch bei der Getreideernte und den Exporten. Die Weizenernte etwa könnte demnach um fast 45 Prozent auf 18,2 Millionen Tonnen zurückgehen, die Weizenexporte dürften sich voraussichtlich auf insgesamt zehn Millionen Tonnen belaufen. Zahlreiche Länder beziehen Getreide aus der Ukraine. Im Zuge des russischen Einmarsches werden Nahrungsmittelengpässe befürchtet.
uh/qu/fab/ack/nob/AR (dpa, afp, rtr, ape)
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